Interview

"Momentan herrscht der pure Internet-Wahnsinn"

06.12.1996

CW: Netscape engagiert sich mit seiner Server-Sammlung "Suitespot" plötzlich auch im Groupware-Geschäft. Wie beurteilen Sie das überraschende Debüt des Internet-Spezialisten in diesem Marktsegment?

PAPOWS: Netscapes Aktivitäten im Groupware-Bereich unterscheiden sich nicht von dem, was wir schon seit sechs Jahren liefern können. Anders als Lotus verfolgt Netscape mit seinem Engagement allerdings einen proprietären Ansatz. Netscape hätte größeren Nutzen aus der Situation Ziehen können, als die Company nahezu allgegenwärtig mit ihrem Browser "Navigator" regierte. Nun muß sich das Unternehmen jedoch einer großen Herausforderung stellen und einen andersartigen Internet-Client zusammenschustern.

CW: Und wie sieht es mit Microsofts Aktivitäten im Groupware-Bereich aus?

PAPOWS: Bill Gates hatte kürzlich gedroht, er wolle sich nach dem Schlag, dem er Netscape mit dem "Internet Explorer" versetzt hat, den Groupware-Bereich vorknöpfen. Dazu kann ich sagen: Kommt nur her. Das Groupware-Geschäft ist komplexer und härter umkämpft als das, in dem sich Netscape tummelt.

CW: Was hat Lotus in Sachen Web-Strategie falsch gemacht?

PAPOWS: Unser gravierendster Fehler war wohl, daß wir - trotz der vor rund 36 bis 42 Monaten begonnenen Entwicklung - nicht früh und nicht intensiv genug über die Internet- beziehungsweise Intranet-Funktionalität in "Notes 4" berichtet haben. Diese mangelhafte Kommunikation führte in Branchenkreisen zu der Vermutung, es fehle uns an der nötigen Kompetenz. Wenn ich heute noch einmal von vorne anfangen könnte, würde ich zeitiger mit der Werbung beginnen.

CW: Wie will sich Lotus der Internet-Zukunft widmen?

PAPOWS: Wir haben uns ein klares Ziel gesteckt: die Beherrschung des Web-Server-Markts mit "Domino 4.5" und "Notes". Darüber hinaus wird unser "Weblicator" den knapp 40 Millionen Browser-Anwendern weltweit einen Vorgeschmack von übergreifenden Notes-Funktionen (wie etwa Replikationsfähigkeiten, Anm. d. Red.) geben. Aus diesem Grunde planen wir die Erweiterung von Weblicator, um Usern einen direkten Zugriff auf Do- mino-Server über standardmä- ßige Uniform-Resource-Locator- (URL-)Schnittstellen zu ermöglichen. Im Gegensatz zu unseren Konkurrenten liefern wir das demnächst. Dadurch erhoffen wir uns einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber Net- scapes oder Microsofts "Vorstudien".

CW: Wie würden Sie die langfristigen Pläne von Lotus mit "cc:Mail" beschreiben?

PAPOWS: Wir bekennen uns klar zu dieser Produktlinie und werden auch künftig kräftig in sie investieren, weil es weltweit eine Reihe von DV-Infrastrukturen gibt, die schlichtweg effektiver mit cc:Mail arbeiten als mit erweiterten Client-Server-Lösungen wie etwa "Notes Mail". Dennoch bleibt Notes nach wie vor das Filetstück unserer Internet- und Messaging-Bemühungen. Wir wollen versuchen, einen Großteil der cc:Mail-Basis nach Notes Mail zu migrieren. Anders als Microsoft, das seine Mail-User zur Kehrtwende in Richtung Exchange regelrecht gezwungen hat, soll der Umstieg auf Notes-Mail aus freien Stücken erfolgen. Obwohl Notes Mail unserer Meinung nach in fünf Jahren der dominierende Client sein wird, versprechen wir auch für unser alternatives Produkt eine Fortsetzung des Supports.

CW: Microsoft und Netscape sorgen nahezu täglich mit neuen Internet-Features für Schlagzeilen. Denken Sie, daß der Hype um das World Wide Web (WWW) übertrieben ist?

PAPOWS: Die meisten IT-Entscheider vertreten die Ansicht, daß wir Hersteller Internet-Produkte schneller auf den Markt bringen, als sie im Endeffekt genutzt werden können. Trotzdem muß auch künftig mit täglichen Internet-Ankündigungen gerechnet werden - in Redmond genauso wie in Mountain View. Keiner der Player kann es sich leisten, durch Passivität aus dem Rennen geworfen zu werden. Momentan herrscht der pure Internet-Wahnsinn. Das ist einfach ein Nebeneffekt der Welt, in der wir leben. Irgendwann wird sich das allerdings wieder einpendeln. Der Anwender muß dieses riesige innovative Produktspektrum schließlich irgendwie verkraften. Natürlich werden auch wir - genauso wie jeder andere - mit Internet-Updates und Produktinitiativen aufwarten.