Mercedes-Benz plant Einsatz von Nest in kuenftigen Fahrzeug- Generationen

Mit Nest und Netware Connect will Novell eine Milliarde User

02.06.1995

NIZZA - Erweckte Novell vor einem Jahr noch den Eindruck einer Company, die durch die Uebernahme von Wordperfect und den Wechsel an der Fuehrungsspitze in Agonie zu fallen drohte, so gibt sich das Unternehmen heute auf der europaeischen Entwicklerkonferenz "Brainshare" in Nizza kaempferischer denn je. Mit einer gut gefuellten Kriegskasse ist Novell in den laut Bob Frankenberg "Zeiten des kalten Krieges" dabei, sich von einer LAN-Company zum Anbieter von Corporate-Networking-Loesungen zu mausern.

Wesentliche Schritte auf dem Weg vom Netzwerk-Betriebssystem- Hersteller zum Anbieter von Kommunikationsloesungen sind dabei laut Frankenberg neben Netware unter anderem die Novell Embedded System Technology (Nest) und die gemeinsam mit AT&T ins Leben gerufenen AT&T Netware Connect Services (ANCS). In Sachen Nest hat Novell eigenen Angaben zufolge bereits 150 Hersteller, darunter auch fast alle ehemaligen Partner des Microsoft-Projektes "MS at Work" gewonnen, wobei der Hersteller QMS bereits in wenigen Wochen Drucker mit Nest-Funktionalitaet ausliefern soll. Waehrend Frankenberg sich noch in Schweigen huellt, wer die beiden grossen Automobilhersteller sind, die ab 1998 Nest in ihren Fahrzeugen einsetzen wollen, war aus anderer Quelle bereits zu erfahren, dass der Stuttgarter Automobilkonzern Mercedes-Benz derzeit daran arbeitet. Wie es weiter hiess, wollen die Stuttgarter neben Navigationshilfen mit Nest womoeglich auch die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Werkstatt realisieren. Im Falle eines Fehlers soll das Fahrzeug automatisch die Werkstatt mit dem entsprechenden Ersatzteil ausfindig machen und ueber das Problem informieren. Anschliessend, so die Plaene, weist die Elektronik dem Fahrer den Weg zur naechsten Vertretung.

Noch weitere Szenarien sind durch eine Kombination der diversen Netztechnologien vorstellbar. Mit einer Kombination der verschiedenen Produkte, so die Vision Frankenbergs, koennten sich in Zukunft die Distributionskanaele des Warenverkehrs drastisch aendern. So ist es beispielsweise vorstellbar, dass Zeitungen kuenftig nicht mehr in gedruckter Form per Boten ausgeliefert, sondern schneller via ANCS elektronisch zugestellt und beim Verbraucher ueber den Dienst "Netware Distributed Printing" zu Papier gebracht werden. Mit entsprechenden Druckern, die rund 200 Dollar kosten sollen, rechnet der CEO noch im Laufe dieses Jahres.

Die Abrechnung der Dienstleistungen koennte dabei ebenfalls ueber die ANCS erfolgen, wobei Tuxedo die Ueberwachung und Steuerung der finanziellen Transaktionen uebernimmt. Als Front-end beim Kunden soll nun, nachdem aus Novell-Sicht der Deal zwischen Microsoft und Intuit gluecklicherweise geplatzt ist, "Quicken" zum Einsatz kommen.

In Nizza bekundete Novell-Boss Frankenberg erneut sein Interesse an der Finanzsoftware, aeusserte sich aber nicht zu der zeitweise geplanten Verwendung von Microsofts "Money". Auch in Sachen Borland war der CEO gegenueber der Presse zu keinen konkreten Statements bereit.

ANCS soll 1996 global verfuegbar sein

So kann sich der Novell-Chef einerseits vorstellen, dass sein Unternehmen mit dem kuenftigen Eigentuemer Borlands weiter zusammenarbeitet, anderseits komme man auch selbst als neuer Besitzer der Softwareschmiede in Betracht. Aehnlich dem Orakel von Delphi werfen die Antworten des CEO mehr Fragen auf als sie beantworten, zumal Novell nach Angaben des Bosses eine mit einer Milliarde Dollar gut gefuellte Kriegskasse besitzt.

Eine Schluesselfunktion bei allen Zukunftsplaenen kommt den AT&T Netware Connect Services zu. In den USA soll der Dienst laut Scott Jamar, Senior Product Line Manager fuer ANCS, bereits Ende des Jahres angeboten werden. Mit der weltweiten Verfuegbarkeit ist dann im Laufe des Jahres 1996 zu rechnen. Um weitere Partner zu gewinnen, verhandelt Novell derzeit in den USA mit sieben regionalen Bell Operating Companies sowie weltweit mit 14 PTTs, von denen die meisten in Europa beheimatet sind. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge duerfte in Deutschland die Telekom als Anbieter des Dienstes in Frage kommen, denn diese ist laut Jamar "sehr interessiert" an ANCS. Neben den Verbindungen ueber klassische Waehlleitungen soll bis Jahresende auch eine Einwahl ueber Dect, GSM, Infrarot und PCN moeglich sein.

