Ratschläge zur High-speed-Migration in lokalen Netzen

Mit Switching-Technik den Turbo im LAN zünden

09.08.1996

Bald zehn Jahre ist es her, daß ein heftig geführter Glaubenskrieg in der DV-Welt tobte: Ethernet oder Token Ring? hieß damals die Frage, an der sich die Gemüter erhitzten und die die Networker in zwei Lager spaltete. Die Token-Ring-Hersteller - allen voran IBM - waren seinerzeit mit dem ehrgeizigen Ziel angetreten, Ethernet (IEEE 802.3) den Rang abzulaufen.

Wie sich herausstellte, schlug der Plan fehl, IEEE 802.3 als Topologie Nummer eins abzulösen. Die Token-Ring-Phalanx eroberte zwar vornehmlich in SNA-Umgebungen große Marktanteile, konnte den glorreichen 25. Geburtstag von Ethernet aber nicht verhindern. Nach wie vor erfreut sich der von Rank Xerox, DEC und Intel entwickelte Standard weltweit großer Beliebtheit.

Mittlerweile sind beide Verfahren in die Jahre gekommen und können in ihrer ursprünglichen Funktion als Shared-Media-LANs modernen DV-Ansprüchen kaum noch standhalten. In vielen Fällen reicht die Bandbreite von 4, 10 beziehungsweise 16 Mbit/s, die sich alle Stationen in einem LAN-Segment teilen müssen, nicht mehr aus.

Verantwortlich dafür sind, wie Berater Atul Kapoor auf dem vom Technology Transfer Institute veranstalteten Symposium "High Performance LAN-WAN-Migration" ausführte, mehrere Gründe: Besonders stark ins Gewicht fällt seiner Meinung nach die Tendenz in Unternehmen, immer mehr Anwender und Server in LANs zu integrieren. Der Bedarf an den zentralen Rechnern steige vor allem, weil aufgrund des Client-Server-Computings die Anzahl an vorzuhaltenden Applikationen in lokalen Netzen laufend zunimmt. Infolgedessen kommt es in Ethernet-LANs zu extremen Kollisionsraten und in Token-Ring-Netzen zu einem Token-Stau bei den Servern.

Gefahr birgt laut Kapoor andererseits aber auch die Bildung zu vieler Segmente und deren Verbindung über Bridges. Dadurch werde ein Overhead an Source-Routing erzeugt, der das Management der LANs zusätzlich erschwere. Problematisch sei außerdem die Rekonfiguration des Netzes in Umzugsfällen oder bei der Integration mobiler Anwender.

Kein Wunder also, daß das Thema High-speed-Migration jetzt verstärkt auf der Tagesordnung von IT-Planern steht, die einem heillosen Chaos in den LANs vorbeugen wollen. Einer, der in Sachen mehr Power im LAN bereits in medias res geht, ist Birger Krägelin, Leiter des Netzwerkzentrums der Fraunhofer-Gesellschaft in Karlsruhe. Die Zauberformel zu mehr Bandbreite heißt bei den Badenern Ethernet-Switching. "Wir binden jeden Arbeitsplatz mit dedizierten 10 Mbit/s sowie die leistungsstarken Server und Workstations mit Fast Ethernet (100 Mbit/s) an", verrät Krägelin die Strategie der Fraunhofer-Gesellschaft.

Die Karlsruher, die ihre Ethernet-LANs derzeit umstellen, haben mit ihrem Ansatz die preiswerteste und mit 10 Mbit/s Bandbreite zum Client kleinste Migrationslösung gewählt.

Dabei ist jedem Front-end-Rechner dediziert ein Port am Ethernet-Switch zugewiesen, der ad hoc, ohne Kollision, die volle Transferrate von 10 Mbit/s garantiert. Im Full-Duplex-Betrieb könnte bei Umrüstung der Adapter in den Endgeräten eine Geschwindigkeit von 20 Mbit/s pro Rechner erzielt werden.

Bedarf in Richtung Full-Duplex sieht Krägelin jedoch nicht: "10 Mbit/s pro Client ist eine so hohe Bandbreite, daß sie von heute üblichen Applikationen gar nicht ausgereizt wird", gibt der Experte zu bedenken, der mit seinem Team das Karlsruher Fraunhofer-Netz vor der Migration genau auf Engpässe untersuchte.

Vor einer Migration Segmentierung prüfen

Zu dieser Vorgehensweise rät auch Consultant Kapoor dringend. Sein Tip: Jeder Administrator sollte das Netz erst hinsichtlich möglicher Schwachpunkte bei der Hardware von Servern, Workstations etc. unter die Lupe nehmen und eine (weitere) Mikrosegmentierung des Shared-Media-LANs prüfen (siehe Ratgeber "High-speed im LAN"). Erst wenn dieses Rezept keinen Erfolg verspricht, sollte eine Migration erwogen werden.

