Strategiewechsel bei UMTS-Einführung

Mobilfunker in Atemnot

05.09.2003
Die Vorschusslorbeeren für UMTS sind verwelkt. Damit die kommende multimediale Mobilfunkära nicht völlig zum Flop gerät, wollen die Netzbetreiber technisch auf Nummer sicher gehen und haben ihre Vermarktungstaktik geändert.

Vor drei Jahren hätte wohl jeder prognostiziert, die Funkausstellung 2003 in Berlin werde ganz im Zeichen des Mobilfunks der dritten Generation (3G) stehen. Die Zeit für UMTS in Deutschland hätte längst reif sein sollen, wenn wir uns an die Versprechungen der Netzbetreiber, Handy- und Equipment-Provider erinnern. Nach der insgesamt 51 Milliarden Euro teuren Auktionsorgie im August 2000 hatte der damalige Mobilcom-Chef Gerhard Schmid als erster getönt, im Herbst 2002 geht''s los. Es kam anders: Mobilcom warf bei UMTS das Handtuch und Schmid flog raus.

Doch nicht nur Schmid hat sich zu weit aus dem Fenster gelehnt. Auch die anderen Protagonisten rechneten ihre Business-Pläne schön und zeichneten für 2003 das Bild einer blühenden deutschen UMTS-Landschaft. Die Marschroute ins Zeitalter multimedialer Mobilfunkdienste war glasklar. Zunächst sollte die Einführung des Datenverfahrens General Packet Radio Service (GPRS) in die existierenden GSM-Mobilfunknetze die Basis für einen schnelleren mobilen Datentransfer schaffen, mit dem Ziel, das Konsumverhalten der Verbraucher anzukurbeln und sie gleichzeitig für die Dienste der künftigen Mobilfunkgeneration UMTS zu sensibilisieren.

Soweit die schöne Theorie. Die Praxis machte den Akteuren jedoch einen Strich durch die Rechnung. Das Platzen der Dotcom-Blase stürzte Carrier und Provider in eine ungeahnte Finanzkrise. Hinzu kamen Verzögerungen bei der Installation der GPRS-Technik sowie bei den Endgeräten. Und auch die Verbraucher spielten nicht wie erhofft mit. Die einkalkulierte Belebung des Konsumverhaltens und damit einhergehend mehr Einnahmen blieben bis heute aus. Nach wie vor stagniert der durchschnittliche Monatsumsatz pro Mobilfunkkunde zwischen 25 und 27 Euro. Da Neukunden wegen der hohen Marktsättigung von 73 Prozent kaum mehr zu gewinnen sind, führt der Weg zu mehr Wachstum nur über Verdrängungswettbewerb und zusätzliche Dienste. Hierfür wären breitbandige UMTS-Netze wichtig.

Trotzdem sind die Mobilfunker diesbezüglich recht einsilbig. Fast scheint es, als hätten die sie das Kürzel aus ihrem Sprachschatz gestrichen, assoziieren es die Verbraucher doch mit falschen Versprechungen und einem Milliardengrab. Wiederholt sind die angekündigten Starttermine gekippt worden, zuletzt dieser Tage von T-Mobile-Chef René Obermann auf der IFA. Quam gab sogar ganz auf. Nach und nach weicht die Euphorie nun der Vorsicht. Die Netzbetreiber wollen nicht weiter Gefahr laufen, UMTS durch voreilige Marketing-Versprechen und technische Mängel zu belasten. Die Erinnerungen an WAP und GPRS lassen grüßen.

"Mit der quälenden Einführung von WAP und GPRS wurde viel Schaden angerichtet", warnt etwa Jens Tiemann, Projektleiter UMTS beim Fraunhofer Institut für offene Kommunikationssysteme Geschäftsfeld 3G, vor neuerlichen Schnellschüssen. Tiemann spricht aus Erfahrung. Sein Team nimmt an einem Pilotprojekt von T-Mobile teil und forscht in einer Berliner "UMTS-Testzelle", die auch Kunden zum Experimentieren angeboten wird, an Middleware, Schnittstellen und durchgängigen Diensten für den Mobilfunk. "Vieles klappt ausgezeichnet", lobt der Insider. Dazu zählen zum Beispiel die Einwahl ins Internet, die Download-Reaktionszeiten oder die Sprachqualität im UMTS-Netz. Beim Handover, dem Wechsel von einer UMTS-Zelle zur nächsten, seien hingegen noch nicht alle Hausaufgaben erledigt, ebenso in der Abstimmung zwischen Netztechnik und Endgeräten. "Es ist richtig, mit der UMTS-Vermarktung zu warten, bis ein qualitativ hochwertiges Produkt angeboten werden kann", begrüßt der Wissenschaftler die mittlerweile besonnene Haltung der Anbieter.

