Mit Leitfaden und Anwendungsmodell gegen das organisierte Chaos Klare Konstruktionsmethoden erleichtern den CAD-Einsatz Von Paul Maisberger*

08.10.1993

Viele Unternehmen klagen, das in fortschrittliche CAD-Systeme eingesetzte Kapital habe sich nicht oder nur sehr langsam amortisiert. Dies kann ganz unterschiedliche Ursachen haben. Eine der wesentlichsten Einschraenkungen der Effektivitaet von CAD- Installationen ist das Fehlen einer durchgehenden, fuer das Unternehmen und die jeweiligen Fachabteilungen definitiv und verbindlich festgelegten Konstruktionsmethodik.

Der Ruf nach einer umfassenden Konstruktionsmethodik ist zum Teil eine direkte Folge der technischen Entwicklung: Waehrend die CAD- Systeme auf der einen Seite staendig leistungsfaehiger geworden sind und den Anwendern ein breites Spektrum von Nutzungsmoeglichkeiten anbieten, ist gleichzeitig die Gefahr gewachsen, dass sich Konstrukteure bei der Arbeit vor dem Bildschirm ins unuebersichtliche Chaos manoevrieren.

"Bei den einfachen 2D-Systemen der ersten Generation war dieses Problem noch nicht so brisant", beschreibt Franz Buerger, Geschaeftsfuehrer des Muenchner CAx-Beratungshauses ASA GmbH, die Situation. "Damals wurden meist nur kleine Teile in zweidimensionaler Darstellung bearbeitet. Die Konstrukteure beherrschten das System und kamen gut damit zurecht."

Ein Durcheinander auf dem Bildschirm

Der Wunsch, auch komplexere Bauteile am Bildschirm zu bearbeiten, brachte die ersten Schwierigkeiten. Buerger: "Leider sind die Bildschirme nicht mit der Komplexitaet der Zeichnungen mitgewachsen. Was auf einem Zeichenbrett durchaus noch ueberschaubar ist, kann selbst bei moderner Fenstertechnik am Bildschirm ohne Strukturierung schnell unuebersichtlich werden, da immer nur Ausschnitte zu sehen sind."

Der Wunsch nach staerkerer Strukturierbarkeit fuehrte schnell zur Verwendung unterschiedlicher Techniken: Die Einfuehrung von Farbbildschirmen ermoeglicht beispielsweise die Zuordnung von bestimmten Farbkennungen zu bestimmten Bauteilen. Andere Strukturierungsverfahren wie die Set-, Schicht- oder Layer-Technik setzen auf der Ebene der Datenstruktur an.

Die Verwendung dieser Methoden ist zwar fuer den einzelnen Konstrukteur praktikabel. Sie fuehrt aber zu Problemen, die unter Umstaenden weit ueber die Konstruktionsabteilung hinausreichen. Der weitere Produktionsprozess, etwa beim Modellbau oder der NC- Programmierung, kann davon betroffen sein. "Wenn jeder Konstrukteur sich seine eigene Methode willkuerlich zurechtlegt, bekommt im Extremfall der Modellbauer von 20 Konstrukteuren 20 mit unterschiedlichen Methoden konstruierte Zeichnungen zur Weiterbearbeitung", erlaeutert Buerger.

Die Unterschiede koennen von der Benutzung verschiedener Farben fuer gleiche Elemente bis zur Verwendung einer komplett anderen Datenstruktur reichen. Der Mehraufwand fuer die Anwender im Nachfolgeprozess liegt auf der Hand und kann die Rationalisierungseffekte bei der Konstruktion zunichte machen.

Auch innerhalb der Konstruktionsabteilung erschweren unterschiedliche Methoden die Zusammenarbeit der einzelnen Konstrukteure. Die Arbeit eines Konstrukteurs ist im Extremfall fuer Kollegen nur unter grossen Schwierigkeiten nachvollziehbar.

Grosse CAD-Anwender wie Unternehmen der Automobil- oder Luft- und Raumfahrtindustrie sind daher dazu uebergegangen, verbindliche Konstruktionsmethoden fuer ihre Abteilungen zu entwickeln und festzulegen.

Vier Kriterien sind dabei wesentlich, betont CAx-Berater Buerger:

- optimale Nutzung des Systems,

- leichte Erlernbarkeit,

- moeglichst hohe und uneingeschraenkte Performance,

- gesicherte Datenkompatibilitaet.