Schon vor der Analyse der Netzlast- und Zugriffsstatistiken war für die Badener klar, die Server über Switched Fast Ethernet - sprich 100 Mbit/s - an den Switch anzuschließen. Fast Ethernet, sozusagen die Formel-1-Version des traditionellen 802.3, kann in zwei Variationen im Netz realisiert werden: Erstens als Shared-Media-Lösung, wobei sich mehrere Geräte 100 Mbit Bandbreite teilen zweitens als Switched-Alternative, bei der ein Fast-Ethernet-Hub jedem 100-Mbit-Adapter diese Transferrate zuordnet.

Der Vorteil der Shared-Variante liegt in geringeren Kosten, allerdings muß jeder Adapter in dieser Collision Domain 100 Mbit beherrschen. Sinn macht dieser Ansatz in kleinen LANs, zum Beispiel Collapsed Backbones (siehe Lexikothek) mit zwei bis drei Servern. Im Gegensatz dazu arbeitet Switched Fast Ethernet kollisionsfrei und ermöglicht DV-Planern, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Es unterstützt parallel den Betrieb von Rechnern mit 10-Mbit- und 100-Mbit-Karten. Für diese Variante spricht also die höhere Bandbreite sowie größere Flexibilität bei der Konfiguration von LANs.

Mit diesen Merkmalen hat Switched Fast Ethernet Defizite wettgemacht, die das herkömmliche Ethernet gegenüber dem Token Ring aufwies. Insbesondere die Kritik der Token-Ring-Verfechter am Kollisionsprinzip von 802.3 verfängt jetzt nicht mehr. Zudem stellt die erheblich höhere Bandbreite von 100 Mbit die maximal 32 Mbit des Dedicated Token Ring deutlich in den Schatten.

Weiteres Manko der "Turbo-Version" des Token Ring ist, daß dazu sämtliche installierten Adapter und Hubs ausgemustert werden müssen. "Aufwand und Nutzen stehen in keiner Relation", warnt Michael Schmidt, Geschäftsführer der Beratungsfirma Cornet in Idstein, und rät deshalb dringend davon ab, "den Token Ring aufzubohren".

Ein Tuning seiner zahlreichen Token-Ring-Netze mit Hilfe des Verfahrens Dedicated-Token-Ring kommt für Lothar Hirsch- biegel, DV-Leiter der AMP Deutschland GmbH, keinesfalls in Betracht. Trotz starker SNA-Prägung der DV-Landschaft spielt der High-speed-Token-Ring in den Überlegungen des weltweit größten Anbieters von Steckverbindern keine Rolle. "Kein Thema", winkt Hirschbiegel ab und schmiedet in puncto High-speed-Migration bereits Wechselpläne: "Ich gehe davon aus, daß wir punktuell Fast-Ethernet-Komponenten einsetzen werden." Noch ist das schnelle Ethernet jedoch Zukunftsmusik. Derzeit steckt der IT-Chef nämlich mitten in einem anderen Migrationsprojekt. AMP überführt gerade die gesamte Individualsoftware vom Host in R/3. Im Zuge dieses Vorhabens rechnet Hirschbiegel allerdings bald mit einem deutlich höheren Bandbreitenbedarf im Netz.

Token-Ring-Nutzern, deren Ansprüche an Geschwindigkeit sich in Grenzen halten, bleibt immerhin noch das Mittel des Token-Ring-Switching. In diesem Fall wird jeder Arbeitsstation vom Switch eine Transferrate von 16 Mbit eingeräumt. Produkte sind jetzt am Markt, die Unterstützung der Hersteller fällt jedoch deutlich geringer aus als bei (Fast-) Ethernet-Switches.

Eben die breite Masse an Produkten und Anbietern ist ein weiteres schlagendes Argument für den Durchbruch der schnellen Ethernet-Verfahren beim Anwender. Die Verfügbarkeit und Reife der Produkte sowie die günstigen Preise haben laut Netzwerker Krägelin bei der Fraunhofer-Gesellschaft den Ausschlag für Fast Ethernet gegeben. Darüber hinaus sei positiv ins Gewicht gefallen, daß es sich um eine bekannte Technik und bereits vorhandenes Know-how handle, alte Infrastrukturen weiter genutzt werden könnten und eine stufenweise Migration möglich sei.

Investitionsschutz sowie die vertraute Technologie sind das größte Pfund, mit dem Switched Ethernet und Fast Ethernet bei Anwendern wuchern können. Mit Sicherheit sind die meisten Hersteller deshalb auf diesen Zug aufgesprungen und halten sich bei konkurrierenden Verfahren wie 100VG-Anylan oder 25-Mbit-ATM eher bedeckt.