Mit ihrem Dienst wollen die Netzwerker, salopp ausgedrueckt, den Anwendern ein oeffentliches IPX-Internet bereitstellen. Mit ANCS soll auch kleineren Unternehmen eine kostenguenstige Moeglichkeit zum Aufbau von Internetworking-Verbindungen auf Basis von IP und IPX gegeben werden. Um das DV-Budget kleinerer und mittlerer Unternehmen zu entlasten, sind fuer die Nutzung der ANCS keine Router oder Modem-Pools erforderlich.

Neben der Verbindung von remoten Zweigstellen duerfte der Dienst auch fuer Aussendienstmitarbeiter interessant sein, wenn Ende des Jahres das von Frankenberg in Nizza angekuendigte "Mobile Netware" verfuegbar ist. Neben dem fuer mobile Mitarbeiter attraktiven Modemzugang sollen zusaetzlich Verbindungen via Frame Relay, ISDN, X.25, ATM, PPP, Switched 56 und Funknetze realisiert werden.

Neben den klassischen DV-Szenarien wie Intra- und Internetworking sowie Remote Networking sind fuer ANCS-Manager Jamar Anwendungen wie Bulletin Boards, Online-Services oder jegliche Spielart von Multimedia, angefangen bei interaktiven Spielen ueber Videodistribution bis hin zum Online-Shopping, als Dienstleistungen vorstellbar.

Um die Bezahlung entsprechender Dienstleistungen sicherzustellen, ist in einer spaeteren Phase geplant, Tuxedo-Funktionalitaeten innerhalb der Netware Connect Services bereitzustellen. Darueber hinaus ist denkbar, ueber diesen Service ein Corporate Network fuer Sprachdienste aufzubauen, wenn, wie berichtet, die 24 wichtigsten Hersteller von TK-Equipment mit ihren Produkten kuenftig die Telephony-Schnittstelle unterstuetzen.

Doch bei aller Euphorie auf dem Weg von der LAN-Company zum Anbieter von integrierten Enterprise-Loesungen, verliert die Networking-Company ihr Kerngeschaeft nicht aus den Augen. In Nizza skizzierte Drew Major, geistiger Vater von Netware sowie Chief Scientist und Senior Systems Architect bei Novell, die weiteren Entwicklungsstufen des Bestsellers Netware. So soll Netware 4.1, das nach dem schleppenden Start der Vorgaengerversionen 4.x auf 40 000 der 100 000 heuer neu installierten Netware-Server laeuft, zu einem Microkernel-orientierten Betriebssystem weiterentwickelt werden.

Dank Microkernel sollen Unixware und Netware kuenftig modular aufgebaut sein, so dass die Netzmodule auf beiden Plattformen laufen. Diesen Bausteinen kommt eine aehnliche Funktion wie den heutigen NLMs zu, wozu sie ebenfalls auf einem Service-Provider- Interface-(SPI)-Layer aufsetzen. Ziel dieser Entwicklung ist, dass sich Unixware und Netware kuenftig besser ergaenzen und grundlegende Netzfunktionalitaeten auf beiden Plattformen zur Verfuegung stehen.

Darueber hinaus ist geplant, in der naechsten Version NDS sowohl auf den Servern wie auf den Clients voll zu nutzen. Waehrend NDS bereits heute mehrere Clients unterstuetzt, ist fuer die Zukunft auch die Realisierung der Kommunikation zwischen den einzelnen Servern angedacht. Mit dieser erweiterten Technologie koennten dann Applikationen auf mehreren Servern verteilt gespeichert sein, ohne dass der Client den physikalischen Platz der Anwendung zu kennen braucht.

Fuer Major steckt dahinter die Idee, dass sich die heute Server- orientierte Betrachtung des Netzes zu einer an Diensten orientierten Sicht des Netzwerkes wandelt, wobei die Dienste transparent ueber mehrere Server verteilt sein koennen. Damit die Vision dieses serviceorientierten Networkings Realitaet wird, will Major die Funktionen von Netware auch fuer Applikations-Server bereitstellen und anderen Herstellern die entsprechenden APIs offenlegen.

Zusaetzlich, so der Chief Scientist, ist geplant, die NDS kuenftig flexibler zu gestalten, so dass Informationen fuer andere Applikationen wie etwa das Lotus-Groupware-System "Notes" ueber die Directory Services verfuegbar sind. Ein weiterer Schritt in Richtung Networking von morgen ist das Advanced File System (AFS), das dank eigener Intelligenz weiss, wo sich eine entsprechende Database befindet, waehrend die Speicherung und Festlegung des File-Namens an anderer Stelle erfolgt. So koennte beispielsweise mit Hilfe des neuen File-Systems eine grosse Videodatei auf mehreren Servern verteilt gespeichert werden, um eine gleichmaessige Auslastung der Festplatten zu erreichen. Neben einem schnelleren Mounten von Netzlaufwerken soll AFS aufgrund geaenderter Replikationsverfahren kuenftig auch eine Unterstuetzung von Clients ermoeglichen, die nur zeitweilig mit dem Netz verbunden sind.

Genauere Angaben dazu, wann die neuen Features im einzelnen zur Verfuegung stehen, wollte der Netware-Vater nicht machen. Major kuendigte nur an, dass die Netware-Gemeinde in den naechsten Monaten mit einigen "Major Announcements" rechnen koenne.

Ueber einige Neuerungen wie "Netware for Windows" oder Novells neues Router-Protokoll werden wir in der naechsten Ausgabe berichten.