Europas Vorsprung bei Wireless Technologien bröckelt

Mobile Internet - made in USA?

29.03.2002
MÜNCHEN (CW) - Schon länger haben IT-Anbieter das Mobile Internet entdeckt. Mit Konsequenzen: Denn während die europäische Telco-Industrie noch ihre teuren UMTS-Investitionen verdaut, stecken Microsoft, Sun & Co. längst ihre Claims bei Betriebssystemen und Anwendungssoftware für Mobile Devices ab.

Schon auf dem 3GSM World Congress Ende Februar in Cannes dürfte auch dem letzten Beobachter die sich anbahnende Verschiebung der Kräfteverhältnisse im weltweiten Mobilfunkmarkt klar geworden sein. Erstmals waren auf dem mittlerweile wichtigsten Event der Branche nicht nur die üblichen Verdächtigen der Szene wie Nokia, Ericsson, Motorola und Siemens, sondern auch gestandene IT-Firmen wie Intel und Sun Microsystems vertreten. Während die Telco-Ausrüster und Netzbetreiber an der Cote`Azur nach wie vor das Hohe Lied auf UMTS als der kommenden Mobilfunk-Generation sangen und dabei verkrampfter denn je nach den viel zitierten Killerapplikationen für die neuen Netze suchten, zeigte sich das IT-Lager wesentlich pragmatischer. Im Mittelpunkt standen dort Business-Lösungen für das Mobile Office, also der Zugang zu Portalen und Datenbanken via Wireless LAN sowie portablen Endgeräten basierend auf den Mobilfunkstandards GMS, GPRS und künftig natürlich auch UMTS.

Nicht viel anders verhielt es sich auf der vergangene Woche zu Ende gegangenen CeBIT. "Viele UMTS-Geräte werden standardmäßig einfache Kameras enthalten. Und niemand wird es sich nehmen lassen, aus dem Urlaub von der Strandbar ein paar Live-Fotos mit Meeresrauschen im Hintergrund an die bleichgesichtigen Kollegen zu Hause zu schicken", legte sich Siemens-Vorstand Volker Jung pflichtbewusst in Sachen UMTS-Killerapplikation ins Zeug. Doch für den - wenn überhaupt - Höhepunkt in Hannover sorgten zwei andere Prominente: Ron Sommer und Steve Ballmer. Beide CEOs verkündeten eine umfassende Zusammenarbeit. So ist unter anderem vorgesehen, dass die Telekom-Tochter T-Mobile schon ab Sommer auf Microsofts .NET-Plattform basierende mobile Datendienste für Geschäftskunden anbietet. Die Bonner werden dabei .NET-Server einsetzen und Anwendungen mit Microsofts-Tools entwickeln.

Vieles an dem in Hannover groß propagierten Deal wird in den kommenden Monaten noch kritisch zu hinterfragen sein. Doch auf die Zwischentöne kommt es derzeit an. Denn das Dax-Unternehmen Telekom mit gut 48 Milliarden Euro Umsatz dürfte nach Lage der Dinge bei der Entwicklung von mobilen Datendiensten der Zukunft nur Juniorpartner der Gates-Company sein - sich damit aber immer noch in einer besseren Position befinden als viele Wettbewerber. Immer mehr Experten sehen jedenfalls die Rolle der europäischen UMTS-Netzbetreiber auch künftig als reine Carrier, die allenfalls mit einem intelligenten Billing und kleineren Value-Added-Services einen Teil des zu verteilenden Kuchens ergattern werden. Die Musik spielt aber anderswo - bei den Anwendungen und Betriebssystemen.