Atmende UMTS-Zellen bereiten Probleme

Tatsächlich bestätigen die Experten, dass der Handover zwischen UMTS-Zellen, aber auch von UMTS- in GSM/GPRS-Zellen sowie umgekehrt, keineswegs trivial ist. Die Entwickler haben dabei mit zwei sehr komplexen Problemen zu tun: Erstens arbeiten die UMTS- und GSM-Netze mit unterschiedlichen Zugriffsverfahren. Bei GSM wird jedem Endgerät ein Zeitfenster mit definierter Übertragungsrate zugewiesen. Bei UMTS hingegen senden alle Geräte gleichzeitig mit dynamischen Bandbreiten. Die Koordination dieser beiden Ansätze ist aufwändig.

Den zweiten Knackpunkt beim Handover in UMTS-Netzen stellt laut Ulrich Möhlmann, Director UMTS Network Level & Interoperability Testing bei Lucent Deutschland, die so genannte Zellatmung dar. UMTS-Zellen verändern abhängig von der Verkehrslast ihre Reichweite. Das macht nicht nur die Netzplanung schwer, sondern fordert auch die Entwickler, weil im UMTS-Standard gleich mehrere Arten digitaler Übertragungskanäle definiert sind. In GSM gibt es hingegen nur einen definierten Sprachkanal.

Nach Ansicht Möhlmanns ist UMTS inzwischen aber ausreichend entwickelt, um zu starten. E-Plus will zur CeBIT 2004 loslegen, O2 ebenfalls im Frühjahr kommenden Jahres. Vodafone und T-Mobile halten sich hingegen bedeckt. Bei allen vier Anbietern ist aber unterdessen die Erkenntnis gereift, dass nicht UMTS selbst, sondern entsprechende Dienste vermarktet werden müssen. Dazu sind drei Faktoren unerlässlich: Funktionierende, attraktive und breit verfügbare Handys, ein vernünftiges Serviceangebot sowie bezahlbare Tarife.

Unausgereifte Handys beanstandet

In Sachen Handys klemmt es noch. Zwar gibt es erste Produkte, doch sie genügen den Anforderungen der Carrier noch nicht. Seitens T-Mobile heißt es, "Look and Feel", Standby-Zeiten, Display-Qualität und Features seien für eine kommerzielle Vermarktung nicht ausreichend. Und auch Vodafone will zum Marktstart ein breites Angebot UMTS-fähiger Geräte vorweisen, die dem Kunden einen Mehrwert bieten.

Arno Wilfert, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Arthur D. Little GmbH und Spezialist für Telekommunikation, hat für das Murren der Netzbetreiber Verständnis. "Im Endeffekt lockt das Telefon die Leute", unterstreicht er die Bedeutung vor allem funktionierender und attraktiver Handys für die Vermarktung. Wichtig ist aus seiner Sicht aber auch, dass die Handys nicht nur UMTS-fähige Dienste beherrschen, sondern die Carrier solche Services auch im Portfolio führen.

Wilfert sieht UMTS als Komplementärtechnik zu GSM, die in erster Linie mehr Bandbreite und Netzkapazität schafft. Die Provider würden deshalb auch nicht UMTS vermarkten, sondern mit breitbandigen Diensten wie Videotelefonie oder Videostreaming via Handy werben, vergleichbar der Foto-Message bei GSM. Darin besteht nach Meinung des Experten auch der Unterschied zwischen GSM und UMTS. Während bei der Einführung von der zweiten Mobilfunkgeneration mit der Sprachkommunikation eine Killerapplikation existierte, ist eine solche für 3G jedoch nicht in Sicht.

