IT in der Prozeßindustrie

Mit Touchscreens wächst die Sicherheit

22.08.1997

Ganz allgemein lassen sich moderne Industrieanlagen über einen Rechner im zentralen Leitstand steuern. Trotz Isolation von der eigentlichen Fertigungshalle herrschen hier nie die Bedingungen eines "normalen", sauberen Büros. Ein- und ausgehende Mitarbeiter bringen über die Kleidung Staub und Schmutz mit. Das läßt sich kaum vermeiden. Selbst Fett, Säure und Chemikalienreste können so, wenn auch in geringen Mengen, eingeschleust werden. Ein weiteres Problem für die installierten Rechner sind hohe oder wechselnde Temperaturen und je nach Fertigungsstraße erhöhte Luftfeuchtigkeit. Auch durch Klimatisierung lassen sich diese Einflüsse nicht immer völlig ausschalten.

Wirklich problematisch sind Steuerungselemente, die ausschließlich oder zusätzlich direkt in der Fabrikhalle zu montieren sind, um vor Ort in bestimmte Teilprozesse eingreifen zu können. Hier sind die Tastatur und selbst die Maus als Eingabeinstrument der direkten Industrieumgebung ausgesetzt. Auch eine zusätzliche Abdeckung bringt nur bedingte Sicherheit, denn Hitze und Feuchtigkeit sowie hohe mechanische Beanspruchung sind trotz allem ein Problem für die empfindlichen Mikroschalter und beweglichen Plastikteile der Computertastatur.

Um dieses Sicherheitsrisiko auszuschalten, setzen viele Unternehmen verstärkt Monitore mit berührungsempfindlicher Oberflächenbeschichtung ein, also Touchscreens. Der komplette Fertigungsprozeß oder ein Teil davon ist auf dem Monitor als eine Art Ablaufplan visualisierbar. Hier finden sich Schalter, Buttons, Schieber und Regler, die sich durch einfache Berührung mit dem Finger oder einem Gegenstand auf der Bildfläche bedienen lassen.

Das bietet einige wesentliche Vorteile: So ist die Eingabeform weitaus unempfindlicher als herkömmliche Tastaturen. Mit der Wahl des richtigen Touchsystems, können die in einer abgedichteten Metallkonsole installierten Bildschirme sogar fließendes Wasser, Säuren, hohe Temperaturen, fettige Schmutzpartikel und andere Einflüsse ertragen.

Touchscreens haben aber noch ein weiteres, mindestens ebenso großes Plus: Die Berührung der auf dem Monitor dargestellten Schaltelemente ist die einfachste, schnellste und deshalb sicherste Eingabeform, die es gibt - vorausgesetzt, die Visualisierung des Prozesses genügt didaktischen Anforderungen. Viele Institute haben sich mit der Erforschung der besten Kommunikation zwischen Mensch und Maschine beschäftigt und sind zu dem Schluß gekommen, daß die Eingabe am Bildschirm neben der Sprachsteuerung die effektivste ist.

Da Ein- und Ausgabemedium identisch sind, werden irritierende Augenbewegungen des Anwenders zu separaten Peripherien ausgeschlossen, etwa Maus oder Tastatur. Die Augen müssen nicht ständig zwischen Eingabegeräten und Bildschirm hin- und herwandern. Somit kann sich die gesamte Konzentration auf ein einziges Objekt, den Bildschirm, richten. Vorteilhaft ist dies vor allem bei Anwendungen, die möglichst einfach, schnell und ohne lange Anweisungen bedient werden sollen.

Personal ist sehr schnell einzuweisen

In der Prozeßsteuerung ergibt sich laut Werner Spill, Geschäftsführer der Grossenbacher Systeme AG, der Vorteil, daß das Personal sehr schnell einzuweisen ist und aufgrund der einfachen Bedienung so gut wie keine Rückfragen kommen. Allerdings spielt hier die Qualität der Visualisierung des Steuerprozesses auf dem Bildschirm eine wesentliche Rolle.

Die Programmierung erfolgt fast immer in den Industrieunternehmen selbst per Standardvisualisierungssoftware. Ob ein Ablauf leicht nachvollziehbar ist, die Notwendigkeit eines Eingriffs in den Regelprozeß gegeben ist oder sich eine Gefahrenquelle schneller lokalisieren läßt, hängt in hohem Maße von den pädagogischen Fähigkeiten des Programmierers ab.

Ausgefeilte und gut geplante Touch-Lösungen bieten mehrere Steuerbildschirme für verschiedene Anwenderprofile.

