Industrie 4.0 und IoT zum Anfassen bei der Smart Electronic Factory

Mittelständler senkt Fixkosten mit Industrie 4.0 um 50 Prozent

09.08.2018
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 

Herausforderung Traceability

"Wer eine lückenlose Traceability nachweisen kann, hat einen klaren Wettbewerbsvorteil", erklärt Georgios Giantsios, Geschäftsführer und IT-Verantwortlicher bei Limtronik. Traceability gilt als eine der größten Herausforderungen in der EMS-Branche: Alle Produkte, alle verwendeten Leiterplatten und die darauf befindlichen Bauteile müssen umfassend rückverfolgt werden können. Treten später Mängel auf, lässt sich die Fehlerquelle schnell eingrenzen. In der Medizintechnik ist Rückverfolgbarkeit sogar gesetzlich vorgeschrieben. Andere Limtronik-Kunden ? zum Beispiel in der Automobilindustrie ? wollen damit bei Reklamationen etwaige Rückrufaktionen nur für die wirklich betroffenen Fahrzeuge starten.

Eine vorausschauende Wartung soll Fehler wie Zinnschlus vermeiden.
Eine vorausschauende Wartung soll Fehler wie Zinnschlus vermeiden.
Foto: Limtronik GmbH

In der Praxis sieht das dann so aus: Alle Zulieferteile werden im Wareneingang über einen speziellen Wareneingangstisch gezogen. Auf diese Weise gelangen die notwendigen Traceability-Daten zuerst in das Materialwirtschaftsmodul von proALPHA und dann automatisch in das MES. Pro Verpackungseinheit wird eine eindeutige Nummer erzeugt, die neben anderen Informationen auf einem Etikett steht. Das Etikett wird auf das Gebinde des Bauteils geklebt. In der Fertigung erfasst dann das MES, wo diese Komponenten genau verbaut wurden. So kann Limtronik auf unterschiedliche Traceability-Anforderungen der Kunden reagieren - etwa mit eigenen Seriennummern, der Erfassung geometrischer Daten oder der Bündelung von Baugruppen. Im nächsten Schritt des Industrie-4.0-Konzepts - heute noch Zukunftsmusik - sollen die Auftraggeber mit Limtronik vernetzt werden.

Ein anderer Aspekt ist die vorausschauende Wartung, die Limtronik demnächst realisieren will. "Längerfristiges Ziel ist eine produktionsspezifische Vorhersage von Wartungsintervallen für unsere Fertigungsanlagen, die mithilfe eines Algorithmus gesteuert wird", betont Ohl. Damit will das Unternehmen häufige Fehler in der Leiterplattenbestückung wie Zinnschluss, ungenaue Positionierung, das Fehlen eines Bauteils oder den berüchtigte Tombstone-Effekt bekämpfen. Dieser tritt beim sogenannten Reflow-Löten von elektronischen Bauteilen auf, die sich währenddessen auf der Leiterplatte einseitig aufstellen. Die nach oben stehende Seite ist dann nicht mehr elektrisch kontaktiert, das Bauteil wirkt wie ein Grabstein. Deshalb der englische Name "Tombstone". Um hier wirksam gegensteuern zu können, ist als nächster großer Schritt in Richtung Industrie 4.0 ein Datamining-Projekt angedacht, das Fehlerursachen automatisch erkennt. Gleichzeitig zeigt der Tombstone-Effekt, dass sich Investitionen in Industrie 4.0 durchaus rechnen. Um etwa den Tombstone-Effekt nachträglich zu beheben, fallen bei Limtronik Kosten von rund sechs Euro je Leiterplatte an. "In einer Vorserienfertigung kann das bereits Ausgaben von über 30.000 Euro bedeuten", rechnet der Geschäftsführer Ohl vor.

Vision der selbststeuernden Maschine

Gerd Ohl, Geschäftsführer Limtronik, glaubt, dass in Zukunft in seiner Fabrik Maschinen stehen, die sich selbst steuern.
Gerd Ohl, Geschäftsführer Limtronik, glaubt, dass in Zukunft in seiner Fabrik Maschinen stehen, die sich selbst steuern.
Foto: Limtronik GmbH

Und die Digitalisierung bei Limtronik geht weiter. "Am Ende werden in unserer Fabrik Maschinen stehen, die sich selbst steuern", blickt der Geschäftsführer in die Zukunft. An einem Praxisbeispiel betrachtete man auf der diesjährigen Hannover Messe die durchgängige horizontale und vertikale Vernetzung - also sowohl vom Kundenauftrag bis zum Service als auch vom Sensor über eine IoT-Plattform über das MES bis zum Leitstand. Der Showcase zeigte einen kollaborierenden Roboter in einer Montagesequenz und den damit verbundenen Informationsfluss von Sensor-, MES- und ERP-Daten. Dabei wird der Produktionsfortschritt überprüft, Störungen werden überwacht und analysiert, so dass Service, Wartung und Maschinenverfügbarkeit im Sinne von Predictive Maintenance unterstützt werden. Der Kunde ist in den Fortschritt seiner Bestellung eingebunden und erhält im Leitstand oder mobil Informationen über den Zustand seines Auftrags.

Grundsätzlich zieht man bei Limtronik in Sachen Industrie 4.0 ein positives Resümee. So zeigten die Industrie-4.0-Beispiele, dass eine vertikale und horizontale Vernetzung heute einfach möglich ist. Eine Herausforderung sei es jedoch, sinnvolle Daten zu erzeugen und dafür entsprechende Fachleute mit tiefem Maschinenwissen im Unternehmen zu haben. Grenzen zeigten sich für einen kleinen Mittelständler eher mit Blick auf die benötigten Investitionen und bei der Suche nach Finanzierungspartnern für neue Software oder Robotersysteme.

Bei aller Begeisterung in Sachen in Sachen Industrie 4.0 und Digitalisierung, eines konnte man bei Limtronik aber nicht finden: Konkrete neue Möglichkeiten im Business-Umfeld. Dennoch will das Unternehmen an den Themen dran bleiben, "denn wir sind ein Vorreiter - was uns beispielsweise auch die auf der Hannover Messe präsentierten Use Cases verdeutlichten", erklärt Ohl: "Vieles für den Markt Neues ist für uns bereits tägliche Praxis.".

Wichtig ist für Limtronik, dass das Datensammeln im Rahmen der Industrie-4.0-Umstellung nicht zum Selbstzweck erfolgt. Als produzierendes Gewerbe sei es für das Unternehmen zwar schwierig, mit den gesammelten Daten neue Services zu erschließen. Dennoch will Limtronik seinen Kunden die Möglichkeit geben, auf Grundlage der erfassten Daten neue smarte Services anzubieten.