Möglichkeiten und Grenzen der Mitarbeiter-Motivation

29.04.1977

WIEN - Eine der wesentlichen Grenzen der Mitarbeiter-Motivation ist die Tatsache, daß dieses Problem nur von der Führungsseite her gesehen wird. Nun wurden zwei neue Konzepte entwickelt: Beide sehen das Problem von der Seite des Mitarbeiters her. Schlagwort, das im Zentrum steht, ist das Betriebsklima - genauer ausgedrückt - die Arbeitszufriedenheit; damit hängt eng das Konzept der Arbeitsstrukturierung zusammen.

Wenn man den Betrieb mit den Augen des Mitarbeiters sieht, drängt sich eine grundlegende Erkenntnis auf: Der einzelne Mensch sieht und erlebt seine Umgebung stets als geordnete Gesamtheit, in der die einzelnen Komponenten einen von dieser Gesamtheit her definierten Platz zugewiesen erhalten. Obwohl Mitarbeiter zumeist nur die Gegebenheiten ihrer eigenen Abteilung gut kennen, bestehen feste subjektive Überzeugungen über das restliche Unternehmen. Jede Aktivität, die von anderen Abteilungen oder von der Geschäftsleitung herkommt, wird als " typisch" angesehen. Die Arbeitszufriedenheits-Forschung untersucht die Zusammenhänge und Erlebnisweisen, nach denen der Mitarbeiter seinen Betrieb geistig strukturiert. Als Ergebnis zeigt sich, daß Motivation nicht eine Angelegenheit einzelner Verhaltensweisen einzelner Methoden und Techniken ist, sondern die Folge eines richtig gestalteten Gesamtrahmens. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Feststellung, daß wir in unserer Umgebung Erwartungen darüber ausbilden, welche Ergebnisse erzielt werden können und welcher Energieaufwand zur Erreichung erforderlich ist. Wenn man zur Einsicht gelangt, daß betriebliche Fragen ohnehin nach undurchsichtigen Regeln entschieden werden, wird man kaum bereit sein, zur Entscheidung beizutragen. Wenn Initiativen regelmäßig versickern, wird es bald keine mehr geben. Es entsteht also die Frage nach Leistung und Gegenleistung, wobei Unzufriedenheit natürlich dann besteht, wenn die Gegenleistung der Leistung nicht im erwarteten Ausmaß entspricht. Allerdings wirkt auch eine unerwartet hohe Gegenleistung eher als unangenehmes Erlebnis.

Keine einmaligen Aktionen

Ausgedehnte Reihenuntersuchungen und praktische Erfahrungen haben gezeigt, daß höchste Arbeitszufriedenheit nicht mit der geringsten Leistungsbeanspruchung, sondern mit der erlebten Entsprechung von eigenen Möglichkeiten und erbrachter Leistung zusammenhängt. Zufrieden ist der, der glaubt, daß die Tätigkeit, die er ausübt, seinen Begabungen und Fähigkeiten entspricht und nicht derjenige, der möglichst wenig arbeitet.

Bei der Schaffung der nötigen Voraussetzungen darf es sich nicht um einmalige Aktionen oder Schulungen handeln, denn Arbeitszufriedenheit als Ziel erfordert einen dynamischen Prozeß. Erreichte Ziele setzen neue Ziele. Kann der Betrieb nicht beständig die erforderlichen Bedingungen bieten, dann besteht die Gefahr, daß aus der prinzipiell erreichten Arbeitszufriedenheit Resignation wird, daß man sich auf außerbetriebliche Ziele konzentriert. Das persönliche Anspruchsniveau der Mitarbeiter sinkt, man setzt sich niedrigere Ziele oder sieht nur mehr die Erhaltung des gegenwärtigen Zustandes als Ziel.

Motivation als Aufgabenstellung für Führungskräfte übersteigt heute leider in den meisten Fällen deren eng umschriebene Kompetenz und Einflußmöglichkeit. Das nährt einen gewissen Skeptizismus, wenn die Geschäftsleitung verlangt, die Mitarbeiter für neue Projekte zu begeistern.

Nehmen wir an, es gelingt uns, durch die Berücksichtigung aller dieser Punkte eine positive Arbeitsatmosphäre mit einem relativ hohen Grad an Arbeitszufriedenheit und psychischem Gleichgewicht bei unseren Mitarbeitern zu schaffen und die nötige Offenheit und Dynamik zu erzeugen. Wir werden dann sicher, wie viele andere Betriebe auch, denen es gelungen ist, den allgemeinen Zufriedenheitsgrad zu heben, eine geringere Fluktuation, geringere Fehlzeiten sowie weniger Krankenstände haben.

