Mobile World Congress 2016

Mobilfunker im 5G-Fieber

25.02.2016
Von  und


Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Der kommende Mobilfunkstandard 5G soll nicht nur die Voraussetzungen für neuartige Digitalisierungsszenarien und das vernetzte, beziehungsweise autonome Fahren schaffen, sondern verspricht auch neue Geschäftsmodelle für die Carrier. Der Phantasie sind dabei scheinbar keine Grenzen gesetzt.
Firmenchef Tim Höttges betonte auf der Telekom-PK die Bedeutung der 5G-Technik.
Firmenchef Tim Höttges betonte auf der Telekom-PK die Bedeutung der 5G-Technik.
Foto: Jürgen Hill

"Die Digitalisierung ist das größte Geschenk für die Business-Welt", unterstrich Telekom-CEO Tim Höttges die Bedeutung der aktuellen Entwicklung. Zwar dürften bei allen Chancen und neuen Anwendungen nicht die Bedenken und Befürchtungen der Beschäftigten sowie der Bevölkerung vergessen werden. Dennoch ist Höttges überzeugt, dass die Vorteile in Medizin, Robotics, oder beim autonomen Fahren etc. überwiegen.

Wie solche neuen Anwendungen aussehen könnten, demonstrierte Höttges, der sich auf dem MWC als jugendlicher Raumschiff-Enterprise-Fan outete, anhand eines Tricoders, wie ihn der Bordarzt in der Science-Fiction-Serie nutzt. Das mobile Nano-Spektrometer kann etwa in Echtzeit Nahrung oder Metalle und sonstige Stoffe analysieren und dann etwa Informationen über die enthaltenen Nährstoffe und Kalorien geben. Damit dies funktioniert, ist das Device auf eine schnelle Verbindung in dieCloudangewiesen.

"Ohne Netz funktioniert die neue Welt nicht", so Höttges, "und wir bauen das Netz dazu." Dabei stehen die Carrier nach Höttges Schilderung vor großen Herausforderungen. Zählten in der Vergangenheit der Datendurchsatz und die Netzabdeckung als Kriterien, so komme nun im Zeitalter der Digitalisierung ein dritter Aspekt hinzu: die Latency. "War früher einen Verzögerung von 20 ms genügend schnell, so benötigen wir in der digitalisierten Welt nun eine Latenz in der Größenordnung von einer Millisekunde", beschrieb Höttgens die neuen Anforderungen an die Netze. Zudem erwartet der Telekom-Chef, dass die für 2020 prognostizierte Zahl von 50 Milliarden per IP vernetzte Devices bis 2030 auf 100 Trillionen steigt - bedingt durch unzählige Sensoren, Aktoren etc.

Telekom zeigt komplettes 5G-System

Um den Netzausbau zu stemmen, investiert die Telekom enorme Summen. 2015 hat die Telekom 12 Milliarden Euro in den Ausbau ihrer Netze investiert, davon 4,1 Milliarden in Deutschland. Auch 2016 sind dafür Milliardeninvestitionen geplant. Ein Teil des Geldes fließt etwa in den Ausbau des 5G-Netzes als Nachfolger von LTE. Spätestens 2020 ist der Rollout der neuen Mobilfunkgeneration geplant. In Barcelona zeigt die Telekom zum ersten Mal nicht nur Bausteine, sondern ein komplettes 5G-System. Dabei durchbricht sie bei der Latency eine Schallmauer: Sie liegt - Ende zu Ende - unter einer Millisekunde. Zum Vergleich: Aktuelle LTE-Netze liegen bei rund 40 ms.

Zudem erlaubt es die neue Mobilfunktechnik dank Multi-Slicing individueller auf die Anforderungen der Kunden einzugehen: So hat die Telekom in ihrer Demo das 5G-Netz in drei virtuelle Netze unterteilt - etwa ein 5G-Netz, ein virtuelles LTE-Netz und Netz für Tausende von Vernetzungen im so genannten Schmalband (Narrowband IoT). Im 5G-Netz erreicht der Carrier mit einem Smartphone-Prototyp einen Datendurchsatz von mehr als 1,5 Gigabit pro Sekunde.

"5G kommt früher als erwartet"

Nicht nur Telekom-Chef Höttges, auch die Netzausrüster können ihre Euphorie kaum bremsen. Obwohl die Standards für die nächste Mobilfunkgeneration noch nicht ausformuliert sind, stehen Anbieter wie Nokia schon in den Startlöchern. "Selbst wenn es einige überrascht, wird 5G schneller kommen als erwartet", erklärte etwa Nokia-CEO Rajeev Suri zum Auftakt der weltgrößten Mobilfunkmesse in Barcelona. Der Chef des finnischen Mobilfunkausrüsters geht davon aus, dass mit der Umstellung derNetze auf 5G-Technologie deutlich früher begonnen wird als wie bislang angenommen.

