Business-Integration als kultureller Prozess

Mit IoT Maschinenstraßen überwachen

17.11.2019
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Der Diplom-Informatiker und Elektrotechniker Wolfgang Schmidt begann seine Karriere als Software-Entwicker für Mainframe- und Unix-Umgebungen und ist seit vielen Jahren als Architekt, Berater und Projektleiter, im Software-Engineering und in der Technologieberatung tätig. Im April 2007 gründet er die X-INTEGRATE Software & Consulting GmbH und ist seitdem deren geschäftsführender Gesellschafter sowie Lehrbeauftragter an öffentlichen und privaten Hochschulen im Bereich integratives Geschäftsprozessmanagement und Digitales Management.
Maschinen mit IoT zu überwachen gehört heute zum guten Ton. Doch echten Mehrwert bietet erst ein Konsolidierung der Daten, um etwa komplette Fertigungsstraßen zu überwachen.
In der digitalen Fabrik reicht die Steuerung einzelner Maschinen nicht mehr aus, ganze Produktionstraßen müssen vernetzt werden.
In der digitalen Fabrik reicht die Steuerung einzelner Maschinen nicht mehr aus, ganze Produktionstraßen müssen vernetzt werden.
Foto: PopTika - shutterstock.com

Maschinenbauer digitalisieren ihre Anlagen zusehends. Dabei entstehen Daten, die sich für die Zustandsüberwachung verwenden lassen. Der nächste logische Schritt wäre nun, dass sich Maschinenbauer vernetzen und ihre Daten mit denen anderer Hersteller auf IoT-Plattformen für dedizierte Branchen zusammenfassen. Dann könnten Kunden komplette Fertigungsstraßen einheitlich und damit besser überwachen.

Sensoren an einer Anlage zu installieren und die von ihnen gemessenen Werte aus der Maschinensteuerung oder über einen zweiten, parallelen Datenkanal für das Condition Monitoring bereitzustellen (also für Zustandsbeschreibungen und Bewertungen der Anlage) – diese Möglichkeit bieten heute schon viele Maschinenbauer ihren Kunden. Die Maschinenwerte können in einem weiteren Schritt auch an eine Scoring-Lösung gesendet werden. Eine solche läuft wahlweise auf dem Industrie-PC neben der Maschinensteuerung oder (weil CPU, Betriebssystem oder Speicherkapazität des PC nicht ausreichen) auf einem zusätzlichen Edge Gateway (einer gehärteten Hardwarekomponente, die Industrie-Connectivity-Standards unterstützt) bis hin zur Cloud als Betriebsumgebung. Auf Basis der betriebsrelevanten Messwerte trifft die Scoring-Lösung mittels mathematischer Modelle Vorhersagen über den Wartungsstand der Werkzeuge und die Qualität der gefertigten Teile. Die so gewonnene Predictive Quality erlaubt es Fertigungsbetrieben, Schwachstellen in der Produktion zu antizipieren und ihre Arbeitsabläufe effizienter zu steuern.

Mehrwert durch Vernetzung

Ein Scoring dieser Art ist bereits höhere Schule und im Alltag der Fertigungsindustrie noch längst nicht gang und gäbe. Condition Monitoring hingegen schon und digitalisierte Anlagen verschaffen dem Fertigungsbetrieb heute tiefere Erkenntnisse über Zustand, Laufzeit, Qualität der gefertigten Teile sowie Wartungsintervalle. Hier muss nun der nächste Schritt folgen. Bei ihm stellen die Maschinenbauer nicht nur ihre eigenen Daten zur Verfügung, sondern vernetzen sie mit denen anderer Hersteller und stellen sie beispielsweise auf einer gemeinsamen, branchenbezogenen IoT-Plattform bereit. Oder sie stellen die Informationen in einer interoperablen Art und Weise über APIs zur Verfügung. Schließlich sieht die Praxis so aus, dass in einer Produktionsstraße die Anlagen verschiedener Hersteller hintereinander im Verbund arbeiten. Aus übergreifenden Informationen, zusammengefasst in einem gemeinsamen Datenmodell, könnten Fertigungsbetriebe den Zustand gesamter Produktionsstraßen – und nicht nur singulärer Anlagen – überwachen.

