Neue Arbeitsmittel und veraenderte Ablaeufe

Modernes Informationsmanagement bringt Schwung in den Vertrieb

05.03.1993

Aggressiver Wettbewerb und schwindende Margen zwingen immer mehr Unternehmen zu tiefgreifenden Massnahmen, besonders in Marketing und Vertrieb. Eine Vertriebsmannschaft ist vielfach damit ueberfordert, die vorhandenen Markt- und Kundenpotentiale befriedigend auszuschoepfen, neue Maerkte zu erschliessen oder Neukunden zu gewinnen. Nicht zuletzt wegen der nach oben beschraenkten Personalbudgets stossen Marketing- und Vertriebsstrategien, wenn es an deren praktische Umsetzung geht, haeufig an die Grenzen des Machbaren. Oft kann der notwendigen individuellen Kundenbetreuung nur ungenuegend Rechnung getragen werden. Zusaetzliche Aufgaben lassen sich folglich in der Verkaufsmannschaft nur dann durchsetzen, wenn eine Entlastung von anderen Taetigkeiten erfolgt.

Ein haeufiger Grund fuer die permanente Ueberlastung der Vertriebsleute sind schlechte Arbeitsmittel. Nur moderne Informationssysteme ermoeglichen effiziente und professionelle Arbeit. Diese Defizite sind dem Vertriebs-Management meist bekannt, trotzdem schreckt es oft davor zurueck, eine durchgaengige Systemunterstuetzung einzuleiten und damit die Situation zu verbessern. Die Problemfelder erscheinen so eng ineinander verwoben, dass der Eindruck entsteht, eine Massnahme zoege zwangslaeufig zu viele andere nach sich: Schnell macht sich die Befuerchtung breit, man steche damit in ein Wespennest. Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich das Meiste jedoch als durchaus beherrschbar. Professionelles Management der Ressourcen- Information darf in Zukunft nicht mehr in die alleinige Kompetenz der Organisations- und DV-Abteilungen fallen, sondern muss als Gemeinschaftsaufgabe angesehen werden. Dieser Trend stellt fuer DV- Verantwortliche keine Bedrohung, sondern eine konstruktive Bereicherung ihres Aufgabenfeldes dar.

Um die grosse Bedeutung eines solchen Projektes fuer das Gesamtunternehmen zu dokumentieren und die reibungslose Freigabe der Mittel sicherzustellen, sollte ein Mentor in der Geschaeftsfuehrung gewonnen werden.

Aber nicht nur Bedenken in der Vorstandsetage sind zu beseitigen. Auch die Aussendienstmannschaft hat zum Teil grosse Vorbehalte gegen DV-Systeme. Die Bereitschaft, den Umgang mit neuen Arbeitsmitteln zu erlernen und jahrelang geuebte Ablaeufe umzustellen, ist im ersten Moment vielfach gering.

Deshalb muessen Vertriebsmitarbeiter aller Hierachiestufen von Anfang an in die Projektarbeit eingebunden werden. Sind sie schon in der Analysephase beteiligt, foerdert dies oft ein konstruktives Problembewusstsein und stellt, da deren praktische Erfahrungen mit einfliessen, die Tauglichkeit des Systems im alltaeglichen Gebrauch sicher.

Regelmaessige Feedback-Schleifen und eine offene Informationspolitik, nicht nur waehrend der Konzeptionsphase, sorgen fuer eine fruehzeitige Akzeptanz der neuen Ablaeufe und Mechanismen in der Organisation. Deshalb sollte man sich bereits in diesem fruehen Stadium der modernen Informationstechnik bedienen.

Die Mitglieder der spaeteren Pilotgruppe werden mit PCs oder Laptops ausgeruestet und an das unternehmensweite PC-Netz angebunden. Information, Koordination und Veranlassungs-Management erfolgen nach intensiver Schulung weitgehend ueber ein Workgroup- Computing-System. In der Praxis hat sich hier beispielsweise eine Projektsteuerungs-Datenbank unter der Groupware "Notes" von Lotus bewaehrt. Das Eis bricht endgueltig, wenn die Vertriebsmitarbeiter aus der Pilotgruppe intensiv an der Begutachtung und Weiterentwicklung der in kurzen Abstaenden erstellten Prototypen beteiligt werden. Das fruehzeitige Heranfuehren der Mitarbeiter an die intuitiv bedienbare grafische Oberflaeche zahlt sich aus. Der Wiedererkennungswert bei dem als Windows-Applikation gestalteten System ist hoch. Die von der Pilotgruppe ausgehende positive Resonanz sichert die Akzeptanz in der Vertriebsorganisation schon vor der endgueltigen Implementierung.

