Alternative zur Standleitung

Mittelständler überbrückt letzte Meile mit Richtfunk

06.10.2000
HAMBURG (hi) - Trotz TK-Liberalisierung ist für viele mittelständische Unternehmen eine schnelle Internet-Anbindung nicht bezahlbar. Der kostentreibende Faktor ist dabei meist die Standleitung zum Point of Presence (POP) des Internet-Providers. Eine Alternative, um die letzte Meile zu überbrücken, kann der Richtfunk sein, wie das Beispiel der Hamburger Tinfactory zeigt.

Wir müssen ins Internet - was für viele IT-Hersteller nur ein mehr oder weniger publikumswirksamer Werbeslogan ist, stellt für zahlreiche Startup-Companies die wirtschaftliche Grundlage dar. Sie haben, wie etwa die Von Frihling AG in Hamburg, ihre Geschäftsidee auf dem Internet aufgebaut.

Das junge Unternehmen, das seit Oktober 1999 als Aktiengesellschaft firmiert, hat sich auf die Online-Marktforschung spezialisiert. Via Internet befragen die Hamburger für Kunden wie Kraft, Philip Morris etc. deren Website-Besucher, evaluieren die emotionalen Tendenzen von Surfern oder veranstalten Befragungen zur Markteinführung eines neuen Produktes. Darüber hinaus veranstalten die Marktforscher Ad-hoc-Befragungen für Zeitungen und andere Medien, bei denen etwa nach drei Stunden ein Meinungsbild zu einem aktuellen Thema vorliegen soll. Ebenso zum Alltag gehört etwa die Einberufung von Online-Fokus-Gruppen, die dann via Internet über ein Thema oder Produkt diskutieren. Alles Dienstleistungen, die im Schnitt, so die Erfahrung des Firmengründers Stefan von Frihling, an einem halben Tag zwischen 12000 und 25000 Zugriffe generieren.

Weil das Internet für die Marktforscher eine zentrale Rolle spielt, legt von Frihling auf die hundertprozentige Zuverlässigkeit seiner Internet-Anbindung höchsten Wert, "denn wenn das Netz eine halbe Stunde ausfällt, bedeutet das für uns den Verlust eines Auftrages". Die geforderte Zuverlässigkeit ist jedoch nur eine Seite der Medaille, auf der anderen erwartet der Manager von seinem Internet- und IT-Partner ebenso hundertprozentige Vertraulichkeit. "Gerade bei Umfragen zu neuen Produkten legen unsere Kunden Wert darauf, dass die Ergebnisse nicht bekannt werden", erklärt von Frihling seine hohen Anforderungen in Sachen Sicherheit.

Anforderungen, die ihm Kim Matsumoto, Geschäftsführer der Engine Software Solutions erfüllt. Matsumoto betreut als IT-Dienstleister die DV-Infrastruktur der Tinfactory, in der die Von Frihling AG residiert. Bei der Tinfactory handelt es sich um eine alte Dosenfabrik in einem Industriegelände im Hamburger Westen, die innerhalb von zwei Jahren zum Multimedia-Center umgebaut wurde. Heute sind in dem Gebäudekomplex neben der Von Frihling AG Unternehmen wie die Multimedia-Agentur Mediares oder die PR-Agentur Mann beißt Hund zu finden.

Anfangs, so erinnert sich DV-Dienstleister Matsumoto, waren die Unternehmen lediglich mit einer Dialup-Verbindung an den nächsten Internet-POP angebunden. Aufgrund der geringen Bandbreite standen die Internet-Server direkt beim Provider. "Eine Installation, die uns sehr viel Zeit kostete", blickt Matsumoto zurück, "denn bei Problemen mit den Servern oder geplanten Aufrüstarbeiten musste jedesmal ein Mitarbeiter extra zum Provider fahren." Diese Art der Internet-Anbindung war nicht nur zeitaufwändig, sondern auch teuer, wie Manager von Frihling bilanziert, "im Monat zahlten wir allein zwischen 870 und 1000 Mark für die Einwahl zum POP unseres Providers." Zudem erfüllte diese Lösung nicht von Frihlings Erwartungen an Ausfallsicherheit und Security.

Entsprechend schnell setzte sich unter allen Beteiligten die Erkenntnis durch, dass die Tage der Dialup-Verbindung gezählt waren, zumal absehbar war, dass der Bandbreitenbedarf weiter steigen würde. Als erster Ausweg aus den Bandbreiten-Engpässen hätte sich ein Aufbohren der Dialup-Anbindung auf 128 Kbit/s angeboten, doch damit wäre auf der Kostenseite keine Verbesserung erzielt worden. Ebenso wäre damit das Ziel, die Internet-Server inhouse zu betreiben, nicht zu erreichen gewesen.