"UMTS ist eher evolutionär. Im Moment ist kein Dienst in Sicht, der absolut 3G-spezifisch ist", glaubt Fraunhofer-Experte Tiemann. Der Vorteil liege mehr in der höheren Bandbreite und im Komfort der Dienste und Anwendungen. Diese Ansicht teilt auch Möhlmann, dessen Team sich im Lucent-Testlabor stark auf den asymmetrischen Datenkanal mit 384 Kbit im Downlink und 64 Kbit im Uplink konzentriert. Möhlmann sieht den höheren Bandbreitenbedarf vor allem bei Geschäftsanwendungen. "Standardapplikationen wie Outlook laufen über GPRS nur mit Hilfsmitteln, weil die Datenrate zu gering ist und die Verzögerungszeiten zu hoch", entlarvt er die Schwäche des bestehenden Netzes.

Keine 3G-Flächendeckung

Eine UMTS-Killerapplikation kann der Techniker ebenfalls nicht erkennen. Derzeit, so Möhlmann, arbeite man daran, vorhandene Applikationen zu mobilisieren. Im Nürnberger Testcenter wurde zum Beispiel eine Client-Management-Lösung für Außendienstler als Anwendung integriert. Die Datenrate von UMTS reicht dabei aus, um externen Mitarbeitern zentral rasch ein Update aufzuspielen, zum Beispiel im Falle einer Sicherheitsbedrohung wie dem Wurm Sobig.F. Außerdem haben die Nürnberger auch eine Terminal-Applikation implementiert, die auf einem Server Programme und Daten vorhält, während auf die Notebooks nur ein Minimum an Software und Informationen aufgespielt wird.

Insgesamt besteht in der Fachwelt weitgehend Konsens darüber, dass UMTS-Dienste zunächst primär durch Geschäftskunden nachgefragt werden, weil hier Bandbreite und Schnelligkeit am dringendsten erforderlich sind. Allerdings ist UMTS mit 384 Kbit/s von den einst postulierten 2 Mbit/s weit entfernt. Die Transferrate bewegt sich zum Teil nur auf hohem ISDN-Niveau.

Flatrate als Kundenmagnet?

Marketiers dürften aber auch den so genannten "Netzwerkeffekt" nicht außer Acht lassen, warnt Berater Wilfert und spricht damit die fehlende Flächendeckung von UMTS an. Die Netze werden, daraus machen die Carrier keinen Hehl, aus Wirtschaftlichkeitsgründen nicht voll ausgebaut. Für den Anwender heißt das, UMTS-Dienste sind entweder nicht überall im Land nutzbar oder Anwendungen müssen im Extremfall beim Verlassen einer UMTS-Funkzone abgebrochen oder mit geringer Bandbreite fortgesetzt werden.

Bleibt die Frage, was UMTS-Services kosten werden. T-Mobile und Vodafone haben angekündigt, sich an den bestehenden GPRS-Tarifmodellen zu orientieren. Im Wesentlichen heißt das Pauschaltarife für Privatkunden und volumenbasierende Preise für Geschäftskunden. Nach Ansicht von Wilfert ist dieser Ansatz jedoch zu konservativ. Er rät zum Vorbild der DSL-Einführung und fordert: "Die Netzbetreiber müssen über Flatrate-Modelle nachdenken." Nur so könne schnell ein kritische Masse gewonnen werden.

Diese These stützt auch eine Studie des Management-Beratungsunternehmens A.T. Kearney. Sie brachte ans Licht, dass fast ein Drittel aller Mobilfunkkunden mobile Datendienste wegen der hohen Kosten verweigert und die Konsumenten einfache, transparente Preisstrukturen wünschen. Deshalb sei es besonders wichtig, dass schon das erste Tarifmodell für UMTS überzeugt.

Noch haben die Mobilfunker etwas Zeit, an ihren Vermarktungsstrategien zu feilen. Vor Ende 2004 wird sich kommerziell wohl nicht sehr viel tun, auch wenn die Netze zuvor offiziell angeschaltet werden. Dieser Meinung ist etwa auch E-Plus-Chef Uwe Bergheim, der erst kürzlich die Erwartungen gedämpft und das Jahr 2004 für die technische Entwicklung abgeschrieben hatte. Diese Einschätzung teilt auch Wilfert: "Frühestens im Weihnachtsgeschäft 2004 werden die Netzbetreiber anfangen, subventionierte Geräte in hohen Stückzahlen in den Markt zu drücken", prognostiziert er. Abwarten, bis zur nächsten IFA 2005 ist ja noch Zeit. Vielleicht sind UMTS-Handys dann das absolute Messe-Highlight.

Peter Gruber, pgruber@computerwoche.de