Daten teilen für mehr Effizienz

Textilfertiger arbeiten beispielsweise mit Klebevorrichtungen von Hersteller A, Baumwollwaschanlagen von Hersteller B und die Nähmaschinen stellt wiederum ein dritter Spezialist her. Wenn im Betrieb die Maschine für die Fadenherstellung mit der Produktion nicht hinterherkommt und dies anhand digitaler Daten rechtzeitig mitteilt, ist dies für den Betriebsleiter zunächst eine wichtige Information. Besser wäre es, wenn diese Informationen sofort auch der nachfolgenden Maschine eines anderen Herstellers mitgeteilt wird, die auf den Faden angewiesen ist und daraufhin sofort ihren Arbeitsschritt anpassen könnte. Oder: Ein Unternehmen produziert Schweißroboter für die Anlagenstraße von Automobilherstellern. Um eine qualitätssichernde Aussage über die Schweißnähte zu treffen, braucht der Automobilhersteller aber nicht nur Daten des Schweißgeräts. Auch die Messwerte der darüber befindlichen Gasabsauganlage müssen bekannt sein, um den gesamten Schweißprozess überwachen und Vorhersagen über dessen Güte treffen zu können.

Bietet einer der Maschinenbauer also eine digitalisierte Umgebung, hilft dies zwar dem Textil/Automobil-Hersteller, doch besser wäre eine Unterstützung des gesamten Ökosystems. Diesen Lernprozess im Rahmen erweiterter neuer digitaler Geschäftsmodelle müssen die Maschinenbauer noch durchlaufen. Sie müssen ihre Systeme öffnen und dafür sorgen, dass die Daten ihrer Anlagen und die Daten der Anlagen des Wettbewerbers kombiniert werden und in eine gemeinsame IoT-Plattform eingehen.

Ökosysteme statt Abschottung

So entsteht ein Ökosystem der jeweiligen Branche, das gezielt auf die Anforderungen des jeweiligen Industriezweigs eingeht. Mit einer solchen Plattform könnten sich Maschinenbauer auch von den Angeboten der großen IoT-Plattformanbieter wie Siemens, SAP, IBM oder Microsoft absetzen. Schließlich verfolgen diese mit ihrer Technologie einen eher branchenunabhängigen IoT-Ansatz. Abschottung und Vorteile nur für sich selbst generieren, dies funktioniert in einer vernetzten Welt nicht mehr. Wenn jeder Maschinenbauer seine eigene IoT-Cloud betreibt, um Marktanteile zu sichern oder zu erzeugen, kann dies für den Kunden nicht zufriedenstellend sein.

Gemeinsame Datenmodelle

Konkurrierende Hersteller müssen sich in vertrauensvoller Art und Weise zusammentun, um ein Ökosystem zu bilden, in dem sie gemeinsam mehr erreichen als jeder für sich selbst. Dazu müssen sie sich konkret auf gemeinsame Datenmodelle einigen, und zwar pragmatisch aus folgender Überlegung heraus: Im (Textil)-Bereich sind üblicherweise Maschinen für die Bereiche x,y,z abhängig voneinander im Einsatz. Welche Daten produzieren diese, wie kann man die Daten vereinheitlichen und in ein übergeordnetes Ökosystem spielen, in das sich auch neu hinzukommende Maschinenbauer einfach integrieren können? Solche Initiativen sollten natürlich die bestehenden Standards zu Datenstrukturen und Semantiken nutzen, wobei die Umsetzung zwischen mittelständischen Unternehmen sehr pragmatisch erfolgen kann, völlig unabhängig von diversen Branchenverbänden und deren weitergehenden Standardisierungsbemühungen.

Noch tun sich Maschinenbauer kulturell schwer mit einer derartigen Öffnung. Vielleicht hilft ihnen der Blick über den Tellerrand hinaus in andere Wirtschaftsbereiche. So hat etwa der Cloud Ecosystem e.V., die Community der Cloudwirtschaft, mit seinem (BMWi-geförderten) Open-Integration-Hub-Projekt vorexerziert, wie eine solche Kooperation aussehen kann. Hier entsteht derzeit ein herstellerneutrales Open Source Framework zur einfachen Daten-Synchronisierung zwischen beliebigen Software-Anwendungen.