Geschäftsabläufe bewerten und Schwachstellen aufdecken

Modellierungs-Tools sorgen für Transparenz von Arbeitsschritten

03.03.2000
Viele Unternehmen haben erkannt, dass Prozess-Reengineering mehr als nur die Optimierung ihrer Produktion ist. Sie konzentrieren sich deshalb auch auf die Verbesserung administrativer Abläufe. Mit grafischen Modellierungswerkzeugen lassen sich dabei die Gräben zwischen unterschiedlichen Funktionsbereichen wie Vertrieb, Marketing und IT-Abteilung überbrücken, wie Manuel Göpelt* beschreibt.

Das Modellieren von Geschäftsabläufen verfolgt ein anspruchsvolles Ziel: Die individuellen Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens sollen so präzise wie möglich erarbeitet werden, um sie anschließend ohne Reibungsverluste in IT-Systemen abzubilden. Konkret: Die in den Modellen dargestellten Unternehmensabläufe können auf der einen Seite für die Entwicklung individueller Programme herangezogen werden. Andererseits eignen sie sich als Wegbereiter für die Einführung von Standardsoftware.

Ein weiteres Ziel der Modellierung ist es, eingefahrene, umständliche Abläufe durch erprobte Standardabläufe zu ersetzen, die sich aufgrund von Vergleichen mit den Besten der Branche oder in bestimmten Märkten als erfolgreich erwiesen haben. Hierbei hängt die Qualität der Modelle entscheidend davon ab, ob sich Fachabteilungen, Management und DV-Abteilung mit ihrem jeweiligen Know-how gleichberechtigt einbringen. Deshalb brauchen die Beteiligten Werkzeuge und Methoden, mit denen sie eine gemeinsame Sprache sprechen. Hierzu eignen sich idealerweise datenbankgestützte grafische Modellierungs-Tools, die interaktiv genutzt und deren Ergebnisse via Intranet verbreitet werden können. Dazu gehören unter anderem Tools wie die "Aris"-Produktfamilie von IDS Scheer, der "IFS Business Modeler" von Industrial & Financial Systems, "Bonapart" der PSI AG (ehemals Ubis) oder "LP Process" von Lohoff & Partner.

Im Gegensatz zu ausformulierten Prozessbeschreibungen bieten grafische Modelle den Vorteil, dass sie intuitiv erfassbar sind und zudem komplexen Sachverhalten gerecht werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sämtliche Aktivitäten im Zusammenhang als Workflow dargestellt werden. Auf diese Weise können Anwender die Stellung und Bedeutung jedes einzelnen Elementes (Teilprozesses) im Gesamtablauf unmittelbar erkennen. Hilfreich ist hierbei, Prozesse, Rollen und Objekte hierarchisch zu strukturieren und in ihren jeweiligen Beziehungen abzubilden. Wie in einem Atlas können "Modellierer" dann bestimmen, auf welchem Abstraktionsniveau sie welchen Geschäftsprozess nachzeichnen und bearbeiten wollen. Diese Option darf jedoch nicht dazu führen, die Unternehmenswirklichkeit eins zu eins zu modellieren. Dies wäre zu aufwendig und engt den Endanwender ein, da er zu viele Details berücksichtigen müsste. Es ist vielmehr die Kreativität des jeweiligen Mitarbeiters gefragt oder - wenn es sich um Standardabläufe handelt - die weitere Detaillierung in Form eines Organisationshandbuches beziehungsweise die Unterstützung durch ein zusätzliches Workflow-System.

