"Von Wartelisten kann eine Messe nicht leben"

Mit Werner Marzin, Hauptgeschäftsführer der Münchener Messe und Ausstellungs GmbH, sprach CW-Redakteur Dieter Eckbauer

13.10.1989

CW: Herr Marzin, wie definieren Sie "Fachmesse"?

Marzin: Die Fachmesse geht nach unserer Philosophie von den Informations-, Order- oder auch Investitionsbedürfnissen einer klar definierbaren Zielgruppe aus. Danach bestimmt sich dann das Angebot der Messe.

CW: Sie haben aufgezählt: Information, Order, Investition. Haben sich da jetzt die Prioritäten verschoben? Hatte die Fachmesse nicht früher primär eine Orderfunktion, und hat sich jetzt nicht die Informationsfunktion in den Vordergrund gedrängt?

Marzin: Das ist gar keine Frage. Für das Messewesen allgemein, und interessanterweise nicht nur für lnvestitionsgüter und High-Tech-Messen gilt die ganz klare Trendaussage, daß der Fachmessebesucher mit dem hauptsächlichen Ziel auf die

Veranstaltung kommt, sich über die Problemlösungsmöglichkeiten zu orientieren, und sich erst aufgrund dieses Überblicks, den die internationale Messe bieten muß, zu entscheiden. Also das, was früher so als Nachmessegeschäft bezeichnet wurde, ist eigentlich von der Definition her heute schief.

CW: Damit wird aber aus der Sicht der Aussteller der Messeerfolg weniger meßbar, weniger quantifizierbar.

Marzin: Es genügt heute für die ausstellende Industrie ganz sicher nicht mehr, nur noch nach Messeschluß in das Auftragsbuch zu schauen und aufaddieren, was hier geschrieben worden ist, um festzustellen, ob die Messe ein Erfolg war oder nicht. Das geht sehr viel tiefer. Es hängt zum Beispiel damit zusammen, zu definieren seitens der ausstellenden Wirtschaft, welches Marketingziel mit der Messebeteiligung überhaupt verfolgt wird. Marktpflege, Testen neuer Produkte, Vertiefung bestehender Kontakte, Öffnung neuer Märkte und vieles andere mehr - wenn das definiert und genau überprüft wird auch anhand der gewonnenen neuen Kontakte, wie sich das im Markt realisiert, kommt man auch als Aussteller zu klaren Aussagen, wie die Messe verlaufen ist. Alles das bedeutet natürlich viel mehr Vorbereitung, nicht nur für den Aussteller, sondern auch für den Besucher. Wer heute auf die Messe geht und sagt, wo ist der Katalog, was kostet er, jetzt fange ich an zu blättern, der liegt schon schief.

CW: Ihre Antwort enthielt zwei Appelle, einmal an die Aussteller und einmal auch an die Besucher, sich auf diese veränderte Situation einzustellen. Würden Sie zugestehen, daß man diesen Appell auch aus der Ecke der Hersteller an die Messegesellschaften richten muß, sich in ihren Messekonzepten diesem Wandel, der durch Innovation hervorgebracht wird, schneller anzupassen?

Marzin: Messen sind Märkte. Sie sind ja aktuelle Spiegelbilder des Marktes. Sie können gar nicht anders leben als durch ein flexibles Verhalten des Veranstalters, was auch wieder nur dadurch möglich wird, daß der Veranstalter sehr eng mit der Industrie, mit den Anwendern kooperiert, denn er selber kann diese Entwicklungen, die gerade in der Hochtechnologie heute sich ja sprunghaft vollziehen, gar nicht richtig ausloten. Tut er es aber nicht, ist er genauso schnell vom Markt weg wie etwa der Hersteller von modischer Kleidung, der in der Kollektion falsch liegt.

CW: Eine der wichtigsten Fragen, die in der Münchner Kommunalpolitik beantwortet werden müssen, ist doch, eine Antwort zu geben auf Ihr Verlangen, daß für die Münchener Messe ein neuer Platz gefunden wird, und hier ist Riem im Gespräch. Wie ist denn der Stand der Dinge?

Marzin: Die Situation, wie wir sie jetzt aktuell haben, ist nicht mehr im Konditionalsatz - es sollte - anzusprechen. Die Beschlußlage ist also durchaus so, daß wir hier von Fakten reden können, wenn auch immerhin nach über vierjähriger, fast missionarischer hingebungsvoller Tätigkeit, die ich da leisten mußte. Schwierig ist die Situation natürlich für uns dadurch, daß wir mit politischen Strömungen zurechtkommen müssen, die uns einmal den Rückenwind geben und manchmal ins Gesicht blasen. Da muß man halt ein bißchen Mut haben und sagen: Tut das, oder wenn ihr das bleiben laßt, dann tragt auch die Verantwortung dafür. Das ist natürlich im Augenblick ein wenig behindert durch kommunale Wahlkampfgesänge, aber im Ergebnis kommen wir hin. Man muß natürlich jeden Tag neu kämpfen, Gespräche führen und auch nicht nur bayerisch-barock, sondern sehr deutlich reden. Dann kommt man klar.

CW: Mit Ihrem Messekonzept im High-Tech-Bereich, nämlich nicht die alles umfassende Superschau Ó la CeBIT Hannover zu machen, sondern sich ergänzende Veranstaltungen, SYSTEMS, Systec, Productronica etc., im Verbundkonzept abzuhalten, waren Sie doch bisher sehr erfolgreich. Das spricht ja eigentlich nicht für ein Elefantenwachstum, und insofern könnten ja doch mögliche Gegner, die jetzt weniger aus der politischen Ecke kommen, sondern die das mehr aus dem Marktaspekt sehen, sagen: Das derzeitige Angebot, was sie hier haben an diesem Messeplatz, ist ausreichend.

Marzin: Zum einen ist unser Messegelände nun in der Tat, auch gerade unter dem Aspekt der Bündelung der Fachmessen, wirklich zu klein. Von Wartelisten kann man nicht leben, und die Aussteller schon gar nicht, das ist also auch unter diesem Aspekt alles viel zu klein. Diese 105 000 Quadratmeter, das ist ja ein Witz, und das muß auch noch eine weitere Konsequenz haben. Wir müssen als Messegesellschaft ein hoch spezialisiertes Dienstleistungssystem bereit halten. Das muß immer mehr verfeinert werden. Die ganze Kommunikationsarbeit, Werbearbeit usw. erfordert ja hohe Aufwendungen, die Bereitstellung eines internationalen, sehr dichten Vertretungsnetzes - wir haben Vertretungen in 60 Ländern der Weit.

Dieses alles kostet schon mal sehr viel Geld. Um nun diesem Leistungsanspruch gerecht zu werden, brauchen wir auch Einnahmen, das heißt wir müssen mit einem zu kleinen Gelände genauso viel an Leistungsqualität bereit halten wie eine größere Messegesellschaft. Das nennt man unter Betriebswirten eine ungesunde Betriebsgröße. Das heißt also, wir brauchen eine Verbesserung der Gesamtertragslage, um die Qualität auch aufrecht erhalten zu können.