Das Internet als verlängerte Ladentheke

Mittelstand geht im Netz auf Kundenfang

30.08.2002
MÜNCHEN (rg) - Allen Grabreden zum Trotz wird das E-Business auch für kleinere und mittelständische Unternehmen zur Normalität. Dabei gibt es jedoch große Unterschiede zwischen den Branchen. Auch mittlerweile im Internet erfolgreiche Firmen haben oft einen steinigen Weg hinter sich.

Die inflationär strapazierten Begriffe E-Business und E-Commerce taugen in manchen Manager-Kreisen lediglich noch als Synonyme für Erfolglosigkeit. Den aktuellen Zustand der Bemühungen von Unternehmen, das Internet gewinnbringend zu nutzen, beschreibt solcherlei Genörgel allerdings genauso wenig wie die blinde Begeisterung der Boom-Phase. Auch der elektronisch angeblich zurückgebliebene Mittelstand kann mit derart oberflächlichen Bekundungen nicht viel anfangen. "Das Gejammer geht mir langsam auf die Nerven", bringt Ralf Kessenich, Leiter E-Commerce bei Zweitausendeins, einem Musik- und Buchhändler mit deutschlandweit 15 Filialen, die Stimmung auf den Punkt.

Dass die Nutzung des Internets inzwischen in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) aus dem Dienstleistungs- und Handelsbereich zur Normalität geworden ist, belegt auch eine Studie des ECC Handel in Köln. Über 3100 KMU verschiedener Branchen hat die Forschungsinitiative unter Leitung des Instituts für Handelsforschung an der Universität zu Köln befragt.

Immerhin ein Drittel der Befragten verbindet mit der Internet-Nutzung eine Vielzahl von Chancen für das eigene Unternehmen und konstatiert positive Auswirkungen des Web-Auftritts auf das traditionelle Geschäft. Die zentrale Frage, ob sich im Internet auch Geld verdienen lässt, beantwortet die Studie nur auf den ersten Blick mit enttäuschenden Werten: Im Durchschnitt bewegte sich bei den befragten KMUs der Online-Anteil am Endkundengeschäft 2001 bei einem Prozent. Dies liegt jedoch nicht an schlechten Geschäftsaussichten, sondern vielmehr daran, dass ein großer Teil der Unternehmen seine Website ausschließlich als Informationsmedium anbietet. Fließen nur Unternehmen in die Berechnung ein, die tatsächlich online Produkte oder Dienstleistungen verkaufen, steigt der Wert auf 5,3 Prozent vom Gesamtumsatz. Im laufenden Jahr rechnen die Firmen mit einer Steigerung auf 7,7 Prozent.

Restposten lassen sich günstig losschlagen

Betreiber von offensichtlich gelungenen Webshops bestätigen die Studienergebnisse: Zweitausendeins erzielt acht Prozent seines Umsatzes online, was die Einnahmen eines der 15 Ladengeschäfte übertrifft. "Der Unterschied ist, dass trotz der Aufwendungen für die IT und die Pflege des Online-Shops deutlich niedrigere Kosten anfallen als für den Unterhalt einer Filiale", so Kessenich. Daneben lobt der E-Commerce-Fachmann die unbeschränkten Öffnungszeiten oder die Möglichkeit, auf den Web-Seiten mehr Informationen anzubieten als im Katalog. Auch könnten dort Restposten günstig losgeschlagen werden. Ein "Merkmail" getaufter Newsletter soll die Kundenbindung erhöhen, indem dort bestimmte Artikel exklusiv angeboten werden.

Auch Georg Wahlicht, Leiter Vertrieb bei Hein Gericke, ist mit den Web-Aktivitäten seines Unternehmens zufrieden. Von den rund 80 Millionen Euro Gesamtumsatz konnte der Anbieter von Motorradbekleidung und Zubehör zehn Prozent im Versand erzielen - und hier den überwiegenden Teil via Web. Vor allem technische Verschleißteile wie Bremsbeläge oder Zündkerzen ließen sich gut online absetzen. Motorradbekleidung verkaufe sich dagegen in den rund 70 Ladengeschäften besser.

Erstaunlicherweise gibt es der ECC-Studie zufolge keinen Zusammenhang zwischen der Dauer der Internet-Nutzung und dem Grad der Zielerreichung. Während einige Unternehmen in relativ kurzer Zeit für sie befriedigende Lösungen in Betrieb nehmen konnten, sind andere trotz längerer Nutzungsdauer mit den Resultaten noch nicht zufrieden. Eine Rolle spielt dabei auch, dass mit zunehmender Nutzungsdauer die Ansprüche steigen.

