brokat: technik muss nicht schwer verdaulich sein

Mit Spaß durch die E-Commerce-Welt

01.07.1999
Mit "Twister" eroberte die Stuttgarter Brokat Infosystems AG den Electronic-Commerce-Markt. Abenteuerlust und Mut sollten auch ihre Projektmitarbeiter mitbringen.

von Ingrid Weidner*

Hinter dem schnellen Aufstieg von Brokat steckt harte Arbeit. Die fünf Gründer kannten sich aus Studientagen und hatten von Anfang an ein internationales Unternehmen im Auge, als sie im September 1994 in Böblingen begannen, ein Internet-Banksystem zu entwerfen. Namhafte Kunden setzten bald darauf das Produkt "Twister" ein und beschleunigten das Firmenwachstum. Bereits 1996 arbeiteten die Deutsche Bank und AOL Banking mit der Software.

Entscheidend für den Erfolg war, daß die Java-Banking-Lösung hohe Sicherheitskriterien erfüllte. "Wir können Banken in drei Monaten online bringen", erklärt Brokat-Sprecher Reiner Jung. Diese Schnelligkeit, dieses hohe Tempo müssen auch die Mitarbeiter gehen können.

Jochen Rehbock, 31, arbeitet seit einigen Monaten bei Brokat im Bereich Research und Development. Zu den Hauptaufgaben des Informatikers gehört die Weiterentwicklung der Standardprodukte und "Third Level Support". Wenn Kunden Probleme mit der Software haben, melden sie sich beim Support. Sind die Fragen besonders knifflig, wird beim Team der zirka 38 Entwickler nachgefragt, "und wenn es notwendig ist, treten wir dann direkt mit den Kunden in Kontakt." Ansonsten steht die Entwicklung und Erweiterung von "Twister" im Vordergrund von Rehbocks Arbeit.

Vom Studium an der Technischen Universität Clausthal und der Arbeit bei der DVG Hannover, dem Rechenzentrum der Sparkassen, brachte Rehbock bereits Vorkenntnisse in objektorientierter Programmierung mit. Trotzdem war der neue Job bei Brokat ein Sprung ins kalte Wasser. Da sein Vorgänger in die USA ging, blieben nur zwei Wochen Einarbeitungszeit. "Aber es gibt E-Mail-Kontakt und ich kann die anderen Kollegen fragen", erklärt Rehbock.

In den ersten Wochen wurde er systematisch auf sein neues Arbeitsgebiet vorbereitet. "Zuerst mußte ich kleine Veränderungen an den Modulen vornehmen. Nachdem ich mich eingearbeitet hatte, konnte ich relativ schnell schwierigere Aufgaben anpacken." Der Vorteil ist laut Rehbock, daß "man bereits nach kurzer Zeit einen Erfolg hat" und das Produkt genau kennenlernt.

Flexibilität am wichtigsten

"Das Wichtigste ist eine sehr hohe Flexibilität. Jemand, der jeden Morgen wissen möchte, was er den Tag über tut, ist bei uns falsch. In dieser Branche passiert so viel Unvorhergesehenes, auf das wir schnell reagieren müssen", erklärt Ursula Pache, Human Resource Managerin bei Brokat. Solche Höchstleistungen werden mit Anreizen belohnt. Neben finanziellen Gesichtspunkten sind flexible Arbeitszeiten und viel Handlungsspielraum wichtige Elemente. Momentan ist Brokat von der Programmierung bis zur Installation der Software beim Kunden für alle Dienstleistungen zuständig. Das soll sich in nächster Zeit ändern, denn die personalintensive Implementierung übernehmen in Zukunft Partner. Das Unternehmen kann sich dann stärker auf die Weiterentwicklung seiner Produkte konzentrieren. Zum Bankengeschäft kommen neue Bereiche hinzu: Telekommunikation, Gesundheitsbereich und die öffentliche Verwaltung. Hier erhoffen sich die Macher von Brokat große

Marktpotentiale.

Ihre Strategie ist denkbar einfach: ein Pilotprojekt mit einem repräsentativen Kunden ermöglicht es, viel Know-how zu sammeln und gleichzeitig ein gewisses Renommee zu erwerben. Vor allem die öffentlichen Verwaltungen werden in naher Zukunft ins Visier genommen. Der Wettbewerb "Media@Komm" der Bundesregierung unterstützte die öffentlichen Verwaltungen bei dem Vorhaben, ihre Leistungen vermehrt über das Internet anzubieten. Zusammen mit der Stadt Bremen, einem der drei Gewinner des Wettbewerbs, startet Brokat ein Pilotprojekt.

Im technischen Bereich sucht das Unternehmen in erster Linie Informatiker. Allerdings haben auch Physiker, Mathematiker und Quereinsteiger gute Chancen. "Die Bewerber sollten unterschiedliche Betriebssysteme und Kenntnisse in Objektorientierung und den entsprechenden Programmiersprachen haben. Kenntnisse in C++ wären ideal, aber auch Spezialisten für Firewalls und Netztechnologien sind bei uns gefragt", so Pache. Die Bereitschaft, sich ständig weiterzubilden, ist eine weitere wichtige Voraussetzung.

Markus Scheibenflug, 34, gehört zu den erfolgreichen Quereinsteigern bei Brokat. Der gelernte Kommunikationselektroniker arbeitete vorher unter anderem im Bereich mittlerer Datentechnik bei Nixdorf. "Ich habe über mehrere Jahre den Aufstieg von Brokat verfolgt." Ausschlaggebend für seine Bewerbung war ein guter Freund, der bei Brokat arbeitete und von der Firma schwärmte. Seit vergangenem Dezember arbeitet Scheibenflug als Technical Consultant im Bereich Business Development, der Schnittstelle zwischen Vertrieb und Technik.

"Wir bringen die Technik leicht verdaulich rüber und versuchen, die Leute zu begeistern", beschreibt er eine seiner Aufgaben. Bei den Produktpräsentationen für die Kunden ist er mehr als ein technischer Animateur. Da oft auch die Techniker des jeweiligen Unternehmens anwesend seien, komme es darauf an, technische Details fundiert, aber mit Begeisterung und allgemein verständlich zu erklären. Wie der muntere Schwabe über seine Arbeit spricht, zeigt, daß ihm der Job Spaß macht. Ganz kokett erklärt er zwar, mit seinen 34 Jahren liege er eindeutig über dem Durchschnittsalter der Kollegen, das 30,6 Jahre beträgt, aber ein Problem hat er damit nicht.

Das Projektteam hat die Arbeit dann abgeschlossen, wenn die Software beim Kunden läuft und keine weiteren Fragen auftauchen. "Es ist eine sehr interessante Aufgabe, wenn man nicht allzu introvertiert ist", sagt Scheibenflug. Für ihn ist sein neuer Job "eine gute Mischung aus deutschem Standard, beispielsweise der Arbeitsplatzsicherheit, und der lockeren amerikanischen Mentalität." Vom ersten Arbeitstag an ist das lockere Du üblich, nur die Mitglieder des Vorstands werden weiterhin mit Sie angesprochen.

*Ingrid Weidner ist freie Journalistin in München.