Hat Andersen Consulting die SAP-Einführung vermasselt?

Modifiziertes R/3 legt VW-Ersatzteillager lahm

17.12.1999
KASSEL (hi) - Besonders schonend mußten in den letzten Wochen Audi- und VW-Besitzer ihren fahrbaren Untersatz behandeln. Der VW-Konzern war nämlich aufgrund einer SAP-R/3-Softwarepanne im zentralen Ersatzteillager Kassel nicht in der Lage, alle Händler ausreichend mit Ersatzteilen zu versorgen. Federführend bei der R/3-Einführung war Andersen Consulting.

Eine "weitere verbesserte Teileverfügbarkeit", so das offizielle Statement des Audi/VW-Konzerns in Wolfsburg, hatten die Autobauer mit der im September 1999 begonnenen SAP-R/3-Einführung Kunden und Händlern versprochen. Doch genau das Gegenteil trat ein: Statt wie bisher ein bis zwei Tage auf ein benötigtes Ersatzteil zu warten, mußte sich ein Teil der Audi- und VW-Händler wochenlang gedulden.

Während die Wolfsburger Konzernzentrale das Problem zwar einräumte und bekannte, daß man den Kunden zur Zeit nicht "den gewohnt hohen Service" bieten könne, sprach ein Händler vor Fernsehkameras Klartext: Er habe bereits aus Neuwagen Ersatzteile ausgebaut, um die Fahrzeuge seiner Kunden flott zu bekommen.

Ganz so dramatisch sieht Michael Lamlé, Geschäftsführer des VW/Audi-Händlerverbandes, die Lage nicht, "vom Ausschlachten der Neufahrzeuge kann man nicht sprechen". Allerdings bestätigt er, daß einige Werkstätten mehrere Wochen auf Teile warten mußten.

Von der Softwarepanne im Zentrallager Kassel, welches das gesamte Bundesgebiet beliefert, waren die Händler unterschiedlich betroffen. So hatten etwa die Audi- und VW-Partner in den alten Bundesländern noch Glück: Sie sind nicht direkt an das Zentrallager angeschlossen, sondern werden über acht zwischengeschaltete regionale Vertriebszentren beliefert.

Angespannter war dagegen die Situation im Osten der Republik, da hier die Händler in der Regel direkt von den Lieferungen aus Kassel abhängig sind.

Um den Ärger der Kunden zu mildern, stellten die Werkstätten ihnen vermehrt Mietwagen zur Verfügung. Ob und in welcher Höhe die Händler hierfür von der Konzernzentrale Schadensersatz fordern, war bis Redaktionsschluß noch unklar.

Offen ist auch, worin nun die eigentliche Ursache für die Softwarepanne liegt. Bei SAP in Walldorf, dem Lieferanten der eingesetzten Software R/3, heißt es lediglich, daß VW die Software sehr stark modifiziert habe, "eine Vorgehensweise, die wir unseren Partnern in der Regel nicht empfehlen". Um den Verdacht auf einen möglichen Fehler in ihrer Standardsoftware sofort im Keim zu ersticken, verwiesen die Walldorfer zudem darauf, daß R/3 in den regionalen westdeutschen VW-Ersatzteillagern ohne Probleme eingesetzt werde. Im Widerspruch zu dem SAP-Ratschlag, R/3 nicht zu modifizieren, steht dagegen die Äußerung eines SAP-Sprechers gegenüber einer Presseagentur, in der er einräumt, daß das VW-Zentrallager in Kassel solche Dimensionen habe, daß es dafür kein Standardprodukt gebe.

Eine Meinung, die Bernd Meyer, stellvertretender Sprecher des Arbeitskreises Automotive bei der Deutschen SAP-Anwendergruppe, nicht teilt. In seinen Augen haben die Walldorfer ihre Software mittlerweile so überarbeitet, daß sie auch für die Prozeßdimensionen in der Autoindustrie (etwa die Verwaltung von Tausenden Ersatzteilen) geeignet ist. Meyer, der Gründer und Gesellschafter des SAP-Beratungshauses PMC in Heilbronn ist, vermutet deshalb, daß wohl dem IT-Dienstleister und Consultant bei der Einführung ein Fehler unterlaufen sei. Zumal den großen fünf im weltweiten Consulting-Business, so Meyer weiter, das branchenspezifische Know-how über die Prozesse in der Automobilindustrie fehle.

Ein Vermutung, die Josef Schiessl, Pressesprecher bei Andersen Consulting, so nicht auf sich sitzen läßt, vielmehr habe "VW mit diesem Projekt eine State-of-the-Art-Ersatzteillogistik geschaffen". Andersen Consulting habe in Zusammenarbeit mit Gedas die R/3-Einführung im Kasseler VW-Zentrallager, interner Projektname "ET 2000", zum 1. September 1999 planmäßig abgeschlossen. "Von den üblichen Anlaufschwierigkeiten abgesehen, funktionierte die Software", zieht Schiessl den Schlußstrich unter dieses Projekt und nennt VW als Ansprechpartner bei etwaigen Problemen.

An die Wolfsburger Konzernzentrale verweist auch der VW-eigene IT-Dienstleister Gedas GmbH. Die Berliner waren zwar bei dem Kasseler Projekt mit im Boot, lehnen aber als Unterauftragsnehmer jegliche Verantwortung ab. Und in Wolfsburg selbst wollte man keine näheren Angaben zu Problemen bei der R/3-Einführung in Kassel machen. Lapidar hieß es dort nur, daß sich die Lage weitgehend entspannt habe und man zuversichtlich sei, ab Weihnachten wieder einen reibungslosen Betrieb des Ersatzteillagers gewährleisten zu können. Eine weitere Ursachenforschung direkt in Kassel scheiterte an der dortigen Telefonanlage, die mit einem barschen "Zur Zeit ist diese Rufnummer leider nicht erreichbar" allzu wißbegierige Anrufer abwies.