wenn der neue arbeitsplatz aus dem netz kommt

Mit virtuellen Visitenkarten zum Traumjob

20.10.1999
E-Mails schreiben ist eine neue Freizeitbeschäftigung für Studenten. Was liegt näher, als den neuen Job ebenfalls über das Netz zu finden. Trotz des lockeren Umgangstons gibt es einige Spielregeln, die Bewerber berücksichtigen sollten.

daniel sonnenschein** hat verschiedene Möglichkeiten der Online-Bewerbung genutzt. Nach dem ersten Staatsexamen in Physik und Sport an der Universität Tübingen und dem "Maitrise en physique"-Abschluß an der Universität in Grenoble bewarb er sich zunächst bei zwei Jobvermittlungsagenturen im Netz. Mit "alma mater" (www.alma-mater. de) hat er sehr gute Erfahrungen gemacht. Den Absolventen steht ein ausführlicher Online-Fragebogen zur Verfügung. Anschließend ruft ein Mitarbeiter der Agentur bei den Bewerbern an und interviewt sie.

"Bei uns gibt es seit zwei Jahren nur die Möglichkeit der Online-Bewerbung", so Torsten Boorberg von alma mater in Stuttgart, "schriftliche Unterlagen verlangen wir nur in Ausnahmefällen, wenn es die Firma so wünscht." Das Kurzinterview am Telefon ergänzt die schriftlichen Daten und erleichtert die Suche nach einem passenden Arbeitgeber. "Das ging alles sehr schnell, unkompliziert und persönlich", erzählt Sonnenschein. "Sie riefen regelmäßig bei mir an und stellten mir interessante Firmen und Jobs vor. Das hat mir sehr gut gefallen."

Alma mater hat inzwischen 15 000 Profile von Studenten und Absolventen in ihrer Datenbank gespeichert, zum Jahresende sollen es 75 000 sein. Die Agentur vermittelt Ferienjobs für Studenten und Festanstellungen für Absolventen. "Grundsätzlich haben wir alle Studienrichtungen in unserer Kartei, die Nachfrage nach IT-Absolventen ist aber am größten", so Boorberg. Das Telefon-Interview mit den Kandidaten dient den Bewerbern zur Vorinformation über das Unternehmen und ist gleichzeitig eine Vorbereitung auf das Vorstellungsgespräch bei der Firma. Ein kurzes Protokoll des Gesprächs geht mit Einverständnis des Kandidaten als E-Mail an das Unternehmen.

Einige Firmen antwortenüberhaupt nicht

Bei der zweiten Agentur, career.de, war das Procedere für Sonnenschein etwa langwieriger. Hier existiert zwar eine flotte Internet-Site, die Unterlagen müssen aber ganz traditionell als Mappe nach Köln geschickt werden. "Career vermittelt keine direkten Vorstellungsgespräche, sondern veranstaltet Career-Days, zu denen Youngsters mit dem entsprechenden Profil eingeladen werden", so der Physiker. "Die teilnehmenden Firmen entscheiden sich aufgrund der Unterlagen, ob man zum Career-Day eingeladen wird." Dort gibt es dann die Chance, mit mehreren Firmen gleichzeitig zu sprechen.

Thomas Happ schreibt gerade seine Diplomarbeit in Physik und testet nebenbei über Online-Bewerbungen seine Marktchancen. Bei der IBM-Forschungsabteilung in den USA hat sich der junge Wissenschaftler für ein Praktikum beworben. "Bis jetzt habe ich keine Antwort erhalten, außer einer automatischen Eingangsbestätigung", erzählt der angehende Physiker etwas enttäuscht.

"Gerade bei der Suche nach passenden Firmen bietet das Internet die größten Vorteile", glaubt Sonnenschein. Selbst bei Arbeitgebern, die über Printanzeigen neue Mitarbeiter suchen, ging der Einsteiger den virtuellen Weg. "Wenn ich in der Zeitung eine interessante Firma entdecke, schau ich mir deren Homepage und das Firmenprofil im Netz an. Stellenanzeigen im Internet sind detaillierter als in der Zeitung", so sein Eindruck. Gleichzeitig bietet die Homepage wichtige Informationen über Aufgabenschwerpunkte und Kundenreferenzen. "Hier kann ich gleich auf einen Blick sehen, ob die Firma zu mir paßt, welche Qualifikationen ich mitbringen muß und welche Aufstiegschancen es gibt."

