Mit Mut und Phantasie für neue Arbeitsplätze

14.12.1984

Ingeborg Sperling

HWWA, Institut für Wirtschaftsforschung, Hamburg

Die aktuellen Wirtschaftsprognosen lassen für das kommende Jahr wiederum nur ein mäßiges Wirtschaftswachstum von zwei bis drei Prozent erwarten. Die Beschäftigtenzahl wird dabei wohl nur wenig zunehmen. Dies reicht nicht aus für nennenswerte Fortschritte beim Abbau der hohen Arbeitslosigkeit. Die Zahl der Erwerbslosen wird weiterhin über zwei Millionen liegen. Nur über Änderungen in der Wirtschaftspolitik und Tarifpolitik sowie im Investitionsverhalten der Unternehmen sind ein stärkeres Wirtschaftswachstum und eine erhebliche Verringerung der Arbeitslosigkeit möglich.

Maßnahmen, um die Arbeitslosigkeit abzubauen, müssen an den Ursachen ansetzen. Zum überwiegenden Teil ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht kurzfristig-konjunktureller, sondern struktureller Art; sie ist auf längerfristige Veränderungen von Angebot und Nachfrage auf diesem Markt zurückzuführen. Einerseits steigt das Angebot an Arbeitskräften, weil durch Änderungen im Altersaufbau der Bevölkerung mehr junge Menschen ihr Berufsleben beginnen, als wiederum Ältere in den Ruhestand treten. Andererseits ist die Nachfrage nach Arbeitskräften gesunken. Die Beschäftigung ging nach einer Zunahme um eine Million in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre in den letzten Jahren um die gleiche Zahl zurück.

Dies gilt vor allem als eine Folge der hartnäckigen Wachstums- und Investitionsschwäche. Die Unternehmen hielten sich bei Investitionen für neue Produktionskapazitäten und Arbeitsplätze wohl vor allem deshalb zurück, weil die Gewinne unzureichend waren und die Erwartungen gedämpft. Zur Verschlechterung der Gewinnentwicklung trugen steigende Produktionskosten bei: Lohn- und Lohnnebenkosten, aber auch Energie-, Rohstoff- und Umweltschutzkosten. Die Unternehmen disponierten vorsichtiger als früher, weil sie die Chancen für eine nachhaltige Konjunkturerholung skeptischer einschätzten. Die weltweiten Risiken wurden größer eingestuft. Hinzu kam, daß der Kurs der Wirtschaftspolitik nicht ausreichend wachstumsorientiert war.

Nicht zuletzt nahmen anders als in den USA und Japan - die Flexibilität und Risikobereitschaft bei der Anpassung an binnenwirtschaftliche und weltwirtschaftliche Datenänderungen ab. Viel zu lange haben die Unternehmen "alte" Produkte beibehalten und Investitionen in neue, wachstumsträchtige Produkte versäumt. Dies gilt auch für den Computerbereich.

Gegenüber dieser "Wachstumsdefizit-Arbeitslosigkeit" spielt die Arbeitslosigkeit aufgrund der Einführung neuer Produktionstechniken oder neuer Informations- und Kommunikationstechniken nur eine unbedeutende Rolle. Dies wird auch in den nächsten Jahren nicht anders sein. Vielfach werden die produktivitätssteigernden und arbeitssparenden Wirkungen technischer Neuerungen und die Geschwindigkeit ihrer Durchsetzung überschätzt. Zwar ist es punktuell zu spürbaren Personalreduzierungen im Produktions- und auch im Büro- und Verwaltungsbereich gekommen. Insgesamt vollzieht sich der technische Wandel aber nur sehr allmählich und stetig. Ein Indiz dafür ist, daß die gesamtwirtschaftliche Produktivität seit Beginn der achtziger Jahre langsamer aufstieg als noch in den siebziger Jahren.

Angesichts dieses Befundes sind verschiedene Therapien nötig. Die Wirtschaftspolitik muß stärker wachstumsorientiert, die Tarifpolitik muß stärker beschäftigungsorientiert sein, und die Unternehmen müssen sich stärker wettbewerbsorientiert verhalten. In der Finanzpolitik sollte die Steuerreform zur Senkung der Belastung von Unternehmern und Arbeitnehmern 1986 in einem Zug durchgeführt werden. Subventionen sollten abgebaut werden, und die Staatsausgaben sollten zu investiven Ausgaben hin umgeschichtet werden. Überdies muß die Finanz- und Wirtschaftspolitik stetiger, berechenbarer werden. Auf einen Ersatz der Investitionshilfeabgabe sollte verzichtet werden.

Stärker als bisher müssen auch die Tarifpartner zur Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten beitragen. Arbeitszeitverkürzungen mit Lohnausgleich sind dafür nicht geeignet. Mittelfristig verschlechtern sie eher die Beschäftigungsaussichten. Dagegen würde eine stärkere Lohndifferenzierung, nach Branchen und Regionen, aber auch nach Qualifikationen, die Chancen für Berufsanfänger und von Arbeitslosen erhöhen. Auch sollte die flexible Arbeitszeit stärker als bisher genutzt und ausgebaut werden. Ohne derartige Innovationen wird ein Abbau der Arbeitslosigkeit auf absehbare Zeit nicht möglich sein.

Von entscheidender Bedeutung gegen Wachstumsschwäche und für die Lösung des Beschäftigungsproblems ist aber eine stärkere Wettbewerbsorientierung der Unternehmen. Investitionen in neue, wachstumsträchtige Produkte müssen nachgeholt werden und es muß versucht werden, Innovationsvorsprünge zu erzielen. Hier ist das größtmögliche Maß an Mut und Phantasie nötig.