Mobbing: Als letzter Ausweg bleibt die Kündigung

14.08.2002
Von in Bettina
Mobbing kann jeden treffen. Auch die IT-Branche mit ihren jungen Unternehmen bildet einen guten Nährboden, da das Führungspersonal oft unerfahren und die Organisation noch nicht stabil ist. Eine Firma kann vieles tun, um Mobbing im Vorfeld zu verhindern, existiert jedoch bereits der Konflikt, können sich die Betroffenen nur selten erfolgreich wehren.

Seit dem 1. August 2002 haben Beschäftigte mehr Rechte, um gegen Mobbing vorzugehen. Sie können erstmals Schmerzensgeld vom Arbeitgeber verlangen, wenn dieser nicht alles unternimmt, um in seinem Betrieb Gesundheitsverletzungen durch Mobbing oder sexuelle Belästigungen zu verhindern. „Damit wird der Druck auf Arbeitgeber erhöht, Mobbing am Arbeitsplatz zu verhindern“, sagt Ulrike Mascher, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium.

800.000 Beschäftigte sind betroffen

„Jeder kann zum Mobber oder Gemobbten werden. Das hängt nur von den Umständen ab, unter denen gearbeitet wird“, meint Ulrike Teske, bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zuständig für Arbeits- und Gesundheitsschutz. Systematische Angriffe durch Kollegen oder Führungskräfte gibt es in allen Branchen, Betriebsgrößen und Hierarchien – unabhängig vom Bildungsgrad der Betroffenen. In Deutschland leiden 800 000 Menschen oder 2,7 Prozent der Arbeitnehmer unter regelmäßigen Quälereien im Job, stellte der kürzlich erschienene Mobbing-Report der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin fest. Dafür wurden erstmals 2500 Arbeitnehmer im Alter von 18 bis 65 Jahren befragt.

Ein typisches Mobbing-Opfer ist Rudolf G. Der heute 51-Jährige arbeitete von 1996 bis 1999 bei einem nordbayerischen Softwarehaus, das in Spitzenzeiten 33 Mitarbeiter beschäftigte. In dieser Firma entschied der Geschäftsführer und Gründer nicht allein, sondern bezog seinen Netzwerkadministrator und einen Programmierer, beide Mitarbeiter der ersten Stunde, in sämtliche Prozesse ein. Sie biederten sich beim Chef an, lästerten über Kollegen und hielten wichtige Arbeitsmittel zurück. Um ihr Herrschaftswissen zu sichern, verhinderten sie, dass ihre Kollegen Schulungen oder Entwicklertagungen besuchen durften.

Obwohl sich die Kollegen beim Geschäftsführer beschwerten, ließ dieser die beiden gewähren und kümmerte sich nicht um die Probleme im Team. „Eigentlich fühlte ich mich von Anfang an in der Firma unwohl“, erinnert sich G. Eine Erfahrung, die viele Betroffene machen. Oft zeigt sich schon im Vorstellungsgespräch die Diskrepanz zwischen der eingeforderten Teamfähigkeit und dem konkreten Verhalten der Firmenvertreter. So sollte der Bewerber aufhorchen, wenn ein Abteilungsleiter die Kollegialität im Unternehmen preist, um im gleichen Atemzug die Assistentin anzuherrschen. „Das Problem ist, dass viele nicht ihrem Instinkt vertrauen, sondern zu gern an die Versprechungen glauben möchten“, stellt auch Beate von Eisenhart von der Organisationsberatung Profile, Hannover, fest.

Männer verleugnen Probleme

Softwareberater G. ließ sich im Konfliktgespräch von dem Versprechen seines Chefs blenden, er könne künftig einen klar abgegrenzten Kundenkreis alleinverantwortlich betreuen und müsse nicht mehr mit den beiden Vertrauten des Chefs zusammenarbeiten. Aber es kam völlig anders: Die beiden lasen G.s E-Mails und plauderten sein Gehalt aus. Schließlich bekam er den Auftrag, eine neue ERP-Software bei Kunden einzuführen, ohne je auf das Produkt geschult worden zu sein. Ihm blieb nur die Kündigung.

Die Vorgänge, die eine Zusammenarbeit in diesem Softwarehaus unmöglich machten, sind nach Einschätzung von Experten typisch. Ungewöhnlich ist allerdings das konsequente Verhalten des Softwareberaters. Insbesondere Männer wollen vorenthaltene Arbeitsmittel, verweigerte Weiterbildung oder systematische Überforderung nicht als Mobbing verstehen. Experten von Krankenkassen und Gewerkschaften stellen fest, dass das vermeintlich starke Geschlecht kaum in den Beratungsstellen auftaucht, auch wenn die Arbeitssituationen alle Mobbing-Merkmale aufweisen. Beraterin von Eisenhart berichtet: „Männer haben eine besondere Einstellung zum Beruf: Ich gehe ins feindliche Leben, da muss ich durch.“

Unklare Hierarchien begünstigen Mobbing

Gerade in der IT-Branche begünstigen die Strukturen und die Führungskultur häufig Mobbing. Laut Bärbel Hannemann, Projektleiterin bei der Gesellschaft für Arbeit und Sozialrecht, Berlin, führen gerade in jungen Unternehmen unausgeprägte Hierarchien und eine unklare Aufgabenverteilung zu Konflikten. Zudem sei es um die soziale Kompetenz vieler Führungskräfte schlecht bestellt.