Der nächste Schritt ist die Online-Bewerbung, und hier sollten die Interessenten besonders sorgfältig arbeiten. "Das Anschreiben ist wichtig: und der Kandidat sollte sich genau überlegen, was er in die Mail schreibt, beispielsweise, warum ihm die Firma gefällt und weshalb er zu ihr paßt. Allerdings alles kurz und bündig", so Sonnenschein.

Auch Thomas Happ ist von den erweiterten Bewerbungsmöglichkeiten angetan. "Von der Idee her finde ich Online-Bewerbungen super." Allerdings setzt er nicht nur auf dieses Medium, sondern nutzt für die Jobsuche auch die traditionelle Methode, "denn wenn mir ein Angebot verlockend vorkommt, schicke ich trotzdem die schriftlichen Unterlagen. Dann muß das Unternehmen reagieren", spekuliert Happ. "Bei Initiativbewerbungen über standardisierte Fragebogen habe ich den Eindruck, daß die Firmen dies als unverbindliche Anfrage betrachten und sich oft überhaupt nicht melden."

"Schauen Sie sichmeine Homepage an"

Sonnenschein arbeitet inzwischen als Technical Project Engineer bei einer US-Hard- und Softwarefirma im Schwäbischen. "Meinen Job bei der Wunschfirma habe ich schließlich über eine Firmenkontaktmesse gefunden. In einem persönlichen Gespräch überzeugte mich ein Manager meiner jetzigen Abteilung." Ganz ohne persönliche Gespräche funktioniert es eben doch noch nicht.

Bei der virtuellen Bewerbung existiert neben dem durchstrukturierten Fragebogen die freieE-Mail-Variante. Ein Anschreiben ist fast immer dabei, und das ist in den Augen von Personalchefs das Herzstück. "Eine Bewerbung ist eine persönliche Visitenkarte, und entsprechend sorgfältig sollte sie gestaltet sein", so Wolfgang Ober, Leiter des Personal-Recruiting bei BMW in München. Der hohe sprachliche und inhaltliche Standard sollte durch die elektronische Form keinesfalls verloren gehen.

Manche verwenden bei Bewerbungsbriefen die gleiche Sprache wie beim Chatten, und die ist hier nicht gefragt. Erschwerend kommt hinzu, daß Führungskräfte nicht so häufig E-Mails schreiben und diesen Sprachstil nicht unbedingt verstehen. Kandidaten sollten ihre Zielgruppe deshalb stärker beachten, empfiehlt Ober.

"Mir ist wichtig, daß sich die Einsteiger etwas überlegt haben", erklärt Sylvia Bitter-Bauer, Personalreferentin bei Debis PCM. Bei der Online-Bewerbung legt die Personalexpertin ähnliche Maßstäbe an wie bei einer schriftlichen Bewerbung. "Viele pflegen den laxen Umgangston, den sie von ihrer E-Mail-Korrespondenz mit Freunden und Studenten gewohnt sind und das wirkt nicht besonders seriös", meint Bitter-Bauer.

In ihrer Mailbox findet sie Nachrichten wie "Hallo, schauen Sie sich mal meine Homepage an", und dort sind dann die letzten Urlaubsfotos oder "Ich und mein Hund" zu bewundern. "Allerdings hat sich der Standard der Homepages in den letzten Monaten verbessert." Inzwischen entpuppen sich manche Sites als brauchbare Informationsquellen. "Außerdem ist es eine gute Demonstration der eigenen Fähigkeiten, sofern davon auszugehen ist, daß sie der Bewerber auch selbst erstellt hat", fügt sie kritisch hinzu.

Peinliche Ketten-E-Mails

Wie ihr Kollege Ober von BMW erwartet auch Bitter-Bauer bei einer Online-Bewerbung ein Anschreiben wie bei einer klassischen Bewerbung. Dort sollten die Fragen: "Wer bin ich?" "Was will ich?" und "Wo will ich hin?" auf jeden Fall enthalten sein. Besonders peinlich sind KettenE-Mails, bei denen unter "cc" alle weiteren IT-Unternehmen als Empfänger genannt sind. Zwar weiß jeder Personalexperte, daß sich die Interessenten auch bei anderen Unternehmen bewerben, doch sehen möchten sie es nicht als Attachment. Bei einem klassischen Serienbrief in Papierform ist für den Empfänger zumindest nicht erkennbar, wer das Schriftstück noch erhält. E-Mails sind hier wesentlich offener und verräterischer.