Den Fachleuten aus der DV-Abteilung kommt in dieser Phase neben der Bereitstellung einer modernen DV-Infrastruktur und der eventuellen Programmierung eine wichtige Moderatorenrolle zu. Sie unterstuetzen die Vertriebs-Manager bei Erfassung und Dokumentation der vertrieblichen Anforderungen. Entity-Relationship-Modelle liefern dabei erfahrungsgemaess eine gute Diskussionsgrundlage, um komplexe Sachverhalte fachlich wie datentechnisch auf den Punkt zu bringen.

Zum zentralen Erfolgsfaktor eines Vertriebsinformations-, Kommunikations- und Steuerungssystems zaehlt, dass die Informationsprozesse durchgaengig unterstuetzt werden. Die Hauptaufgabe des Vertriebs bleibt der Verkauf. Datenbestaende zu pflegen und aufzubauen, ist fuer den Verkaeufer lediglich Mittel zum Zweck und wird einem kritischen Aufwand-Nutzen-Kalkuel unterworfen. Die im System zur Verfuegung gestellten Informationen sind deshalb auf das Wesentliche zu beschraenken.

Die wichtigsten Informationen werden vor Ort beim Kunden gewonnen. Dazu muessen die Vertriebsmitarbeiter ihre Erkenntnisse in einem individuell konzipierten Kontaktberichtsmodul strukturiert erfassen, speichern und an den jeweiligen Informationsempfaenger weiterleiten. Diese qualitativen Informationen ergaenzen quantitative Daten aus den operativen Systemen, wie Auftragsabwicklung, Kostenrechnung oder Produktionssteuerung.

Zum Speichern der Informationen bietet sich eine marktgaengige Unix- oder PC-basierte SQL-faehige relationale Datenbank (RDBMS) oder eine objektorientierte Datenbank (OODBMS) an, die als Back- end in eine Client-Server-Architektur eingebunden wird. Massgeblich bei der Auswahl des Datenbank-Management-Systems und der Anwendungsentwicklungs-Umgebung ist, dass die Front-end-Applikation eine standardisierte grafische Benutzeroberflaeche bietet, zum Beispiel MS-Windows. Wichtig ist ausserdem die Performance der Datenbank. Diese sollte im Vorfeld getestet werden. Vertriebsmitarbeiter akzeptieren erfahrungsgemaess nur mit Widerwillen, wenn das Fuellen einer Maske oder eines Browsers in einer Standardabfrage mehr als drei Sekunden dauert.

Die Programmierung des Datenbanckerns erfolgt nach dem mit dem Vertrieb erarbeiteten Entity-Relationship-Modell. Bei dessen Modellierung ist von vornherein beruecksichtigt, dass sich das System entsprechend den vertrieblichen Anforderungen weiterentwickeln kann. Entsprechend sorgfaeltig sind die Datenstrukturen und Funktionen mit einem CASE-Tool zu entwerfen und zu dokumentieren.

Die so gespeicherten Informationen koennen nun flexibel ausgewertet und den Anwendern zur Verfuegung gestellt werden. Die ueberwiegende Zahl der Benutzer erhaelt lediglich ein vordefiniertes Set von ausgabenbezogenen Auswertungen. Das System aktualisiert und speichert diese Standardauswertungen automatisch in regelmaessigen Abstaenden. So lassen sich zum einen Performance- Gewinne erzielen, zum anderen wird der Normalnutzer nicht durch die Vielzahl der Auswertungsmoeglichkeiten verwirrt. Ferner koennen Sicherheitsaspekte beruecksichtigt werden. Strategie muss sein, dass jeder Mitarbeiter auf Informationen zugreifen kann, die er fuer die Erledigung seiner Aufgaben benoetigt.

Die Aussendienstmannschaft erhaelt viele Informationen unmittelbar durch den Kunden. Ueblicherweise werden sie in langen Besuchsberichten - oft handschriftlich - niedergelegt. Dann werden sie abgeschrieben und via Hauspost verteilt. Eine systematische Auswertung findet haeufig nicht statt, die Berichte werden ungelesen abgeheftet. So versickern wichtige Informationen.

Ein DV-gestuetztes Berichtswesen kann hier Abhilfe schaffen. Als Beispiel laesst sich ein Unternehmen aus der Grundstoff-Industrie nennen. Tritt ein Verkaeufer eine mehrtaegige Geschaeftsreise an, ueberspielt er die Kundenprofile sowie die entsprechenden Auswertungen in seinen Laptop. Diese Profile sind im zentralen System bis zur Rueckuebertragung fuer Schreibzugriffe gesperrt.