100VG-Anylan - eine Entwicklung, hinter der federführend Hewlett-Packard und AT&T stehen -, hat zwar den ehrenwerten Anspruch, das Beste des Token Ring mit den Vorzügen des Ethernet zu kombinieren, aber auch ein gravierendes Handikap: Die 100-Mbit-Technik ist zu bestehenden Adaptern inkompatibel. Sie erfordert also den Austausch sämtlicher Karten und Hubs. Die Migration zu 100VG-Netzen wird zusätzlich durch die Notwendigkeit einer vierpaarigen Verkabelung, die in deutschen Unternehmen selten ist, verteuert. Ein weiterer Pferdefuß ist die Komplexität des Protokolls, die gegenüber Fast Ethernet keine Performance-Vorteile zuläßt.

ATM bleibt hinter den Erwartungen zurück

Das Nachsehen gegenüber dem 100 Mbit schnellen Ethernet dürfte auch die von IBM initiierte ATM-Sparversion mit 25 Mbit Bandbreite haben. Obwohl der blaue Riese hinter dieser Bewegung steht, glaubt Petra Borowka, auf Netze spezialisierte Beraterin in Stolberg, nicht an eine Massenbewegung der Token-Ring-Anwender hin zu 25-Mbit-ATM. "Durch die Marktüberflutung mit Fast-Ethernet-Komponenten, zum Beispiel Adaptern zu Spottpreisen, ist 25-Mbit-ATM ins Abseits gerückt", beurteilt die Spezialistin das Los der IBM-Technik. Wenn schon eine Ablösung der Token-Ring-Netze, dann empfiehlt Borowka entweder Fast Ethernet oder gleich das ursprüngliche ATM mit 155 Mbit/s Transferrate.

Stichwort ATM: Das mit großen Vorschußlorbeeren dekorierte zellbasierte Verfahren hält bislang nicht, was es verspricht. Die anfangs zügige Standardisierung ist ins Stocken geraten und zeitigt aus Sicht von Krägelin in Sachen LAN nichts Positives: "Die vom ATM Forum verabschiedete LAN Emulation (LANE) ist eine ziemliche Krücke, die nicht die erwartete Performance bringt", kritisiert der Fachmann.

Bis auf weiteres ist eine Integration von Sprach- und Datendiensten sowie Videokonferenzen im LAN auf Basis von ATM also nicht in Sicht. Consultant Schmidt warnt bei einer Migration auf ATM außerdem davor, die Betriebskosten zu unterschätzen. Mit einer Erneuerung der Controller und Switches sei es nicht getan. Es müßten auch die Servertechnologie und der hohe Grad an Administration berücksichtigt werden, die durch die Anschaffung von LANE- und MPOA-Servern (MPOA = Multiprotocol over ATM) entstehen.

Trotz aller Kritik an ATM liebäugeln Anwender wie Krägelin und Hirschbiegel mittelfristig mit dem Protokoll. "Der Weg in Richtung Switching ist der Einstieg in die ATM-Denke", zieht der Karlsruher Netz-Manager einen Nutzen aus dem Status quo. Was spricht also dagegen, Fast Ethernet oder eine andere Switching-Technik als Sprungbrett zu ATM zu betrachten?

Ratgeber "High-speed im LAN"

1.Kaufen Sie bei Neuanschaffungen in Ethernet-LANs nur noch Adapter, die 10- und 100-Mbit/s-Ethernet unterstützen.

2.Sammeln Sie über einen längeren Zeitraum Lastdaten des Netzwerks.

3.Identifizieren Sie durch Auswertung dieser Daten Bottlenecks in Ihrem Netz wie zum Beispiel Server, Workstations, Arbeitsgruppen, Applikationen etc.

4.Rüsten Sie Workstations mit stärkeren Prozessoren, Speichern, Adaptern, Bussen etc. nach, sofern diese Komponenten als Schwachstellen entlarvt wurden.

5.Berechnen Sie die erforderliche zusätzliche Bandbreite für Server, Clients oder das gesamte LAN, falls bestimmte LAN-Segmente als Bottleneck lokalisiert wurden.

6.Prüfen Sie, ob mit einem Re-Design des Netzes das Problem zu lösen ist.

7.Falls ein Re-Design Sinn macht, ordnen Sie die Konfiguration der Server und Workstations neu. Erwägen Sie ferner eine weiter Segmentierung, oder, wenn nicht vorhanden, ein Collapsed Backbone.

8.Ermitteln Sie, ob Switched 10-Mbit-Ethernet genügend Bandbreite für Ihr Netz liefert und Spielraum für künftige Anwendungen läßt.

9.Rüsten Sie LAN-Segmente und Endgeräte auf Fast Ethernet um, sofern die Bandbreite von 10-Mbit-Ethernet nicht ausreicht.