Gruppenarbeit populärer

Ein wesentlicher Punkt des Motivationsproblems ist die Arbeitsstrukturierung. Die Art des Systems, in dem der einzelne steht, entscheidet wesentlich darüber, in welchem Grade er sich darin wohl fühlt. Arbeitsteilung, sei es in horizontaler oder vertikaler Hinsicht, bildet einen Unsicherheitsfaktor und eine permanente Brille von Problemen. Die neuen Überlegungen zur Arbeitsstrukturierung gehen davon aus, daß dem einzelnen ein möglichst großer Raum verbleiben soll, damit er nicht durch die übermäßige Spezialisierung den Überblick über den gesamten Arbeitsprozeß und damit seine eigene Identifikationsmöglichkeit verliert. Letztlich heißt dies eine möglichst weitgehende Rückkehr zum handwerklichen Arbeiten oder - gegenteiliges Extrem - die vollständige Automatisierung, wo der Arbeitskraft lediglich Überwachungsfunktionen für den Gesamtarbeitsprozeß zufallen. Interessanterweise zeigen Untersuchungen in allen westlichen Ländern übereinstimmend, daß die Arbeitszufriedenheit in diesen beiden Produktionsformen am höchsten ist. Die bisherigen Ansätze zu praktischorganisatorischer Tätigkeit auf diesem Gebiet umfassen die Idee des Job-Enrichment, wobei der einzelne möglichst viele Arbeitsschritte zu erledigen hat. In der Produktion wird in diesem Fall nicht mehr bis ins Detail arbeitsteilig gearbeitet, bestimmte Arbeitsprozesse werden zusammengefaßt. Eine dem Job-Enlargement verwandte Organisationsform im Verwaltungsbereich ist das Abteilungssekretariat, dessen Damen sich nach Fähigkeiten und Fachkenntnis untereinander ergänzen. Zumindest im Produktionsbereich gibt es nun auch bei dieser Art von Arbeitsstrukturierung mehr und mehr unzufriedene Stimmen. Es liegt möglicherweise daran, daß die einzelne Arbeitskraft das Gefühl hat, mehr arbeiten zu müssen, da sie ja schließlich zu ihren gewohnten Handgriffen fünf weitere noch übernehmen muß. Daß sich dabei an der Arbeitszeit, am Arbeitstempo und vielleicht auch am Lohn wenig ändert, ist für das subjektive Erleben nicht so wesentlich. Es gibt weltweit eine Reihe von Betrieben, die von einer Job-Enrichment-Struktur wieder zur Bandfertigung zurückgekehrt sind. Auch Abteilungssekretariate zeigen die Tendenz zur mehr oder weniger häufigen geselligen Zusammenkunft von Sachbearbeitern und Sekretariatskräften. Zur Zeit recht populär und selten negativ beurteilt wird dagegen die Gruppenarbeit als neue Form der Arbeitsstruktur. Hier ist der einzelne zwar auch für eine Reihe von Funktionen zuständig, er überblickt aber nicht mehr nur seine eigenen Arbeitsschritte, sondern diejenigen seiner Arbeitskollegen, so daß er das Werkstück vom Eingang bis zum Ausgang verfolgen kann und auch in der Lage ist, andere Arbeitsschritte im Zuge des gesamten Arbeitsprozesses zu übernehmen. Bei dieser Organisationsform könnte es gelungen sein, die bisherigen hierarchischen und funktionalen Trennungen aufzuheben. Die klassische Büroarbeit entspricht im Grunde der Gruppenarbeitsmethode, wenn sie auch niemals direkt mit diesem Ziel konzipiert worden ist. In den allermeisten Firmen hat die einzelne Bürokraft nicht nur eine spezialisierte Tätigkeit auszuführen, sondern bearbeitet eine Fülle von Problemen, seien es Kartei, Ablage, Schreibarbeiten, Terminkoordination.

Stärkere Integration bringt Vorteile

Die Büroarbeit kann nur bedingt mit Tätigkeiten im materiellen Produktionsprozeß verglichen werden. Im Büro ist das Gleichgewicht, der allgemeine atmosphärische Stand, um vieles labiler, da hier eine Fülle von Voraussetzungen dafür sorgen, daß nicht alle integrierenden Faktoren ohne weiteres bewußt werden. Die Prinzipien der Arbeitsteilung sind häufig nicht einsichtig, Arbeit entspricht nicht unbedingt der eigenen Leistungsfähigkeit, die Bedeutung der eigenen Arbeit für das gesamte Betriebsgeschehen ist relativ schwer einzusehen, es gibt für den eigenen Arbeitsbereich nur schwer die Möglichkeit, aus der klaren hierarchischen Strukturierung auszubrechen, da es zumeist relativ wenig Kollegen gleicher hierarchischer Ebene gibt, mit denen man frei kommunizieren kann. Erfahrungsgemäß sind dann auch die Erfolgschancen von Veränderungen im Büro viel geringer als in der Fertigung.

Im kleinen Betrieb, in dem die einzelne Kraft noch mehrere Funktionen ausübt, sind Arbeits- und Einsatzfreude nach allen Erfahrungen höher als in Großunternehmen, wo der Einkäufer eben nur seine fünf Artikelgruppen bearbeitet. Möglicherweise wird sich auch hier eine Förderung der handwerklichen Arbeitsweise in Arbeitsgruppen mit möglichst weitgehender gegenseitiger Information anbahnen, und andererseits, wobei sicher Mischformen denkbar sind, eine weitere Tendenz zum vollautomatischen Arbeitsablauf, bei dem die einzelne Arbeitskraft große zusammenhängende Einheiten steuert und überwacht.

Wie die Dinge heute liegen, kann die stärkere Integration des Computers in die Büroarbeit große Vorteile bringen. Wie lange es dauern wird und wann der damit zusammenhängende Organisationsaufwand in vertretbare Größenordnungen kommt, ist allerdings noch offen.