So kann beispielsweise für die Nachtschicht ein Ablaufplan mit reduziertem Funktionsumfang aufgerufen werden oder umgekehrt der verantwortliche Ingenieur mit seinem Paßwort einen Spezialschirm mit ansonsten versteckten Steuerfunktionen aktivieren. Denkbar wäre auch ein Bildschirm für ausländische Mitarbeiter in deren Heimatsprache.

Um Fehlbedienungen oder versehentliches Auslösen einer Funktion, zum Beispiel durch den Ellenbogen, den Finger oder ein Objekt, zu vermeiden, sollten die Funktionen möglichst zeitversetzt aktiviert werden. Das heißt, für die Auswahl einer Funktion muß der Finger zum Beispiel eine halbe Sekunde die Fläche berühren. Damit lassen sich übrigens über ein und denselben Button auch Funktionswerte bequem eingeben. Die Dauer des Anpreßdrucks bestimmt den Funktionswert, der bis zum Ende der Berührung hoch- beziehungsweise heruntergezählt wird.

Touchscreens sind darüber hinaus auch platzsparende Lösungen. In der kleinen Leitzentrale sind Tastaturen nicht mehr erforderlich. Bedient wird direkt am Bildschirm. Außerhalb des Leitstandes, in der Halle, ist das Platzproblem oft noch gravierender. Hier Eingabeinstrumente einerseits geschützt zu montieren, andererseits aber auch deutlich sichtbar und im Ernstfall jederzeit schnell erreichbar zu plazieren, ist kaum möglich. Ein Touch-Bildschirm läßt sich hingegen direkt in die bestehenden Aufbauten integrieren und ist durch die farbig leuchtenden Symbole auf dem Bildschirm kaum zu übersehen.

Tastaturen sind relativ störanfällig, wenn es um Schmutz und Feuchtigkeit geht. Häufig betätigte Tasten fallen schneller aus als weniger oft benutzte. Nicht selten wird deshalb kurzerhand die Tastatur ausgetauscht. Viele Unternehmen wechseln die Eingabegeräte aus Sicherheitsgründen regelmäßig in kurzen Abständen, damit es erst gar nicht zu einem Ausfall kommt.

Werden Tastaturen mit speziellem Layout verwendet, ist der häufige Austausch alles andere als preiswert. Touch-Lösungen sind zwar zunächst teurer, dafür aber oft viel langlebiger. Ausschlaggebend sind hier mehrere Gründe: die Kratz- und Säurefestigkeit des Bildschirms, die Abdichtung gegen Staub und Feuchtigkeit und die Temperatur- und Erschütterungsfestigkeit.

Kratz- und säurefest wird der Bildschirm durch Vorsatzscheiben oder spezielle Beschichtungen. Die Abdichtung gegen Wasser und Staubeintritt ist unterschiedlich und von der eingesetzten Technologie abhängig. Erschütterungen bereiten vor allem Piezo-Touchscreens gewisse Probleme. Die Auswahl der passenden Technologie ist wesentlich für Funktionssicherheit und Langlebigkeit einer Touchscreen-Lösung in Industrieumgebung.

Nur ein Teil der verschiedenen Touch-Technologien ist in der Prozeßtechnik einsetzbar. Je nach Einsatzort und Umgebungsbedingungen erscheint die eine oder andere Technologie als die sinnvollere. Sogenannte resistive Bildschirme ("Widerstandstechnik") basieren auf manueller Änderung eines Widerstandsfeldes. Dabei kommen fast immer Folien zum Einsatz, die für stark schmutzbelastete Umgebungen weniger geeignet sind. Neuere Folien sind zwar sehr robust, halten jedoch groben Schmutzpartikeln, womöglich sogar metallenen Ursprungs, nicht lange stand. Die regelmäßige Reinigung von Fett und Staub durch Putzmittel leistet zudem nach kurzer Zeit das ihre. Ist der Schirm auch Säuren und Laugen ausgesetzt, ist die resistive Technik ungeeignet.

Gut einsetzbar und in Industrieanlagen weit verbreitet sind Piezo- und Infrarotterminals. Aufgrund ihrer speziellen Technologie benötigen sie für die Touch-Funktion keine Beschichtung auf der Frontscheibe. Der Fingerdruck wird beim Piezo-Bildschirm auf vier druckempfindliche Elemente übertragen. Je nach Belastung der einzelnen Sensoren fließt mehr oder weniger Strom durch die vier angeschlossenen Meßkreise. Aus diesen läßt sich die genaue Fingerposition berechnen. Beim Infrarotverfahren sitzen in den Bildschirmecken ein Infrarotsender und drei -empfänger. Ein Gegenstand oder Finger auf dem Bildschirm wirft einen Infrarotschatten. Dieser wird von den drei Empfängern ausgewertet und dann in die Positionskoordinaten des Berührungsortes umgerechnet.