Ein Unternehmen, das schon vor dem Siegeszug des Internets Produkte elektronisch vertrieben hatte, ist Conrad Elektronic GmbH. Die Kunden nutzten bereits Btx als Bestellweg. Seit 1997 bietet das Unternehmen sein gesamtes Sortiment im Internet an. Es ist von damals 35000 Artikeln auf mittlerweile 60000 Produkte angewachsen.

Stacheldraht in den Taschen

Obwohl für den langjährigen Versandhändler das Internet lediglich einen neuen Vertriebskanal darstellte, gelang die Einrichtung entsprechender Systeme nicht reibungslos. "Gerade bei unserer ersten Shop-Generation verlief die Anbindung an die Hauptsysteme nicht ganz ohne Probleme", erinnert sich Werner Conrad, Geschäftsführer der Conrad Holding. Zu diesem Zeitpunkt habe beispielsweise keines der angebotenen Standardsoftwarepakete ein derart großes Datenvolumen verarbeiten können.

Insgesamt zieht Werner Conrad jedoch eine positive Bilanz: "Vergleiche mit Wettbewerbern zeigen, dass wir im Verhältnis relativ wenig Lehrgeld bezahlt haben." Im Gegensatz zu Aktiengesellschaften habe das Familienunternehmen nicht mit dem Geld fremder Leute waghalsige IT-Investitionen finanzieren können. "Wir haben in dieser Hinsicht wohl eher Stacheldraht in den Taschen, und rückblickend war das auch gut so." Mittlerweile beträgt der Anteil des Internet-Geschäfts rund 35 Prozent am Versandhandelsumsatz. Conrad ist sicher, mit dem Online-Auftritt Kunden gewonnen zu haben, die normalerweise nicht per Mailorder kaufen würden. Sofortige Bestandsauskunft, Ordertracking oder Datenblatt-Download zählt der E-Business-Pionier als Kundenvorteile auf. Sein Unternehmen profitiere dagegen von niedrigeren Prozesskosten.

Zweitausendeins arbeitet noch an der durchgängigen Anbindung des Web-Shops an die Backend-Systeme. Insgesamt kämpft das Unternehmen jedoch weniger mit technischen Problemen. "Wir haben immer nur angeboten, was wir auch leisten konnten. Dabei mussten wir allerdings feststellen, dass Zeit bei Technikern manchmal eine ganz irreale Bedeutung hat", klagt Kessenich.

Hilfe- und Wutschreie

Schwierig war es, die mit dem Internet-Angebot verbundene Beschleunigung in den mit der Auftragsabwicklung befassten Abteilungen umzusetzen. Früher sei alle zwei Monate ein neuer Katalog veröffentlicht worden, heute ändere sich das Angebot wesentlich schneller, so Kessenich. "Da gab es eine Phase, da konnte ich die Hilfeschreie aus dem Lager und die Lagermitarbeiter konnten meine Wutschreie nicht mehr hören. Mittlerweile vertragen wir uns wieder." Insgesamt ist Kessenich vom Internet überzeugt: "Ich glaube nicht, dass man es sich heute leisten kann, auf einen Online-Auftritt zu verzichten."

Branchenspiegel

Ein Viertel der für die ECC-Studie befragten Unternehmen nannte als größtes Problem beim E-Business die geringe Eignung seiner Produkte für den elektronischen Vertrieb. Die Autoren der Studie verweisen außerdem darauf, dass die Ergebnisse branchenabhängig stark variierten. Im Einzelhandel belegen unter den Unternehmen, die Waren elektronisch verkaufen, Autohäuser, Buch- und Zeitschriftenhandel, Motorradhändler sowie die in der Kategorie "Sonstiger Facheinzelhandel" zusammengefassten Anbieter von Hardware, Software und Geschenkartikeln die Spitzenplätze. Schlusslichter sind erwartungsgemäß Bekleidungs- und Schuhfachgeschäfte sowie Apotheken. Ein ähnliches Muster zeichnet sich beim Online-Umsatzanteil ab. Hier liegt der "sonstige" Fachhandel mit zwölf Prozent vor dem Motorradhandel mit 8,2 und den Autohäusern mit 6,2 Prozent. Mit lediglich 0,6 Prozent erwirtschaften Möbelhändler via Internet den geringsten Umsatzanteil.