Nach zweiwöchigem Verhandlungs-Poker droht "unfriendly take-over"

Mit NCR-Deal will AT&T die Tür zum DV-Weltmarkt weit aufstoßen

07.12.1990

NEW YORK (CW) - Wochenlang kursierten die - Fusionsgerüchte, jetzt liegen konkrete Zahlen vor: AT&T hat der NCR Corp. für eine Übernahme mehr als sechs Milliarden Dollar geboten. Der Vorstand des umworbenen Konzerns lehnte das Angebot vorerst ab. Die Summe sei zu niedrig, und außerdem werde sich NCR nicht durch ein zeitliches Ultimatum unter Druck setzen lassen.

Wie das "Wall Street Journal" berichtete, hat sich AT&T nach zweiwöchigen Verhandlungen zu einem Angebot von 90 Dollar pro Aktie durchgerungen. Im Falle eines Take-Overs hätte der Telefonkonzern damit eine Gesamtsumme von etwa 6,03 Milliarden Dollar gezahlt - fast den doppelten Betrag des vom "Handelsblatt" errechneten derzeitigen NCR-Marktwertes.

Der NCR-Vorstand jedoch interpretiert diese Zahl anders: Das Angebot liege lediglich 25 Prozent über dem höchsten NCR-Aktienstand der letzten sechs Monate und sei daher inakzeptabel. NCR bleibe AT&T gegenüber aufgeschlossen und werde weitere Angebote abwarten. Mit anderen Zahlen rechnet dagegen AT&T. Das Angebot pro Aktie liege um 88 Prozent über dem NCR-Stock-Preis vom 5. November 1990. Zu diesem Zeitpunkt war der NCR-Aktiemkurs noch nicht von Gerüchten um eine Fusionbeeinflußt (siehe CW Nr. 46 vom 16. November 1990: "Gerücht um AT&T-NCR-Fusion treibt den Aktienkurs in die Höhe").

Erst nach Bekanntwerden der AT&T-Pläne schnellte der Preis der NCR-Anteile von 48 auf zeitweilig sogar 60 Dollar pro Stück in die Höhe.

Da NCR offensichtlich weiterhin pokert, muß der Open-Systems-Konzern jetzt mit dem Versuch eines "unfriendly Take-over" seitens AT&T rechnen. Um eine schnelle Entscheidung zu erzwingen und den Druck auf NCR zu verschärfen, hatte sich AT&T nämlich dazu entschieden, die Öffentlichkeit über die Fusionspläne in Kenntnis zu setzen.

Ein Unternehmens-Statement verdeutlicht die Entschlossenheit von AT&T: "Sollte ein für NCR akzeptabler Preis nicht zustande kommen, so müßte die letzte Entscheidung bei den NCR-Aktionären liegen." Nun kommt es also darauf an, ob es AT&T gelingt, einen signifikanten Teil der Aktien von NCR-Aktionären zu erwerben und den Kontrahenten auf diese Weise in die Knie zwingen.

Fusion als Lösung sämtlicher Probleme

Für den im Computerbereich bisher erfolglosen US-Telefonkonzern AT&T ist der Handlungsbedarf dringenden denn je: Von 1984 bis heute hat das Unternehmen im DV-Geschäft Verluste in Höhe von etwa zwei Milliarden Dollar gemacht. Zwar kann AT&T diese Summe derzeit noch mit dem Telefongeschäft auffangen, aber wenn das Computergeschäft nicht vollständig aufgegeben werden soll, bedarf es hier einer Neustrukturierung. Die Fusion mit einem Partner, der die Unix-Produkte der AT&T Bell Laboratories voll unterstützt und gleichzeitig eine attraktive Open-Systems-Produktpalette anbietet, wurde für AT&T zumindest vorläufig die Lösung sämtlicher Probleme bedeuten.

Auf dem Weltmarkt für Informationstechnologie könnte sich die Verschmelzung der beiden Unternehmen signifikant auswirken. Gemessen an den Umsatzzahlen würde mit NCR das weltweit zwölftgrößte DV-Unternehmen mit dem fünf Plätze dahinter liegenden Anbieter AT&T verschmelzen.

Nach den US-Herstellern von proprietären Systemen wie IBM, DEC und Unisys sowie deren japanischen Konkurrenten NEC, Füjitsu und Hitachi wäre der AT&T-NCR-Konzern nach den heute verfügbaren Umsatzzahlen der weltweit siebtgrößte Anbieter - noch vor Hewlett-Packard oder den europäischen Anbietern Bull, Siemens und Olivetti.

Entscheidend ist aber weniger der Weltranglistenplatz als die, Marktbedeutung eines AT&T-NCR-Konzerns. Im September dieses Jahres hat NCR angekündigt, auf der Basis von Intel-Prozessoren eine offene Systemumgebung über alle Rechnerebenen anzubieten. Da das Unternehmen seit 1981 sämtliche Unix-Produkte von AT&T unterstützt, wurde am Markt für Open Systems ein großer Synergie-Effekt entstehen. Während NCR die Hardware bereitstellte, liefert AT&T die Software.

Von Vorteil ist ebenfalls, daß NCR nicht wie IBM, DEC oder die Siemens-Nixdorf AG in Deutschland ein Anbieter proprietärer Systeme ist. Es gibt keine installierte Basis- von Mainframes und Minicomputern, auf die AT&T und NCR beim Verkauf ihrer Produkte Rücksicht nehmen müssen. Die Unternehmen könnten also - im Gegensatz zum Mitbewerb - damit beginnen, den proprietären Systemen auf auf breiter Ebene mit vernetzten PC-Umgebungen Konkurrenz zu machen, ohne sich dabei ins eigene Fleisch zu schneiden.

Aber nicht nur die innovative Produktpalette, sondern auch die globale Repräsentanz des AT&T-Konzerns verspricht Erfolge. Während sich die Geschäfte des Telefonkonzerns weitgehend auf die Vereinigten Staaten beschränken, ist NCR ein weltweit aktives Unternehmen. Der 56000-Mitarbeiter-Konzern verfügt über Niederlassungen in mehr als 120 Ländern und erzielt ungefähr 60 Prozent seiner Umsätze im Ausland. AT&T dagegen beschäftigt von weltweit 279 000 Angestellten insgesamt 20 000 Mitarbeiter außerhalb der Vereinigten Staaten - nur ein Teil davon arbeitet im Computergeschäft.

Um das Take-over schnell zum Abschluß zu bringen, zeigt sich der Telefonkonzern kompromißbereit. Amerikanische NCR-Mitarbeiter sollen im Falle eines Mergers weiterhin im Hauptquartier in Dayton/Ohio beschäftigt werden. Der Konzern wird nach Vorstellungen von AT&T künftig den Kern des gemeinsamen Computergeschäftes bilden. Sämtliche NCR-Einrichtungen, so verspricht AT&T, bleiben im Falle einer Fusion weiterhin geöffnet und in Betrieb - sogar der Name soll nicht verändert werden.

Eine Akquisition dieser Größenordnung ist für AT&T neues Terrain, obwohl die Amerikaner in den vergangenen Jahren immer wieder Interesse an verschiedenen Firmen gezeigt hat.