Allerdings lässt sich nicht behaupten, dass diese Entwicklung eine Überraschung darstellt. Denn die hinlänglich bekannte Diskussion um die Milliardeninvestionen für die UMTS-Lizenzen, die daraus resultierende hohe Verschuldung vieler Netzbetreiber, das Fehlen besagter Killerapplikation und der in der Summe daraus resultierende zögerliche Netzaufbau haben, wie Hypo-Vereinsbank-Analystin Monika Hartmann unlängst feststellte, aus dem gesamten UMTS-Marktszenario eine "bis auf weiteres ungesicherte Großbaustelle" gemacht. "Der Umsatz muss von den Datendiensten kommen", erklärte denn auch T-Mobile-Chef Kai-Uwe Ricke auf der 3GSM World in Anspielung auf die Tatsache, dass die Netzbetreiber ihre hohen UMTS-Investitionen nur durch eine Verdoppelung des durchschnittlichen Umsatzes pro Kunde wieder werden einspielen können. Das Problem ist nur: Die Mobilfunkanbieter haben weder originelle Ideen noch Erfahrung in der Anwendungsentwicklung. Schlimmer noch: Europas Softwareindustrie ist weitgehend außen vor.

Rückblende: Bereits 1987 einigten sich die Europäer auf den einheitlichen Mobilfunkstandard GSM, was dann in der Folge in den 90er Jahren - auch im Zuge der Marktliberalisierung - das mobile Telefonieren zu einem für die Netzbetreiber mehr als lukrativen Massenmarkt machte. Der Alte Kontinent gilt seither als weltweit führend in Sachen mobile Kommunikation - weit vor den Vereinigten Staaten, wo sich Handy-Kunden erst seit kurzem bei einigen Netzbetreibern via GPRS landesweit verständigen können. Nur: Mit Sprachübertragung und SMS-Botschaften allein wird sich, wie schon erwähnt, im Mobilfunk der dritten Generation kaum Geld verdienen lassen.

Hinzu kommt ein "Strukturproblem" der Europäer. Schon vor zwei Jahren wurde auf der CeBIT von den einschlägigen Telco-Ausrüstern, Netzbetreibern, aber auch ganzen Heerscharen von Softwarefirmen, darunter vielen Startups, das mobile Internet als Allheilmittel der Zukunft angepriesen - seinerzeit mittels Wireless Application Protocol (WAP), einer Technologie, die sich als Flop erwiesen hat. Mit fatalen Folgen: Dutzende so genannter Garagenfirmen in Deutschland, vor allem aber im Umfeld der skandinavischen Netzausrüster und Handy-Produzenten Nokia und Ericsson, sind wieder von der Bildfläche verschwunden.

Neuer Wireless-Standort Silicon ValleyDie wenigen neuen Softwarefirmen aus dem Dunstkreis der europäischen Mobilfunkszene aber, die sich neben etablierten Häusern wie der Dortmunder Materna GmbH haben über Wasser halten können, sind heute im Silicon Valley anzutreffen - etwa die schwedische Ellipsus Systems AB, die ebenfalls als WAP-Company begann und heute mit einer als "strategischen Beteiligung" getarnten Finanzspritze von Sun Microsystems Mobilfunkanwendungen auf der Basis der Programmiersprache Java entwickelt. Bedenklich dürfte in diesem Zusammenhang auch eine Statistik stimmen: Knapp 14 Milliarden Euro haben jüngsten Schätzungen der Investmentbank Goldman Sachs zufolge Venture-Capital-Gesellschaften in US-amerikanische Wireless-Companies, die sich vorwiegend im Sun- oder Microsoft-Umfeld bewegen, investiert. Hingegen flossen lediglich rund vier Milliarden Euro zu deren europäischen Pendants.

Das Startzeichen für den europäischen UMTS-Markt könnte deshalb, wie Insider ironisch kommentieren, unter Umständen aus Übersee kommen. Zum Beispiel in Form der eingangs erwähnten Business-Anwendungen, mit denen etablierte IT-Anbieter wie beispielsweise Compaq jüngst auf der CeBIT hausieren gingen. Dort aber dürfte, jedenfalls auf dem Betriebssystem- und Anwendungssektor, alles auf den schon bekannten Zweikampf zwischen Microsofts .NET- und Suns Java-Plattform hinauslaufen. UMTS beziehungsweise die Übergangslösung GPRS wären dann lediglich das, als was es die IT-Industrie derzeit gerne darstellt: eine bloße Zugangstechnik. (gh)