Da beide Verfahren keine Beschichtung benötigen, ist auch die Lichtdurchlässigkeit nahezu 100 Prozent, während andere Technologien oft unter 80 Prozent liegen. Wichtig ist eine hohe Lichtausbeute dann, wenn LC-Bildschirme als Touchpanel verwendet werden - was sich gerade im Industriebereich wegen der Robustheit der LCDs anbietet - oder wenn das Umgebungslicht wie in vielen Industriehallen besonders hell ist (ebenfalls in vielen Industriehallen der Fall). Fett und Schmutz lassen sich bei diesen Schirmen auch mit aggressiven Glasreinigern entfernen, um die Beschichtung eines resistiven oder kapazitiven Bildschirms zu schützen.

Die gleichen Vorzüge bietet die SAW-Technik, da auch hier keine empfindliche und lichthemmende Beschichtung notwendig ist. Statt dessen werden Schallwellen über das Frontglas geschickt und wieder empfangen. Der akustische "Schatten" ergibt dann die Position des berührenden Gegenstands. Jedoch hat das SAW-Verfahren den Nachteil, daß es nur relativ weiche Gegenstände registriert. Auf einen Finger im Gummihandschuh oder einen festen Gegenstand reagiert das System zum Beispiel nicht. Eine Abdichtung ist deshalb nur mit weicherem Dichtmaterial möglich (bis IP 54), da sich die Dichtfläche des Monitorglases sonst als Auslöser erkennen ließe.

Verglichen mit kapazitiven Bildschirmen hat das System keine Probleme mit Erdungen oder Störfeldern. Denn diese basieren auf einem Plattenkondensator, dessen Kapazität auf einer Platte einseitig durch die menschliche Kapazität gestört wird, was der Kontroller zum Berechnen des Berührungsortes nutzt. Da in der Prozeßsteuerung und ganz besonders in der Verfahrenstechnik meistens Edelstahl-, Stahl- oder Aluminiumgehäuse und Blenden verwendet werden, kann Feuchtigkeit auf dem Bildschirm eine Erdung verursachen, die den Touchscreen außer Funktion setzen würde. Ausfälle gab es früher auch durch starke elektrische Felder oder Massen. Laut Aussage der Hersteller hat man dieses Problem mittlerweile weitgehend im Griff. Mit einem Handschuh oder Gegenstand läßt sich der kapazitive Bildschirm aber nicht auslösen. Nur der nackte Finger wird registriert. Dies verringert einerseits die Gefahr einer Fehlauslösung durch unbeabsichtigte Berührung, ist aber andererseits unzweckmäßig in Bereichen, in denen die für die Steuerung Verantwortlichen Handschuhe tragen müssen.

Am zuverlässigsten sind in der Mehrzahl der Fälle die klassischen Technologien Piezo und Infrarot, zumindest was die Prozeßsteuerung mit ihren hohen Anforderungen angeht. Aber auch die SAW-Technologie ist, von den erwähnten Einschränkungen bezüglich Feuchtigkeit abgesehen, im Leitstand gut anwendbar.

Superflaches Panel

Für große Flußdiagramme in Prozeßleitständen eignen sich großflächige Monitore besser, als die üblichen kleinen Bildschirme. Große Röhrenmonitore sind wegen ihrer Tiefe aber nur schwer in Konsolen beziehungsweise in den oft engen Räumen der Leitstände unterzubringen. Abhilfe verspricht hier beispielsweise der neue Gas-Plasma-Bildschirm von Fujitsu. Mit 21 Zoll Bilddiagonale ist das leichte und sehr flache LCD-Panel groß genug, um auch umfangreiche Abläufe darzustellen. Zusätzlich läßt sich das Panel mit einem 21-Zoll-SAW-Sensor ausstatten, wodurch der LCD-Riese mit dem Finger zu bedienen ist. Notfalls kann der Touchscreen auch einfach an die Wand gehängt werden. Gleichfalls kein Problem ist der Einbau in einen geschlossenen Schaltschrank oder in eine Konsole. Ein Röhrenmodell dieser Größe wäre separat zu kühlen. Die geringe Wärmeentwicklung des Gas-Plasma-Schirms macht dies überflüssig.

*Michael Funk ist freier Fachjournalist in St. Johann