Mit Just-in-Time die Organisation revolutionieren

27.01.1989

Dr. Gerhard Sauerbrey Leiter der Hauptabteilung Management und Fachberatung der Weigang-Industriedienst GmbH Würzburg

Just-in-Time (JIT) fußt wie Computer Integrated Manufacturing (CIM) auf einer großartigen Idee. Diese beinhaltet - ohne alle Schnörkel, die wir schönen einfachen Gedanken anzuhängen pflegen - nichts anderes als die Aufforderung, genau dann zu handeln, wenn es etwas zu handeln gibt. Dies wiederum bedeutet, daß wir nicht agieren, weil es Zeit" ist, sondern weil ein Ereignis die vorangegangene Handlungsweise ihres Sinns entkleidet hat. Kurz gesagt, fordert uns JIT zu ereigniskonformem Verhalten auf.

Doch das ist noch lange nicht alles, denn dieser Verhalten-vorschlag impliziert ein Verbot zu gegenteiligem Verhalten, und genau in diesem sind wir ja ach so geübt.

Wir warten nicht auf Ereignisse, sondern planen munter drauflos, wohl wissend, daß unsere Trefferquote lächerlich gering ist. Wir planen mit zusammengebissenen Zähnen sogar rein stochastische Prozesse, wie zum Beispiel eine Werkstattfertigung. Wir planen Kapitalströme bei Anlagenbauern und Durchlaufzeiten in verstopften Fabriken ebenso sorglos wie die Wiederbeschaffungszeit auf einem monopolistischen Markt und die Einführung einer nicht beherrschten Technologie. Wir planen - damit wir das Unsichere etwas schneller wissen - via Computer und setzen noch einen oben drauf, indem wir komplexe Abhängigkeiten nicht planbarer Phänomene planen.

Wir haben mittels DV gelernt, das Planen der Anrüchigkeit der Schwarzen Kunst oder des Schusterkugelbefragens zu entreißen und beschränken uns auf die überlegene Verurteilung der zentralistischen Planwirtschaft osteuropäischer Prägung, von der wir genau wissen (!), daß sie nicht funktionieren kann. Merkwürdigerweise unterscheidet sich unsere Planungswut von der der Genossen nicht grundsätzlich, sondern nur im Maßstab: hier Fabrik, dort Volkswirtschaft.

W Warum also diese öde Planerei? Ganz einfach: Planung suggeriert Sicherheit und entbindet von Verantwortung. Damit wird das Leben im Beruf - besser Job - leicht, und die Sündenböcke sitzen in den Stäben. Planen zentralisiert das Geschehen und wiegt den Unternehmer in der trügerischen Gewißheit, ohne Delegation alles im Griff zu haben. Planen erlaubt uns, nicht flexibel sein zu müssen, nicht entscheiden zu müssen, in einer Welt am Draht zu leben, und das ist ja so schön einfach, denn ...

Reagieren, schnelles situationsangemessenes Handeln, mutiges Entscheiden, Risikobereitschaft und Vertrauen in das eigene Problemlösungstalent werden immer dann gefordert, wenn wir die Ereignisse auf uns zukommen lassen, bevor wir etwas tun. Das verlangt Entscheidungsspielräume auch auf Sachbearbeiterebene, das zwingt zu immer kürzeren Durchlaufzeiten, das veranlaßt uns, Wege zu gehen, die wir noch gar nicht kennen. Das Reagieren ist nicht mehr so schön organisierbar, denn jetzt ist Improvisation (nicht zu verwechseln mit, Durcheinander!) angezeigt, jetzt muß anhand eines Leitfadens, sprich Firmenziels, in einer abgestimmten Form, sprich Unternehmenskultur, gehandelt werden. Damit brauchen wir Vorbilder, gegenseitiges Vertrauen und ein Wir-Gefühl, das zum patriarchalischen Grundkonzept vieler mittelständischer Unternehmen in einem auffälligen Gegensatz steht.

Just-in-Time ist nicht nur Bestandssenkung und Kostenverlagerung auf den Lieferanten. JIT ist eine Philosophie der zeitgemäßen und zukunftssicheren Unternehmensführung, und wir müssen aufpassen, daß nicht wieder - wie bei CIM - hochgradig bornierte Dilettanten und kurzfristig profitgierige Scharlatane diese Idee zu einem trivialen Patentrezept degradieren, mit allen möglichen Unternehmensproblemen fertig zu werden.

JIT kann und sollte uns die Augen öffnen für sehr grundlegende Eigentümlichkeiten einer hyperturbulenten Umwelt und liefert uns die richtigen Ansätze zur Diskussion zukünftigen Verhaltens aller Unternehmen. JIT hat übrigens nichts mit DV zu tun und ist schon gar kein "Produkt". Just-in-Time wird die Gestaltung von Softwareprodukten - hoffentlich - stark beeinflussen, wird uns zwingen, Netzorganisation mit minimalen Datenbeständen zu beherrschen und in der Produktion black boxes zu akzeptieren.

JIT kann eine grundlegende Umwälzung (= Revolution!) der Betriebsorganisation initiieren - hoffen wir, daß sie gelingt.