Kolumne

"Mit Softwarefehlern abkassieren"

20.06.2003
Heinrich Vaske Chefredakteur CW

Microsofts Entscheidung, per Technologiekauf in den Markt für Antivirensoftware einzusteigen, ging in den Schlagzeilen über Oracles feindlichen Übernahmeversuch des Rivalen Peoplesoft beinahe unter. Dabei geht es hier um mehr als nur den Versuch der Gates-Company, einen neuen Markt zu erschließen.

Microsoft will künftig nicht nur an seiner Software, sondern offenbar auch an deren Fehlern und Sicherheitsmängeln verdienen. Zur Erinnerung: Melissa, Loveletter, Anna Kournikova, Nimda, Code Red, Bugbear - alle diese populären Schädlinge wären ohne mehr oder weniger große Sicherheitslücken in Microsoft-Programmen nicht denkbar gewesen. Ihre Beseitigung lässt sich der Softwareriese künftig bezahlen.

Als "mafiös" bezeichnete ein Analyst der Forrester Group Microsofts Einstieg in das Antivirengeschäft. Das Unternehmen wolle seinen Kunden "Schutzgeld" abpressen. Der Vergleich ist zweifellos überzogen: Nicht Microsoft attackiert die Kunden, sondern jene Kriminellen, die draußen an ihren Rechnern sitzen und rücksichtslos ihre Schadroutinen unters Volk bringen. Fakt ist aber, dass Microsoft trotz seiner Initiative "Trustworthy Computing" bisher kein Mittel gefunden hat, seine Produkte weniger anfällig für böswillige Attacken zu machen. Nun wird also zugekauft - und der Kunde zahlt die Rechnung.

Doch das ist noch nicht alles: Microsoft hat sich bisher nicht definitiv dazu geäußert, ob der geplante Virenscanner Teil des Windows-Betriebssystems werden soll. Wäre das der Fall, käme wohl neue Arbeit auf die Kartellbehörden zu. Zumindest in Europa haben die aber mit Microsoft noch genug zu tun.

Erstaunlich, wie gelassen der Wettbewerb den Vorstoß aus Redmond zur Kenntnis nimmt. Die Gates-Company hat mit diesem Deal unmissverständlich signalisiert, dass sie den lukrativen Markt für Sicherheitsprodukte noch intensiver angehen wird. Dabei dürfte jedem klar geworden sein, dass Microsoft seinen Virenscanner - will man die Windows-Kunden nicht verprellen - billig anbieten wird. Nicht unwahrscheinlich ist ferner, dass der Softwaregigant weitere Security-Märkte zu vereinnahmen gedenkt. Das Angebot dürfte bald ausreichen, um Unternehmen im Sinne eines Security-Managements umfassend zu versorgen. Das dürfte sich auf die Geschäfte von Konkurrenten wie Symantec und Network Associates auswirken.

In der Vergangenheit arbeitete Microsoft stets eng mit den Security-Spezialisten zusammen. Ob das unter diesen neuen Umständen so bleibt, wird sich zeigen. Die Antivirenspezialisten jedenfalls sind auf die Produktinformationen und -pläne von Microsoft angewiesen. Sie bekommen diese künftig von einem direkten Konkurrenten.