Rege Forschung in den Niederlanden

Möglichkeiten und Probleme beim Einsatz von neuronalen Netzen

27.11.1992

Einen Überblick über Möglichkeiten und Schwierigkeiten beim Einsatz neuronaler Netze in industriellen Anwendungen lieferte am 3. November 1992 ein Seminar in Utrecht.

Das Fachgebiet, in dem bis dato wenig mehr als hundert Persönlichkeiten aus Universitäten und Forschungslabors in den Niederlanden tätig sind, hat eine erstaunliche Dynamik erreicht.

Ohne Pathos und Euphorie, aber auch ohne die in der KI übliche kontroverse Debatte diskutierten die Seminarteilnehmer die diversen Möglichkeiten der Mustererkennung - denn darum dreht es sich in den überwiegenden Fällen. Dabei kamen folgende Anwendungen zur Sprache:

-E. Türkcan vom Energie Centrum Nederland in Petten zeigte, wie man in der niederländischen Kernzentrale Borssele mit neuronalen Netzen für redundante Analysemöglichkeiten bei thermischen Prozessen sorgen kann.

-W. Epping von Shell Research in Rijswijk gab ein Beispiel für die große Hilfe, die neuronale Netze bei der Suche nach fossilen Energieträgern liefern können. Dabei legte er Wert auf die Feststellung, daß andere Methoden der KI wie der Einsatz regelbasierter Expertensysteme dadurch nicht überflüssig werden, sondern eher eine positive Ergänzung darstellen.

Eine Einführung in den wissenschaftlichen Hintergrund, mögliche Implementierungstechniken und eine Übersicht über den aktuellen Stand sowie die Hauptforschungsansätze verlangten den meist noch wenig informierten potentiellen Neuanwendern höchste Aufmerksamkeit ab. Die spürbare Absicht, eine nicht zu verwirkli- chende Vollständigkeit hinsichtlich der Darstellung der Breite und Tiefe der Anwendungsmöglichkeiten zu bieten, überforderte teilweise sowohl Vortragende als auch Seminarteilnehmer. Auch wenn die Möglichkeiten und erste Erfolge großen Eindruck machten, lösten einige Bemerkungen über die prinzipiellen Schwierigkeiten bei der Suche nach geeigneten neuronalen Netzen auch, eine gewisse Ratlosigkeit aus. Es zeigte sich, daß es keinen Königsweg zu müheloser und gradliniger Implementierung neuronaler Netze geben kann.

Schon die richtige Netzwerktopologie nach Zahl der Layers, Knoten, Verbindungen und vermittelnden Gewichte stellt ein Problem dar. Zudem bleibt noch die unbefriedigende Situation, daß es so etwas wie eine Erklärungskomponente bei neuronalen Netzen nicht gibt. "Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet`s nicht erjagen", wußte schon Goethe.

Im Grunde genommen taugen neuronale Netze für alle Anwendungsgebiete, in denen nichtlineare Abhängigkeiten zwischen Parametern (quadratisch, logarithmisch etc.) bestehen, viele Parameter (zum Beispiel Spektren) existieren, die starke Korrelationen aufweisen, viele Daten zur Verfügung stehen und die Verarbeitungsgeschwindigkeit der zugrunde liegenden Daten - zum Beispiel bei Echtzeitsystemen und Robotern - hoch sein muß.

Nationale Grenzen verschwinden allmählich

Den Teilnehmern an dem ausgebuchten Seminar, die überwiegend Unternehmen wie Akzo, Philips oder Eurocard, kommen, boten sich in den Pausen Präsentationen verschiedener Anbieter von neuronaler Netzwerksoftware. Zu sehen waren Tools zur Konstruktion von neuronalen Netzen, Anwendungssoftware - etwa zum Klarschriftenlesen und Zeichenerfassen oder zum Aufspüren von Profilanalysen verschiedenartiger Kunden - sowie Schnittstellen zu Standardapplikationen und Programmiersprachen. Dabei wurde

sichtbar, daß mit Europa 1993 allmählich auch bei der Seminarteilnahme nationale Grenzen verschwinden.

- A. Shawky von Shawky Training & Consultancy gab einen Überblick über heutige und zukünftige Forschungsthemen im Bereich neuronaler Netze und zählte die wichtigsten Betriebe, und Anwendungen auf. Für die Niederlande sind das die Unternehmen Organon Technika,. Morret/Ernst & Young, Philips, Shell, Volmac, HP, Akzo, BSO, Bolesian, Sentient Machine Research, JOD Consulting und DEC.

Laut Shawky wollen sich niederländische Laboratorien in Zukunft auch mit dem Einsatz von neuronalen Netzen in den Bereichen Nachweis-Analyse, Pre-Processing, Sensor-Fusion, Datenreduktion und Vorhersagen bezüglich der Belastung eines elektrischen Netzes oder von MTBF-Transformatoren auseinandersetzen.

*Gerd Rimek ist freier Fachautor in Essen.