Nach Angaben des Mobbing-Reports der Bundesanstalt für Arbeitsschutz geht Mobbing in mehr als der Hälfte aller Fälle von Führungskräften aus oder findet unter ihrer Mitwirkung statt. Verdi-Mitarbeiterin Teske kann das aus ihrer eigenen Beratungserfahrung bestätigen. Häufig duldeten Vorgesetzte Mobbing unter ihren Mitarbeitern, weil sie selbst nicht wüssten, wie sie mit Mobbing-Vorfällen umgehen können.

Auch Ulf Imiela vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) prangert die schlechte Führungsqualität in vielen Unternehmen an. Gerade in IT-Firmen gebe es oftmals keine gute Organisation, die innerbetrieblichen Abläufe stimmten nicht. Imiela hat Fälle betreut, in denen ältere Kollegen oder Mitarbeiter mit Familie dem Leistungsdruck, der durch junge IT-Freaks erzeugt wurde, nicht standhalten konnten. „Manche jungen Kollegen legen das Verhalten von Profisportlern an den Tag. Sie hauen zehn Jahre lang voll rein, arbeiten 60 bis 80 Stunden die Woche.“ Ältere Kollegen, die ein Privatleben pflegen, könnten und wollten da nicht mehr mithalten. Krankheiten wie Herz-/Kreislaufbeschwerden und Migräne hinderten die Betroffenen daran weiterzuarbeiten. Dem psychosozialen Druck wollen viele durch Kündigung entrinnen.

„Die Selbstkündigung wollen wir möglichst vermeiden“, so Hannemann von der Gesellschaft für Arbeits- und Sozialrecht. Allerdings sei eine weitere Zusammenarbeit nach Mobbing-Attacken meist unmöglich. Sie beriet vor einiger Zeit einen 42-Jährigen, den seine Teamkollegen wegen seines Stotterns verspotteten. Da er unter den Anfeindungen offensichtlich litt, zweifelten die Kollegen auch seine Leistung an. Sein Arbeitgeber verdonnerte ihn da-raufhin zu Arbeiten, für die er überqualifiziert war. Als er versuchte, in Gesprächen den Angriffen auf den Grund zu gehen, beschimpften ihn die Kollegen als paranoid. Schließlich sah er keinen anderen Ausweg, als zu kündigen. Mit Hilfe der Berliner Arbeitsrechtsgesellschaft konnte der Betroffene zumindest eine einvernehmliche Trennung erwirken.

Eine Rückkehr ins Team ist meist unmöglich, so Hannemann. Die Expertin im Arbeitsschutz hat eine bittere Gewissheit: „Trotz aller rechtlichen Instrumentarien bleibt uns nur, die Betroffenen aus der Schusslinie zu nehmen, also den Arbeitgeber zu wechseln. Denen, die Mobbing betreiben, passiert selten etwas.“

Wenigstens finden die Betroffenen bei den Beratungsstellen Gehör und professionelle Hilfe. Hannemann verfügt über ein Verzeichnis Mobbing-vertrauter Ärzte und Rechtsanwälte. Kündigungen aufgrund von Mobbing-Attacken lassen sich durchaus verhindern, betont Verdi-Frau Teske. Bereits allgemeine Aufklärung – durch Vorträge auf Betriebsversammlungen oder Infobroschüren – sensibilisiert Mitarbeiter und Führungskräfte. Außerdem kann der Arbeitgeber oder Betriebsrat Informationen aus der Belegschaft über das Betriebsklima sammeln.

Zusätzlich sollten Betriebsratsmitglieder entsprechend geschult sowie die Geschäftsführung oder Personalabteilung in Gesprächen auf das Phänomen aufmerksam gemacht werden. Auch betriebliche Strukturen können so angepasst werden, dass persönliche Attacken unter Kollegen gar nicht erst Teil der Unternehmenskultur werden: Eine Betriebsvereinbarung, die Mobbing ächtet und einen kollegialen Umgang einfordert, kann helfen, Konflikte zu verhindern.

Was ist Mobbing?

Man versteht darunter das zielgerichtete, andauernde und systematische Anfeinden, Schikanieren und Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte. Ein solcher Angriff auf das soziale Ansehen, die Berufs- und Lebenssituation sowie auf Kontakte und Aufgaben liegt etwa vor bei: • Ständiger unberechtigter Kritik an der Arbeit, • Einschränkung der Möglichkeiten, sich zu äußern, • Kontaktverweigerung (soziale und/oder räumliche Isolation), • ständigen Beleidigungen, Verleumdungen, üblen Nachreden (Verbreitung von Gerüchten), Lächerlichmachen (Abqualifizierung durch Vorgesetzte vor Kollegen), • sexuellen Annäherungen und/oder verbalen sexuellen Angeboten, • Art und Inhalt der Zuteilung über- oder unterfordernder sowie gesundheitsschädlicher Arbeiten sowie • Androhung oder Ausführung körperlicher Gewalt.

Wo es Hilfe gibt

Zahlreiche Behörden, Verbände, Vereine und Institutionen befassen sich mit Mobbing und stehen Betroffenen mit Rat und Tat zur Seite. Hier eine kleine Auswahl an Internet-Adressen, die weiterhelfen:  www.gesuender-arbeiten.de (Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen),

www.fairness-stiftung.de (Mobbing-Beratung für betroffene Führungskräfte),

www.sozialnetz-hessen.de/ergo-online,

www.mobbing-am-arbeitsplatz.de (Chat-Forum Betroffener),

www.baua.de (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin),

www.mobbing-net.de (Verein für Arbeitsschutz und Gesundheit durch systemische Mobbingberatung und Mediation e.V., entstanden 1994 in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen).

Ansprechpartner sind ebenso die örtlichen Krankenkassen, Gewerkschaften sowie Angestellten- und Arbeiterkammern.