Euro-Umstellung/Das Beispiel der Provinzial Versicherung Kiel

Mit Standardsoftware fit für das Jahr 2000 und den Euro

28.11.1997

Viele Verantwortliche für das Rechnungswesen in Versicherungen stehen heute vor ähnlichen Problemen wie die Provinzial Versicherung Kiel vor zwei Jahren: Die Einführung des Euro, der Jahrtausendwechsel, wachsender Rationalisierungsdruck und vor allem gestiegene Ansprüche des Controllings an Auswertungsmöglichkeiten lassen so manche Fibu-Software buchstäblich "alt" aussehen.

Die Finanzbuchhaltung der Provinzial arbeitet seit 1984 mit einem Host-System, das ursprünglich für Industrieunternehmen entwickelt wurde. Um es für die Versicherung zu nutzen, waren bei der Einführung erhebliche Anpassungen zur Abbildung der versicherungsspezifischen Belange notwendig. Im Laufe der Jahre kam es zudem immer wieder zu Ergänzungen.

Schließlich fiel 1995 die Entscheidung für eine neue Lösung im Rechnungswesen. "Unser Ziel war es, den gestiegenen Anforderungen an die Unterstützung der Sachbearbeitung gerecht zu werden, Flexibilität und Aktualität der Auswertungen zu erhöhen sowie einen wesentlichen Beitrag zur Rationalisierung der Abläufe in Fibu und Vermittlerabrechnung zu leisten", berichtet Peter Hoffmann-Fölkersamb, Direktor der Finanzabteilung.

Eine Eigenentwicklung faßte die Provinzial erst gar nicht ins Auge: "Für uns war von vorne herein klar, daß es eine Standardsoftware sein muß, die die anstehenden Anpassungen an den Euro und Mehrwährungsfähigkeit garantieren kann."

Der daraufhin erstellte Kriterienkatalog wies neben der Eurofähigkeit drei zentrale Forderungen auf: Das System sollte bereits in der Versicherungswirtschaft im Einsatz sein, da man nicht die Rolle eines Pilotkunden übernehmen wollte. Die Fibu-Software sollte zudem kein Host-System sein, sondern auf PCs basieren. Und schließlich mußte das Programm fit für den Datumswechsel zum Jahr 2000 sein.

Anfang 1996 kamen aufgrund dieser Anforderungen nur zwei Anbieter in Frage, da sämtliche anderen Produkte entweder entwicklungstechnologisch nicht auf dem gewünschten Stand oder überhaupt noch nicht im Praxiseinsatz waren. Einer der Anbieter war SAP. Hoffmann-Fölkersamb: "Wir sind zunächst davon ausgegangen, daß die große Lösung des Marktführers alle Anforderungen erfüllen könne und haben das kleinere System daran gemessen." Die Entscheidung fiel jedoch zugunsten der kleineren Alldata mit dem Produkt "Allis FIN/CO". "Wenn ich einen Stuhl transportieren will, muß ich nicht mit einem 7,5-Tonner fahren, da tut es auch ein Golf", rückt der Abteilungsdirektor die Verhältnisse gerade. "Bei SAP stellten wir fest, daß das System ursprünglich nicht für die Versicherungswirtschaft entwickelt wurde." Gleichwohl habe es Stimmen gegeben, "mit SAP auf Nummer Sicher" zu gehen. Aber schließlich hätten doch wirtschaftliche und praktische Gründe sowie Erfahrungen des Anbieters in der Versicherungsbranche den Ausschlag gegeben.

Um den Aufwand richtig einzuschätzen, waren nicht nur der Lizenzpreis, sondern auch die weiteren Ausgaben für Wartung, Schulung und Hardware zu berücksichtigen. Die Einführung begann im Juli 1996 mit dem Ziel, in einer ersten Stufe im Januar 1997 die Sachkontenbuchhaltung abzulösen. Detaillierte Anpassungen an Fachbereichsanforderungen dauerten bis zum Herbst 1996.

Minimaler Aufwand bis zur Inbetriebnahme

Provinzial-Mitarbeiter realisierten die Schnittstellen, während vom Softwarehaus die vereinbarten individuellen Erweiterungen fertiggestellt wurden. Nach abschließenden Tests und Fehlerbereinigungen sowie der Schulung der betroffenen 45 Mitarbeiter ging das System mit etwas Verspätung am 15. Februar 1997 in Betrieb.

Die Schulung der Mitarbeiter gestaltete sich problemlos: "Das System ist sehr einfach zu nutzen, auch für Mitarbeiter, die bisher noch nicht mit einem PC gear- beitet haben", sagt Hoffmann-Fölkersamb. Insgesamt reichte ein halber Tag Schulung pro Mitarbeiter völlig aus. Inklusive Analyse und Schulung habe der Gesamtaufwand für die Einführung 40 Personenmonate betragen, davon 2,5 auf seiten des Herstellers.

Aufgrund der kurzen Einführungszeit und der damit verbundenen geringen internen und externen Kosten geht die Provinzial von einer Amortisationszeit von nur zwei Jahren aus. Ein Erfolg des Projekts sei auch gewesen, so der Finanzspezialist, Investitionen in das Altsystem zu vermeiden, die bei der Umsetzung des Euros zwingend notwendig geworden wären.

In einem nächsten Schritt plant die Provinzial, ihr System aus Gründen der Daten- und Mengensicherheit stärker an den vorhandenen DB/2-MVS-Host anzubinden. Dieser soll dann als Datenbank-Server dienen. "Wir wollen demnächst unser Vermittlerinkasso über das System laufen lassen. Bei den dabei entstehenden Datenmengen ist eine Vernetzung mit dem Host dringend nötig", erläutert Hoffmann-Fölkersamb. Softwareseitig sind in der zweiten Stufe die Vermittler- und Versichererabrechnungen sowie die Kostenrechnung- und Controlling-Komponenten umzusetzen.

Provinzial

Unter dem dach der Provinzial Versicherung sind in Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern rund 2600 Mitarbeiter tätig. Die in den Bereichen Lebensversicherung und allgemeine Sachversicherung agierende Unternehmensgruppe arbeitet mit etwa 2,6 Millionen Vertragspartnern zusammen und konnte 1996 Prämieneinnahmenin Höhe von insgesamt rund 1,9 Milliarden Mark brutto verzeichnen.

Angeklickt

Die Flucht aus der Individual- in eine Standardsoftware ist für viele Unternehmen naheliegend. Doch zwischen deren Anbietern gibt es gravierende Unterschiede. Die großen sind etwas für jene, die "auf Nummer Sicher gehen" wollen. Doch manche kleinen haben den Vorteil, sich in einigen Branchen besonders gut auszukennen.

*Christian Kvech ist Mitgesellschafter der Agentur Maisberger und Partner in München.