Herbstoffensive soll Pool-Position sichern

Mit Sun-Marktanteilen im Visier ändert HP Workstation-Strategie

04.09.1992

MÜNCHEN (jm) - Mit einer neuen Workstation-Strategie will Hewlett-Packard (HP) den Konkurrenten Sun auf dem Terrain der kommerziellen Anwendungen frontal angehen und sich damit auch vom Image eines technisch-wissenschaftlich orientierten Rechneranbieters befreien. Das neue Betätigungsfeld scheint sich zu lohnen: Industrieanalysten schätzen, daß der Workstation-Markt für Geschäftsanwendungen mit einer 50prozentigen Steigerungsrate pro Jahr explodieren wird.

Bemerkenswert ist, daß die Finanzexperten von "Business Week" ihre Rangliste umordnen mußten und die Company der Gründer Bill Hewlett und Dave Packard mit einem Umsatz von 14,5 Milliarden Dollar erstmals vor Digital Equipment (13,9 Milliarden Dollar) als zweitgrößtes US-Computerunternehmen hinter der IBM plazierten.

Zugegebenermaßen ist ein Vergleich von HP mit dem Workstation-Anbieter Sun Microsystems (3,2 Milliarden Dollar) in diesem Zusammenhang etwas schief, da der RISC-Spitzenreiter ausschließlich Hard- und Software verkauft. HP, Ende der 30er Jahre mit einer Tongenerator-Eigenentwicklung bekanntgeworden und mit den Walt-Disney-Studios ins Geschäft gekommen, erntet hingegen auch auf artfremden Tätigkeitsfeldern wie medizinischen Instrumenten. Nun will sich der ehedem für Meßgeräte bekannte Hersteller auf einem Terrain stark machen, das von Sun mit sehr viel Erfolg beackert wird: "HP ist hinter Sun die Nummer zwei bei kommerziellen Anwendungen", schätzt Thomas Kucharvy von der Bostoner Summit Strategies Inc. Zweiter allerdings, schränkt er ein, mit weitem Rückstand auf die Von-Bechtolsheim-Company.

Kommerzielle Anwender noch in der Minderzahl

Unumwunden gibt denn auch Horst Kiel, Sprecher der deutschen HP-Niederlassung in Böblingen, zu, man setze nach wie vor den größten Teil der Workstation-Umsätze in wissenschaftliche und technische Arbeitsumfelder ab. Lediglich 15 Prozent der Verkäufe sind an kommerzielle Nutzer adressiert, die jedoch in Zukunft den Löwenanteil potentieller Workstation-Kunden ausmachen.

Nach einem Mehrpunkteplan will deshalb HPs Workstation. Division ihre Marketing-Strategie überarbeiten: Statt sich mit Sonderaktionen - tausche alte Sun-3-Maschinen zum attraktiven Preis gegen HP-Workstations - allein auf die Jagd nach Sun-Marktanteilen zu begeben, lenkt HP das Augenmerk zunehmend auf spezielle Anwendungen für die Bereiche Telekommunikation, Verkauf, Finanzdienstleistungen und Kundendienst. Zu den Telecom-Kunden gehören bislang schon GTE Telephone Operations, US West, Bellsouth Corp. sowie die Northern Telecom Inc.

Nach Informationen aus den USA trägt sich HP zudem mit dem Gedanken, im Zuge einer Angebotsbereinigung die High-end-Server der Workstation-Familie HP-9000, Modell-700, auslaufen zu lassen. Hierbei würde es sich um die Modelle "720 Server", "730 Server" und "750 Server" handeln. Hintergedanke ist, die Überlappung des HP-9000-Produktangebotes von Low-end-Servern der Modell-linie 800 mit den Standsystemen der Workstation-700-Familie zu vermeiden - in beiden arbeiten RISC-CPUs der PA-Prism-Architektur. HP-Presse-Sprecher Kiel bezeichnete derlei Informationen zwar als Gerüchte und meinte, man wolle lediglich die Namensgebung "Server" für Workstations aufgeben, um möglichen Begriffsüberschneidungen mit der 800-Linie entgegenzuwirken.