Die Roadmap der EU-Kommission geht von kommerziellen 5G-DEployments ab 2020 aus.
Die Roadmap der EU-Kommission geht von kommerziellen 5G-DEployments ab 2020 aus.
Foto: EU-Kommission

Suri zufolge will sein Unternehmen noch in diesem Jahr mit den Investitionen in 5G-Technologie zu beginnen. Der Verkauf von Ausrüstung, die auf sich 5G upgraden lasse, könnte bereits 2017 beginnen. 2020 werden wahrscheinlich die 5G-Rollouts im großen Stil beginnen, so Suri, Davor würden Provider aber bereits ab 2017 ihre bestehende LTE-Infrastruktur auf frühe 5G-Anwendungen migrieren können.

Volker Held, seines Zeichens Head of Innovation Marketing bei Nokia Networks, bestätigte diese Pläne im CW-Gespräch. Wie sein Titel bereits andeutet, befasse sich Nokia schon mit der Vermarktung von 5G-Equipment. Auch wenn die Standards voraussichtlich erst 2019 verabschiedet werden würden, gibt es Held zufolge schon eine große Kenntnis darüber, welche Technologien zum Einsatz kommen werden, etwa Massive MiMo und eine Rahmenstruktur mit geringer Latenzzeit. Diese Eigenschaften gelte es nun in Feldversuchen zu verifizieren, außerdem werde man die Zeit nutzen, um die 5G-Technik auf Probleme zu untersuchen und zu härten.

Das neu vorgestellte Produkt AirScale Radio Access laufe aber bereits in Demos robust mit 2,5 Gigabit/s im Down- und Upstream und könne sogar noch mehr Durchsatz bereitstellen - dies alles bei Latenzzeiten im einstelligen Millisekundenbereich. Pre-Standard-5G komme auch für eine neue Technik zur Datenübertragung auf der letzten Meile via Richtfunk namens FastMile zum Einsatz, so der Nokia-Manager. "Wenn die Standards da sind, wird die Technik angepasst und es kann losgehen.

"5G ist immer noch die eierlegende Wollmilchsau"

Von den groß angelegten Vorstellungen der vergangenen Jahre, was der neue Standard leisten muss, sei überraschend viel übrig geblieben, bestätigte Held. "5G ist immer noch die eierlegende Wollmilchsau", erklärte er, "aber technisch beherrschbar, da alles flexibel angelegt ist". So lasse sich die Mobilfunktechnologie durch Network Slicing in verschiedene Netze partitionieren. Werde diese Technik, die auf Software-Defined Networking (SDN) und Network Functions Virtualization (NFV) basiert, sauber orchestriert, stünden diese Funktionen über alle Netze hinweg bereit.

Network as a Service

Rund um die Möglichkeit des Network Slicing (das natürlich auch Nokia-Wettbewerber wie Cisco, Ericsson oder Huawei beherrschen), wittert Terry McCabe, CTO der Mobile-Division beim kanadischen Netzausrüster Mitel, die Chance für neue Serviceangebote der Carrier. Neben der Unterteilung nach verschiedenen Nutzungsszenarien, z.B. für IoT, könnten diese einem Unternehmen ein dediziertes virtuelles Netz mit einer speziellen Dienstgüte und SLAs bereitstellen.

Da die Slices komplett voneinander getrennt seien, hält McCabe es außerdem für denkbar, dass multinationalen Konzernen ihr eigenes globales und besonders abgesichertes Netz bereitgestellt werde. Und kleinere Unternehmen könnten in Verbindung mit Cloud-Diensten gleich komplett auf eine eigene Netzinfrastruktur zu verzichten. Die Voraussetzungen, damit sich die Carrier auf diese Weise vom Wettbewerb differenzieren könnten, habe man bereits mit LTE als All-IP-Netz geschaffen.

Ian Meakin, Manager von Mycom OSI, sieht noch andere Optionen für Carrier. In Zeiten mit freien Kapazitäten in einem Bereich, etwa an einem Wochenende könnte man diese anderen Mobilfunkkunden als Special offerieren oder zur Versorgung von Besuchern eines Fußballstadions verwenden, so der Marketing-Chef des britischen Anbieters für Network Quality Assurance & Analytics. Im Umkehrschluss sei aber auch denkbar, dass Mobilfunknutzern bei hoher Auslastung gegen Aufpreis eine Extraspur auf der Datenautobahn geöffnet wird.

Rein technisch ist das alles bereits machbar: So führte Nokia an seinem Messestand vor, wie man innerhalb von zwei Minuten eine individuelle Netzarchitektur für einen spezielles Anwendungsszenario, Millionen von Nutzern oder Maschinen sowie mit einer Statistik- und Billing-Funktion bereitstellen kann. Eine andere Frage ist allerdings, inwieweit hierbei die Netzneutralität verletzt wird. Nach gewissen Äußerungen von EU-Digitalkommissar Günther Oettinger zu dem Thema kann man aber davon ausgehen, dass seine Behörde solch kreativen Umsatzmodellen der Mobilfunkbetreiber kaum einen Riegel vorschieben wird.