IT in der öffentlichen Verwaltung/Schnellverfahren zur Abwicklung von Entschädigungsbegehren

Mit Workflow die Vergangenheit aufarbeiten

19.10.2001
Anfragen, die im Rahmen des aktuellen Zwangsarbeiterentschädigungsfonds eingehen, sollten schnellstmöglich bearbeitet werden. Zu diesem Zweck hat man beim Internationalen Suchdienst (ISD) die Bearbeitungsvariante der "Listenbearbeitung" eingeführt und komplett in einen Workflow eingebunden. Mit Hochdruck wird die vollständig IT-gesteuerte Vorgangsbearbeitung vorangetrieben. Von Susanne Siebert*

Im Laufe der Jahrzehnte haben sich die Aufgabenschwerpunkte des Internationalen Suchdienstes (ISD) verändert. Stand in den ersten Jahren die Suche nach vermissten Personen im Vordergrund, so wenden sich die Antragsteller heute in der Regel mit unterschiedlichen Bescheinigungsbegehren zu Zivilpersonen an den ISD, die in der NS-Zeit wegen ihrer Religion, Volkszugehörigkeit, Rasse, ihrer moralischen oder politischen Einstellungen wegen gefangen genommen wurden oder Zwangsarbeit leisten mussten. Seine Aufgaben bestehen darin, Unterlagen über diese Personengruppe zu sammeln, aufzubewahren und zu ordnen und für die Beantwortung der eingehenden Anfragen auszuwerten. In der digitalisierten Zentralen Namenskartei (ZNK) in Bad Arolsen liegen über 47 Millionen Hinweise für mehr als 17 Millionen ehemalige Verfolgte vor. Dies ist die Grundlage zur Erfüllung des Auftrages, verfolgten Zivilpersonen, ihren Angehörigen oder Rechtsnachfolgern geleistete Zwangsarbeit oder die Inhaftierung in einem Konzentrationslager oder anderen Haftstätten zu bescheinigen. Die ISD-Bescheinigungen werden weltweit ohne notarielle Beglaubigung anerkannt.

Im Jahr 1984 begann mit der Einführung einer Fallverfolgungs-Software die elektronische Datenverarbeitung im ISD. Diese wurde zum Jahreswechsel 2000 durch eine moderne, Workflowbasierende Lösung ersetzt. Außerdem wurde in den Jahren 1992/93 mit der elektronischen Dokumenten- und Anfragenverkartung begonnen, das heißt der Erfassung der Personalien aus den Dokumenten beziehungsweise Anfragen. 1996 erfolgte die Übernahme dieser bis dato in Insellösungen gespeicherten Informationen in eine zentrale Datenbank.

Ende 1999 konnte die 1998 begonnene Digitalisierung der Zentralen Namenskartei (ZNK) abgeschlossen werden, dem so genannten Schlüssel zum Archiv. Da viele der beim ISD verwahrten Dokumente aus Kriegs- und Nachkriegspapier mit schlechter Qualität bestehen, sind darüber hinaus die Sicherung der Informationen durch Digitalisierung, elektronische Indizierung und Speicherung sowie die Restaurierungs- beziehungsweise Erhaltungsmaßnahmen des umfangreichen Dokumentenbestandes für den ISD von großer Bedeutung.

Anstieg der AnfragenMit der Öffnung der Ostgrenzen in den neunziger Jahren kam es zu einem gewaltigen Anstieg von Anfragen insbesondere aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. In den vergangenen Jahren hat sich der Eingang der Anfragen verfünffacht. Um der humanitären Aufgabe gerecht zu werden, sind heute mehr als 440 Mitarbeiter in Bad Arolsen tätig. Allein für die Bearbeitung der Zwangsarbeiterentschädigungsanfragen im Rahmen des aktuellen Zwangsarbeiterentschädigungsfonds wurden 44 zusätzliche Stellen genehmigt, und doch wäre es nicht möglich gewesen, den großen Arbeitsaufwand ohne die entsprechende IT-Infrastruktur zu bewältigen. Im Jahr 2000 wurde daher die Domea-Lösung von SER in Betrieb genommen.

Auswahlkriterien waren der modulare Aufbau der speziell für die öffentliche Verwaltung konzipierten Software, das Leistungsspektrum, die Zukunftssicherheit und die Leistungsfähigkeit des Herstellers insgesamt.

Die Listenbearbeitung ist ein Schnellverfahren zur Abwicklung der beim ISD eingehenden Entschädigungsbegehren. Die Partnerorganisationen der Deutschen Stiftung in Berlin, die den Deutschen Entschädigungsfond verwaltet, reichen die gesammelten Anfragen als Listen in Komma-separierten Dateien oder in Papierform zur Prüfung beim ISD ein. Aus den importierten und erfassten Listen mit bis zu 500 Datensätzen pro Datei werden elektronische Vorgänge erzeugt. Dazu werden die Listen wieder in Einzelvorgänge zerlegt und an die Arbeitskörbe der für die Listenbearbeitung zuständigen Karteiprüfer der Zentralen Namenskartei verteilt. Sie prüfen in der ZNK-Datenbank, ob Informationen zu den angefragten Personen vorliegen. Auf Basis der daraus generierten Bescheide des ISD trifft die entsprechende Partnerorganisation dann ihre Entscheidung.

Die Einführung des neuen Systems wurde durch die bereits seit Jahren im Einsatz befindliche Oracle-Datenbanklösung begünstigt. Da der neue Client der Benutzeroberfläche des vorherigen Workflow-basierten Fallverfolgungssystems nachempfunden ist, konnte die Lösung schnell produktiv eingesetzt werden. An neue Arbeitsweisen wurden die Mitarbeiter schrittweise herangeführt.

Mehr als 250000 Listenanfragen konnten mit dieser Unterstützung bereits im ersten halben Jahr nach der Einführung erfolgreich abgearbeitet werden. In einem weiteren Schritt ist jetzt auch die Bearbeitung der schriftlichen Einzelanfragen möglich. Mit der Integration der ZNK-Datenbank in den Workflow können Anfragen in kurzer Zeit beantwortet werden. Die vollelektronische Dokumentenerfassung stellt die Datensätze sofort für Recherchen zur Verfügung. Der Abschluss der Dokumentendigitalisierung ist für das Jahr 2006 vorgesehen.

*Susanne Siebert ist IT-Verantwortliche für den Auswertungsbereich des Internationalen Suchdienstes (ISD) in Bad Arolsen.

Der SuchdienstMehr als 9,2 Millionen erteilte Auskünfte - das ist die bisherige Bilanz des Internationalen Suchdienstes (ISD) in Bad Arolsen seit der Gründung seiner Vorgängerorganisation im Jahr 1943. Er wurde von den alliierten Streitkräften ins Leben gerufen, um im Zweiten Weltkrieg vermisste oder verschleppte Zivilpersonen zu suchen, getrennte Familien wieder zusammenzuführen und Auskünfte über Zwangsarbeit oder Inhaftierung in Konzentrationslagern zu geben. Durch die Einrichtung des Entschädigungsfonds der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" der Bundesregierung ist die Zahl der Anfragen sprunghaft angestiegen, allein im vergangenen Jahr auf mehr als 320 000.