IT in der Automobilindustrie

"Mobinet" zwingt politische Gegner an einen Tisch

11.09.1998

Die hochgesteckten Erwartungen in die Verkehrstelematik wurden bisher trotz üppiger Projektförderung durch die Europäische Union nur in Ansätzen verwirklicht. Noch immer herrschen in den Städten und auf Autobahnen chaotische Verhältnisse, noch immer steigen Verkehrsaufkommen, Staubbelastung und Schadstoffemissionen.

Vom Ziel eines vernünftig mit technischen Mitteln gesteuerten Verkehrs sind wir noch weit entfernt. "Die bisherigen Verkehrsprojekte sind sehr undankbar für die Presse, da niemand Veränderungen sieht", räumt sogar der Fachmann Hartmut Keller von der Technischen Universität München ein.

Um der Verkehrstelematik mit neuen Umsetzungsprojekten zum Durchbruch zu verhelfen, schrieb Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers 1997 einen Wettbewerb zum Thema "Mobilität in Ballungsräumen" aus. 155 Bewerbungen um Forschungsmittel wurden eingereicht. Eine unabhängige Kommission siebte fünf Projekte aus, darunter den Vorschlag "Mobinet" für den Großraum München.

Der kiloschwere Antrag stammt von einem Konsortium, in dem sich politische Gegner, der CSU-regierte Freistaat Bayern und die rot-grün geführte Stadt München, trotz offener Konflikte - gerade in der Verkehrspolitik - immer wieder zusammenraufen. BMW, Siemens und andere Unternehmen sind ebenfalls beteiligt.

So wird jetzt im Gebiet München die "intelligente Steuerung" des Verkehrs erstmals in großem Stil ausgetestet. Der Bund begleicht mit rund 40 Millionen Mark etwa die Hälfte der Kosten, der Freistaat wird 20, die Stadt München 12,5 Millionen Mark beisteuern.

Was soll nun in den kommenden fünf Jahren geschehen, um, so der Projektantrag, in Stadt und Region München "Mobilität dauerhaft zu erhalten und unerwünschte Verkehrsfolgen spürbar zu verringern"?

Detlef Frank, Leiter Wissenschaft und Forschung bei BMW, sieht in der "Optimierung des Gesamtverkehrs" die größten Potentiale. Mobinet sei eine "konzertierte Aktion", die verschiedenen Verkehrsmittel miteinander zu verknüpfen und besser zu nutzen.

Die Erwartungen des Freistaats Bayern richten sich auf die "Optimierung des Hauptstraßennetzes für den motorisierten Individualverkehr". Anstatt den Autoverkehr nur an einzelnen Lichtanlagen und Knotenpunkten zu steuern, will man künftig den Gesamtverkehr auf "roten Routen" verflüssigen und zu diesem Zweck die Ampelschaltungen rechnergesteuert aufeinander abstimmen. Eine neue Systemarchitektur soll den Verkehr auf den Bundesautobahnen rings um München und auf Stadtstraßen so lenken, daß es zu keinen Störungen mehr kommt. Ergänzend sollen dynamische Schilder vor ausgewählten Kreuzungen das Hauptstraßennetz darstellen und Staustrecken rot anzeigen.

Auf den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs legt die Stadt München größten Wert. Geplant ist die Entwicklung eines Störfall-Managements für das S-Bahn-Netz. Legt heute eine Störung in einem zentralen S-Bahn-Tunnel die Züge lahm, dauert es fast einen ganzen Tag, bis der Normalbetrieb wiederhergestellt ist. Ein rechnergestütztes Dispositionsverfahren soll in Zukunft dafür sorgen, daß der Fahrplan in kürzester Zeit wieder in Takt kommt. Darüber hinaus ergänzen ein verbessertes Zubringersystem zur S-Bahn in der Region sowie Parkraum-Management in der Innenstadt das Mobinet-Paket.

Wichtige Puzzleteile in der Strategie sind Multimedia-Informationsdienste. "Urban-Info" soll aktuell über den Verkehrszustand informieren, "Park-Info" über freie Stellplätze. Auskünfte über Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten sollen das Angebot abrunden und dem Bürger Alternativen zu einem Freizeitwunsch aufzeigen, der sich aufgrund der Verkehrslage gerade nicht realisieren läßt.

Als Basis für die Informationsdienste soll ein Datenverbund entstehen. Bislang scheitern Dienstleistungen für Verkehrsteilnehmer noch an der mangelnden Verfügbarkeit von Daten der öffentlichen Hand. In München sollen nun erstmals die Daten der Stadt und der Autobahnverwaltungen mit denen privater Dienstleister zusammengeführt werden.

Mobinet ist nach Überzeugung des Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude "ein Riesenschritt für den Ballungsraum München, der sich damit erneut als ein Kompetenzzentrum für Verkehrsforschung und Telematik beweisen kann". Ude warnt jedoch vor überzogenen Erwartungen: "Verkehrstelematik erfährt dort ihre Grenzen, wo zu viele zur gleichen Zeit in die gleiche Richtung wollen." Überlastungen bei extremer Verkehrslage seien durch "noch so intelligente Verkehrslenkung und -steuerung" nicht zu vermeiden.

Inspiration

Die Idee von der intelligenten rechnergesteuerten Mobilität inspiriert Politiker. So verkündet Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann auf seiner Homepage, die Verkehrstelematik werde "Kapazitätsengpässe beseitigen", "überflüssigen Verkehr vermeiden" und die "Umweltverträglichkeit wirksam verbessern".

Wie bei jeder anderen Technik kommt es bei der Verkehrstelematik darauf an, was man damit macht. Sie kann mehr Autos durch verstopfte Straßen schleusen und damit Mensch und Umwelt stärker belasten. Sie kann aber auch über Betriebsleitsysteme den öffentlichen Nah- und Fernverkehr beschleunigen und auf diese Weise Alternativen zum Auto stärken.

Der Widerspruch zwischen umweltfreundlichen und -feindlichen Maßnahmen zieht sich durch das gesamte Konzept von Mobinet. Das Projekt erinnert an einen Gemischtwarenladen, in dem sowohl Autofahrer als auch Naturschützer bedient werden. So ist es nicht auszuschließen, daß fünf Jahre nach Beendigung des Projekts wieder keine Veränderungen sichtbar sind und der Ruf nach Zuschüssen für die Erforschung und Erprobung eines intelligent gesteuerten Verkehrs in Ballungsgebieten erneut ertönt.

Johannes Kelch ist freier Autor in München.