In der Praxis hat es sich bewaehrt, ein Gremium zu bilden, um eine verbindliche Konstruktionsmethodik festzulegen. Die Gruppe sollte aus erfahrenen CAD-Konstrukteuren der Fachabteilungen, CAD- Betreuern, Anwendern aus dem Nachfolgeprozess (Modellbau, NC- Programmierung) und, falls erforderlich, Schnittstellen-Experten bestehen.

Die Vorgehensweise muss dabei nach Ansicht der Experten moeglichst anwendungsbezogen sein. Zunaechst sollten die Konstrukteure die unterschiedlichen Methoden kennenlernen und sich dann gemeinsam mit dem Gremium fuer eine Methode entscheiden, mit der sowohl sie als auch die Anwender des Nachfolgeprozesses arbeiten koennen. Nach der Verabschiedung entsteht ueber die Anlage von Musterzeichnungen und Strukturen ein sogenanntes Anwendungsmodell und ein Konstruktionsleitfaden.

Zu einem Anwendungsmodell mit einem Beispiel (etwa einem Auspuffkruemmer) wird ein Leitfaden erstellt, der die gewuenschte Methode Schritt fuer Schritt nachvollziehbar macht.

Leitfaden und Anwendungsmodell haben fuer die Anwender eine Reihe von Vorteilen: Die Konstrukteure lernen schnell, mit dem CAD- System umzugehen. Zudem ist der Leitfaden innerhalb einer Gruppe oder einer Abteilung stets gleich. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn bei Krankheit oder groesserem Arbeitsanfall Kollegen fuer einen anderen Konstrukteur einspringen muessen. Dadurch wird ihnen die Orientierung in der Zeichnung problemlos moeglich gemacht.

In Grossunternehmen ein Grundmodell fuer alle

Der Nachfolgeprozess im Modellbau und der NC-Programmierung schliesslich profitiert ebenfalls davon, wenn den Konstruktionen nur ein einziges verbindliches Muster zugrunde liegt. Hier laesst sich viel Zeit bei der Umsetzung in Modelle sparen. Grundsaetzlich gilt jedoch, dass die Methoden anwendungsbezogen sein muessen. Das heisst, es koennen innerhalb eines Unternehmens je nach Aufgabengebiet durchaus unterschiedliche Konstruktionsmethoden Verwendung finden.

In Grossunternehmen hat es sich bewaehrt, ein sogenanntes Grundmodell fuer alle Anwendungen festzulegen. Darin sind zum Beispiel die Liniendicken oder Flaechen, Standardeinstellungen fuer Schriften und Bema- ssungen sowie Farben fuer unterschiedliche Schichten (Layer) bereits vorab eingestellt.

Darauf aufbauend entstehen dann fuer die einzelnen Abteilungen spezielle Anwendungsmodelle, die die jeweiligen Anforderungen beruecksichtigen. Um eine problemlose Weiterverarbeitung der Modelldaten in anderen Bereichen zu ermoeglichen, wird die Struktur mit den entsprechenden Stellen (Modellbau, NC-Programmierung) vereinbart. Externe Berater koennen bei diesem Prozess wichtige Unterstuetzung liefern.

"Ein Anwendungsmodell ist dann besonders sinnvoll und gut einsetzbar, wenn es die Voraussetzung zur Konstruktion nach dem Baukastenprinzip bietet", erlaeutert Franz Buerger. Ueber eine sogenannte Bauteilbibliothek koennen die Konstrukteure bereits konstruierte Teile abrufen und vermeiden so Parallel- und Mehrfacharbeiten. Das Verwenden von Wiederholteilen erspart dem Konstrukteur viel Zeit und ermoeglicht die Reduzierung der Teilevielfalt. Die Folge: Verwaltungs-, Herstellungs- und Lagerkosten sinken.

Waehrend Grossunternehmen die ersten Schritte zur Umsetzung der Konstruktionsmethodik machen, sind viele Anwender davon noch weit entfernt.

* Paul Maisberger ist Geschaeftsfuehrer der Agentur Maisberger & Partner in Muenchen.

* Michael Zell ist Mitarbeiter der PR-Agentur Fink und Fuchs in Wiesbaden.