Das Anschreiben ist für die PCM-Frau das Kernstück einer guten Bewerbung, denn "Jobsuchende sollten mit dem Anschreiben versuchen, mir die Zähne lang zu machen, damit mein Interesse geweckt ist, die Bewerbung weiter zu prüfen und vielleicht bei den Leuten, die auf ihre Homepage verweisen, überhaupt nachzusehen". Bei einer E-Mail-Bewerbung gehören Lebenslauf und eine Kurzbeschreibung der bisherigen Tätigkeiten zum Standard. Der Tätigkeitsbericht ist eine wichtige Entscheidungsgrundlage, denn daraus ist ersichtlich, ob und wo jemand schon Berufserfahrung gesammelt hat.

"Bei einer schriftlichen Bewerbung beeindruckt sorgfältige Gestaltung und Layout den Personalexperten", so Ober. In einem standardisierten Online-Bogen ist es für die Arbeitsuchenden schwieriger, sich von der Konkurrenz abzuheben. Dort kommt es auf andere Kriterien an. "Für mich ist der erste Eindruck wichtig", so BMW-Personaler Ober. Manche Fragebogen sind nach seinen Erfahrungen zu kurz und oberflächlich ausgefüllt. Eine gelungene Selbstdarstellung dürfe auch online nicht zu kurz kommen. Selbst im Fragebogen gibt es individuelle Freiräume, die Interessenten stärker für ihre Eigenwerbung nutzen können. Im Online-Fragebogen von BMW ist eine Rubrik für das Anschreiben vorgesehen, und zwar unter "Was Sie sonst noch über mich wissen sollten." Zugegeben, eine nicht ganz leichte Aufgabe.

"Je technischer die Stellenausschreibung ist, desto exotischer und unüblicher sind die Formate der E-Mail-Bewerbungen", so Bitter-Bauer. Die Bewerber sollten hier die Adressaten, nämlich die Personaler, besser im Auge haben, denn die Personalabteilungen verfügen meistens nur über die gängige Standardsoftware. Deshalb ist es sinnvoller, die Texte in einem gängigen Format zu schicken, um Mehrarbeit zu verhindern und die Personaler nicht von Anfang an zu frustrieren, weil sie Bewerbungen nicht öffnen können. Technische Kenntnisse sind im Lebenslauf besser aufgehoben.

Zu viele Attachments und eingescannte Zeugnisse sind ein weiteres Ärgernis. "Meistens ist es besser, wenn die Bewerber keine Fotos mitmailen, denn sie kommen- möglicherweise aufgrund minderwertiger Scanner - recht verunglückt an", so Bitter-Bauer.

Für sie ist die Online-Bewerbung hilfreich für eine schnelle Kontaktaufnahme. Trotz der einfacheren Kommunikationsmöglichkeiten gilt auch hier: "Es gibt einen ersten Eindruck, und der zählt." Aber aufgrund der Personalengpässe räumt sie ein: "Momentan haben wir einen reinen Bewerbermarkt. In dieser Situation gebe ich auch Leuten eine Chance, deren Bewerbung bei mir etwas verunglückt ankommt und die mich auf den ersten Blick nicht anspricht", so die Personalexpertin.

Die BMW AG startete im März dieses Jahres mit der Jobbörse und ist zufrieden mit den ersten Ergebnissen. "Die Resonanz bestätigt uns in der Entscheidung", erklärt Ober, "trotzdem sehen wir bestimmte Punkte kritisch, etwa die langen Ladezeiten des Bogens." Das Unternehmen legt viel Wert auf die Sicherheitsstandards und verschlüsselt die eingegebenen Daten, um unerlaubten Zugriff zu vermeiden. Bisher gibt es noch berufsspezifische Unterschiede bei den Arbeitssuchenden, denn Techniker bewerben sich im allgemeinen häufiger über das Netz, während Wirtschaftswissenschaftler hier noch zurückhaltender sind, so der Eindruck von Ober.

*Ingrid Weidner ist freie Journalistin in München.