Trotzdem bleiben Zweifel. So kann sich auch Marktanalyst Lars Christian Mieritz von der Technology Investment Strategies Corp. in London durchaus vorstellen, daß HP eine Straffung der Produktpalette vornehmen wird, um die einzelnen Rechnerfamilien deutlicher voneinander abzusetzen: "Es wäre durchaus eine gute Idee und ein logisches Vorgehen, die umfangreiche Produktlinie der 800er Modelle klar von den 700-Workstations abzuheben." Da erstere zudem in ihren I/O-Optionen eindeutiger auf das Aufgabengebiet von Servern ausgelegt seien, wäre es durchaus nachvollziehbar, wenn HP die Server-Modelle 720, 730 und 750 zurücknehme.

In einem dritten Schritt gilt es, die HP-Workstation-Verkäufer für eine Klientel zu sensibilisieren, die eine andere Division ohnehin schon erfolgreich umgarnt hat: Anwender von Servern aus dem 800er Produktspektrum. Auch dieses Vorhaben deutet darauf hin, daß man bei HP jetzt eine genauere Vorstellung von der Plazierung eigener Produkte besitzt - und deshalb für die Workstation-700-Server eigentlich keinen Bedarf mehr erkennt.

Mit sehr viel Aufmerksamkeit sollte man zudem in den nächsten Wochen Ankündigungen der Böblinger verfolgen, die das Workstation-Segment betreffen. Wahrscheinlich am 15. September 1992 dürften die 1939 mit einem Startkapital von 538 Dollar in einer Garage hinter Dave Packards Haus gestarteten Kalifornier ihre Asse auf den Tisch legen: Zwar schickte die IBM im Frühjahr 1992 mit dein Rack-Modell 970 der RS/6000-RISC-Rechner das bislang leistungsstärkste Workstation-Modell ins Rennen (Specmark89-Wert 100,3. Specin89 49,3, Specfp89 160,9), trotzdem könnte Big Blue auf der Zielgeraden doch noch die Luft ausgehen, wenn HPs Finish kommt.

"IBM hat die Power-Architektur bis zum geht nicht mehr ausgereizt. HPs neue mit dem 7100-RISC-Prozessor ausstaffierten Systeme dürften im Bereich von 120 Specmarks liegen", prognostiziert Mieritz. Er glaubt zudem, daß HP eine extrem agressive Preisgestaltung vornehmen und sich so in eine ausgesprochen gute Marktposition manövrieren wird.

"An diesen Werten wird dann jeder Wettbewerber gemessen - egal, ob dessen Produkte schon verfügbar sind oder erst noch vor der Präsentation stehen", blickt Mieritz nicht nur in Richtung Sun und IBM, sondern vor allem auch nach Maynard, wo DECs Alpha-Workstation erst möglichst schmerzfrei geboren werden muß.

Der englische Analyst glaubt, daß HP durch die diesjährigen konzertierten Produktoffensiven sowohl im HP-3000- als auch im -9000-Spektrum - alle Rechner, auch die Multiprozessor-Systeme HP9000, Serie 890S, laufen unter der HP-PA-RISC-Architektur - außerordentlich kluge Schachzüge für den Wettbewerb im kommerziellen Sektor ausgeklügelt hat, die nun die Konkurrenz in Zugzwang bringen: "Für DEC, Sun und sogar IBM dürfte der Streß, leistungsstarke Produkte zu interessanten Preisen auf den Markt zu bringen, enorm wachsen."

Für HP spricht sicherlich auch, daß man sich langsam aus dem Würgegriff der Apollo-Motorola-Altlast befreien kann: Die proprietäre Modell-400-Workstation-Linie unter dem Betriebssystem Domain hat nach Insider-Berichten unter anderem auch an Motorolas zeitweiser Unfähigkeit gelitten, HP ausreichend mit 680X0-CPUs zu bedienen. Mit der PA-RISC-Eigenentwicklung müßten diese Probleme eigentlich ausgemerzt sein. Allerdings soll es auch hier offensichtlich bereits Klagen von Anwendern gegeben haben, die über Gebühr lange auf georderte 700er Workstations warten mußten, weil Produzent TI nicht rechtzeitig in genügender Stückzahl liefern konnte.

Im Kampf gegen Sun scheint HP zudem den Low-end-Workstation-Bereich aufs Korn zu nehmen. Möglicherweise ebenfalls in der dritten Septemberwoche könnte HP anfangen, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Mit sehr günstigen 700-Systemen im Bereich von 3500 bis zu 5000 Dollar scheint HP sowohl Intels Klientel der Hochleistungs-PCs als auch Suns preisverwöhnte Einsteiger ansprechen zu wollen.