Administrative Abläufe berühren viele Funktionsebenen im Unternehmen. Zu empfehlen ist daher, Prozesse integriert zu betrachten, also die Aufgaben und Schnittstellen der einzelnen Bereiche als Ganzes zu beleuchten. Nur so erhält man anwendungsnahe Modelle. Um den Ablauf in seiner Gesamtheit betrachten zu können, ist eine Datenbankanbindung der Modellierungs-Tools ein Muss. In dieser Datenbank lassen sich sämtliche Teilschritte und Objekte zentral verwalten, die je nach Bedarf wieder in die Modelle einfließen. Ändert sich ein Element, beispielsweise im Wareneingang, so wirkt sich diese Änderung via Datenbank automatisch in jedem Teilmodell aus und muss nicht mehr auf konventionellem Wege einzeln eingearbeitet werden. Entsprechend lassen sich jedem Element beliebig viele Eigenschaften zuordnen. Somit kann zum Beispiel präzise definiert werden, welchen Ausführungszustand ein bestimmtes Objekt erreicht hat oder wer wann wo und wie in einen Ablauf eingreifen soll. Auf diesem Weg ermöglicht eine Datenbank auch das Versions-Management sämtlicher Objekte.

Zusätzlichen Nutzen bringt die Modellierung, wenn Unternehmen ihre Geschäftsprozesse bewerten und Schwachstellen identifizieren können. Ziel ist es, den Ist-Zustand auf Potenziale für wirtschaftlichere Abläufe zu überprüfen. Hier interessiert vor allem, wie viel Zeit und welche Kosten die einzelnen Schritte in Anspruch nehmen. Die gewünschten Informationen lassen sich aus der Datenbank ableiten: Sind sämtliche Objekte mit ihren Eigenschaften erfasst, können Modellierer Durchlaufzeiten und Prozesskosten bestimmen.

Gleichwohl darf dabei nicht übersehen werden, dass Fachabteilungen oftmals gegen die Erhebung von Durchlaufzeiten sind: Kein Mitarbeiter will sich vorbehaltlos auf allzu genaue Bearbeitungszeiten festlegen. Aufschlussreiche Vergleichswerte bieten hier Referenzmodelle, an denen sich die zu analysierenden Abläufe messen lassen können. Eine Reihe von Anbietern stattet ihre Werkzeugkästen mit entsprechenden "Best-Practice"-Abläufen aus.

Innovation zulassenDarüber hinaus bieten Referenzmodelle Ausgangspunkte für die selbstständige Modellierung: Statt bei Null anzufangen, arbeiten Anwender mit verfügbaren Standardabläufen, die sie ihren individuellen Situationen anpassen. Sie können dabei unterschiedliche Szenarien entwerfen und diese im Intranet zur Diskussion stellen. Somit haben auch Querdenker mit unkonventionellen Ansätzen eine Chance, was insbesondere solchen Unternehmen nutzt, deren Märkte sich schnell verändern und deshalb kontinuierlich neue Strategien verlangen.

Voraussetzung für den Wandel sind kreative Freiräume, die das Management schaffen muss: Noch bevor der Startschuss zur Modellierung fällt, muss klar sein, wer Gestaltungskompetenz hat. Dabei braucht die Unternehmensführung keine Angst vor schwarzen Informationslöchern zu haben: Während beispielsweise Abteilungsleiter die Gestaltungshoheit über ihren Bereich bekommen, kann sich das Management via Intranet jederzeit über die aktuellen Versionsstände informieren und bei Bedarf eingreifen.

Die Dezentralisierung hat aber auch ihre Grenzen: Gerade weil grafische Modellierungswerkzeuge relativ einfach zu handhaben sind, muss darauf geachtet werden, dass die Mitarbeiter aus den Fachabteilungen das erforderliche Gestaltungs-Know-how mitbringen. Andernfalls ist ein organisatorisches Chaos vorgezeichnet. Endanwendern kann zwar ein Vorschlagsrecht eingeräumt werden, die eigentliche Änderungskompetenz sollte jedoch bei den Führungskräften liegen.

Ihrerseits profitieren die Endanwender am stärksten von bereits abgeschlossenen Modellen. Diese dokumentieren die Anwendungen und können deshalb zur Schulung eingesetzt werden. Zu diesem Zweck bieten die grafischen Modelle idealerweise Einstiegspunkte, über die die User per Mausklick an die gewünschte Stelle der Anwendung gelangen: Die Geschäftsprozesse genau im Blick, lernen sie die neue Unternehmenssoftware kennen und können umgehend produktiv werden.

* Manfred Göpelt arbeitet als Autor in Köln.