Im Rahmen des Managements bei Objectives (MBO) hat der Verkaufsleiter mit dem Verkaeufer fuer jeden Kunden Besuchsziele vereinbart. Diese werden als Veranlassung in das System eingestellt und finden sich im Kontaktbericht als Zielvorgaben wieder. Kurz vor jedem Besuch ruft der Verkaeufer einen Kundenstatusbericht ab. Hier findet er in Kuerze alle wesentlichen Informationen wie zum Beispiel Kennzahlen, aktuelle Umsaetze, laufende Reklamationen, Reaktionen auf die Veranlassungen des letzten Besuchs etc. Er erhaelt also insbesondere Informationen, die bislang der Verkaufsinnendienst in muehevoller Kleinarbeit in Form einer Kundenmappe zusammengestellt hat. Beim Kunden selbst dominiert weiterhin das persoenliche Gespraech. Der Laptop wird nur in Ausnahmefaellen genutzt.

Nach dem Gespraech dokumentiert der Verkaeufer das Besuchsergebnis sowie alle in Erfahrung gebrachten Details. Dazu wird ein Kontaktbericht angelegt beziehungsweise aufgerufen.

Dieser besteht aus einem Kopfteil mit Kundenstammdaten, dem Besuchsdatum und den angetroffenen Kontaktpersonen und anderen wichtigen Daten. Von hier aus wird in weitgehend standardisierte Topics, also Gespraechsthemen wie "Preisgespraech", verzweigt. Hier finden sich zuoberst die Zielvorgaben der Verkaufsleitung wieder. Der Verkaeufer kann darunter einen Text beliebiger Laenge zur Zielerreichung formulieren. Um wichtige Detailinformationen zum Kunden oder zur Verwendung eigener Produkte strukturiert festzuhalten, kann nun weiter in sogenannte Profilausschnitte verzweigt werden. Dabei greift der Verkaeufer direkt auf einem Ausschnitt der auf den Laptop uebernommenen Datenbank zu. Falls noetig, nimmt er am Profil Ergaenzungen vor und verifiziert so staendig seine Datenbasis. Die Veraenderungen werden im Topic protokolliert.

Jedes Topic kann separat als Information adressiert und mit Veranlassungen versehen werden. Dies verringert beim jeweiligen Empfaenger die Datenflut. Die Veranlassungen werden automatisch auf Wiedervorlage gelegt.

Ist der Besuchsbericht abgeschlossen, so kann der Verkaeufer per Modem eine Verbindung zum Zentralsystem aufbauen, die Kontaktberichte sowie die veraenderten Kundenprofile zurueckuebertragen sowie an ihn gerichtete Informationen abrufen. Die versendeten Informationen und Veranlassungen liegen den Empfaengern nahezu zeitgleich in ihren elektronischen Briefkaesten vor.

Schulung der Mitarbeiter wichtig

Die Erfahrung aus verschiedenen Projekten zeigt, dass derart komplexe Zusammenhaenge sich gegenwaertig nur mit einer individuell programmierten Applikation abbilden lassen. Trotzdem ist die Einbindung von Standardsoftware in das Gesamtsystem in begrenztem Umfang sinnvoll. Die Einbindung geeigneter Standardsoftware kann Entwicklungskosten sparen und laesst den Systembetreiber am dort eingebrachten Know-how profitieren.

Bewaehrt hat sich in diesem Zusammenhang die Nutzung von E-Mail- Komponenten beziehungsweise Workgroup-Computing-Systemen. Die hier vorgefundenen Features zur Kommunikation und Vorgangssteuerung sowie zur Anbindung externer Nutzer ueber Modem und Telefon ergaenzen die Funktionen des Systems in positiver Weise.

Ausserdem wird eine Reihe von EIS- oder MIS-Entwicklungsumgebungen am Markt angeboten, die sich in beschraenktem Umfang einbeziehen lassen. Meist koennen sie aber lediglich quantitative Informationen wie Statistiken und Tabellen sinnvoll abbilden. Die moegliche Nutzung beschraenkt sich also weitgehend auf die Darstellung von Daten aus den operativen Systemen, zumal eine Editierung der angezeigten Informationen mit diesen Tools nicht moeglich ist.

Mit der Einfuehrung eines solchen Systems wird sich in Marketing und Vertrieb eine Reihe von ueberkommenen Ablaeufen veraendern. Die dadurch moegliche Effizienzsteigerung laesst sich jedoch nur ausschoepfen, wenn die Mitarbeiter sorgfaeltig auf das neue Arbeitsmittel und die veraenderten Ablaeufe vorbereitet werden.

*Franklin Syrowatka und Thorsten Bauer sind Consultants bei der MC Informationssysteme Beratungs-GmbH, Bad Homburg.

Abb: Architektur eines Systems zum Produktivitaets-Tuning im Vertrieb