Unzufrieden mit den Großen der BrancheAuf der Suche nach einer neuen Access-Technologie kamen für die Unternehmen der Tinfactory ausschließlich symmetrische Übertragungsverfahren in Frage, "denn Technologien wie ADSL oder Internet über Satellit boten uns nur einen schnellen Downstream", erklärt Matsumoto, "während wir in beiden Richtungen einen hohen Datendurchsatz benötigen". Damit blieben unter anderem noch die City-Carrier Colt und Hansenet mit ihren Glasfaserringen im Rennen. Im Falle der ehemaligen Dosenfabrik sprachen jedoch andere Kriterien gegen die beiden Anbieter. Sie waren entweder zu teuer, oder sie hatten das Industriegebiet im Hamburger Westen noch nicht erschlossen. Als letzte Alternative wäre noch Viag Interkom mit einer Richtfunklösung in Frage gekommen, doch nach den Erfahrungen von Frihlings "machte dieser Carrier in Sachen Richtfunk eher viel Wind um nichts."

Überhaupt geht Firmengründer von Frihling mit den Großen der Branche hart ins Gericht: "Auf der CeBIT präsentieren sich alle als die Lösungsanbieter für den Mittelständler, in der Praxis ist ihre Servicebereitschaft dann oft gering." Besonders negativ stößt dem Unternehmer dabei auf, dass die großen Carrier nicht bereit sind, die Serviceanforderungen der Startup-Companies zu akzeptieren: "Wir arbeiten nun mal bis 22 Uhr, da können wir keine Hotlines brauchen, die freitags ab 14 Uhr Feierabend haben."

Deshalb fiel letztlich die Wahl auf ein ebenfalls in Hamburg sitzendes junges Unternehmen, das die Probleme und Anforderungen der Tinfactory zu verstehen schien: die Hamburger Mediascape Communications AG. Das Unternehmen offeriert Local-Loop-Verbindungen via Richtfunk mit einer skalierbaren Bandbreite von 2, 10, 34 und 155 Mbit/s. Im Gegensatz zu City-Carriern wie Colt oder Hansenet verlegt Mediascape hierzu keine eigenen Kabel oder Glasfasern, sondern erschließt eine Stadt mit einem Richtfunknetz. Kunden werden dabei an etliche kleine Funkstationen mit einer Reichweite von drei bis vier Kilometern angeschlossen. Diese Funkstationen sind wiederum selbst per Funk über eine 34-Mbit/s-Verbindung mit einem zentralen Funk-Hub verbunden. Hier wird dann der Verkehr in das öffentliche Telefonnetz oder Internet eingespeist.

Neben der Servicebereitschaft sprach laut von Frihling auch die Preisstruktur für die Richtfunker: "Obwohl wir mittlerweile mehr Daten übertragen, zahlen wir mit 450 Mark im Monat nur noch einen Bruchteil unserer früheren Kosten." Bevor die Firmen der Tinfactory jedoch ans Sparen denken konnten, war noch eine andere Hürde zu nehmen. "Wir hatten keine Sichtverbindung zum nächsten Mediascape-Funkturm", erinnert sich Matsumoto, "denn unser Gebäude ist zu niedrig." Ein Problem, das dank Nachbarschaftshilfe schnell gelöst war. Die kleine Antenne wurde auf einem Nachbargebäude installiert und von dort per Glasfaser mit dem Schaltschrank der Tinfactory verbunden. Eine Anbindung, die laut IT-Experte Matsumoto keine Probleme bereitete, da der Richtfunk für das übrige Netz eine transparente Internet-Anbindung ist. So musste am Switch lediglich ein Opto-Koppler angeschlossen werden, der die Umsetzung vom internen Fast Ethernet auf die ATM-Glasfaserverbindung zur Richtfunkantenne vornimmt.

Schwierigkeiten, die bei der Anbindung dennoch auftraten, hatten weniger etwas mit dem Access-Medium Richtfunk zu tun als vielmehr mit dem ehrgeizigen Plan, alle Server nun inhouse zu betreiben. "Probleme bereitete uns nicht der Access-Service, sondern vielmehr die Umstellung unserer IP-Adressen", erinnert sich Matsumoto an die Migration. Schließlich betreibt die Tinfactory nun fünf Windows-2000-Server und acht Linux-Server in eigener Regie.

Backup-Lösung wurde nicht benötigtNach Bewältigung der IP-Probleme geht die Tinfactory nun via Richtfunk in das Netz, "und unsere anfängliche Skepsis ist komplett verschwunden, denn egal ob Schnee, Hitze oder Regen", erzählt IT-Experte Matsumoto aus der Praxis, "unsere Dialup-Leitungen, die wir als Backup-Lösung behalten haben, benötigten wir bisher noch nicht."

Wie Matsumoto ist auch Marktforscher von Frihling mit dem bis dato gebotenen Service zufrieden. Voller Spannung wartet er bereits auf die nächste Ausbaustufe des Mediascape-Netzes, um etwa zukünftige Filialen ebenfalls per Richtfunk anzubinden. Dann könnte er sich sogar vorstellen, den Telefonverkehr mit der Zweigstelle per Voice over IP (VoIP) über das Internet abzuwickeln.

Abb: Transparent ist die Internet-Anbindung via Richtfunk für das lokale Netz. Quelle: Mediascape