Interaktive EDV-Ablauforganisation im WEKA-Verlag, Kissing:

Mit ICL 2904/50 gegen Massenprobleme

05.09.1980

Massenprobleme stehen im Vordergrund der Datenverarbeitung im WEKA-Verlag In Kissing bei Augsburg. In diesem mittelständischen Unternehmen konnte nur begrenzt in die DV-Organisation investiert werden. Ein guter Kompromiß zwischen funktionellen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten wurde jedoch mit der Installation einer ICL 2904/50 mit acht Bildschirmarbeitsplätzen gefunden. Die Verlagsprogramme wurden individuell für eine dialogorientierte und interaktive Ablauforganisation geschrieben und sollen nun auch potentiellen Anwendern aus der Branche mit einer vergleichbaren organisatorischen Struktur als Standardsoftware offeriert werden.

Mit nur 33 Jahren wagte 1973 Werner Mützel den Sprung zum Verleger. Er gründete den WEKA Fachverlag für Verwaltung und Industrie. Aus einem kleinen Verlagsunternehmen mit familiärem Anstrich wurde rasch ein erfolgreicher Spezialverlag für Praktikerliteratur. Schwerpunkt sind die Bereiche Recht und Wirtschaft. Das Verlagsverzeichnis für das erste Halbjahr 1980 umfaßt insgesamt 111 Fachbücher beziehungsweise Loseblattwerke, darunter auch Ratgeber für Betriebswirtschaft, Führung, Erfolg und Gesundheit. Ergänzt wird das Angebot durch 200 Organisationsformulare. Der WEKA-Verlag ist mit dem Direktvertrieb großgeworden. In den letzten Jahren wird verstärkt auch der Sortimentsbuchhandel beliefert.

Erfolgreich ist der Verlag auch mit seinem "zweiten Bein", dem Verlegen von Informationsbroschüren für Städte und Landkreise. Es wurden schon über 2000 verschiedene Broschüren aufgelegt. Abgerundet wird das Angebot des Verlages durch Fachseminare zu den in der Praktikerliteratur abgehandelten Gebieten.

Über eine eigene Druckerei verfügt der WEKA-Verlag nicht. Vertrieb und Verwaltung sind in einem neuen Verlagsgebäude mit 2400 Quadratmetern Arbeitsfläche untergebracht.

Das Unternehmen beschäftigt rund 130 Mitarbeiter. Einer davon ist Wolfgang Materna, der EDV-Leiter. Stand im DV-Pflichtenheft noch der Satz: "Die Beschäftigung unternehmenseigener EDV-Fachleute ist nicht vorgesehen", so hat Verleger Mützel inzwischen eingesehen, daß auch ein mittelständischer Anwender zumindest einen DV-Profi braucht, der "die Dinge am Laufen hält" und an einem noch höheren Nutzungsgrad der DV-Organisation feilt.

Der WEKA-Verlag hat in jeder Hinsicht klein angefangen, im verlegereigenen Reihenhaus und mit manueller Datenverarbeitung. Später ließ man über den Steuerberater in einem Rechenzentrum buchen und die Lohn- sowie Gehaltsabrechnung machen. Die Rechnungen wurden jedoch weiterhin "konventionell" mit der Schreibmaschine von bis zu 25 Heimfakturistinnen erstellt. Mit steigendem Rechnungsanfall drohte hier ein organisatorisches Chaos. Noch ein DV-Problem machte Kummer. Für die Werbung wurden die Kundenadressen nach der Fakturierung nochmals

erfaßt und an ein externes Rechenzentrum gegeben. Dort dauerte es bis zu vier Monate, bis sie für Werbeaktionen etc. aufbereitet waren. So konnte das Adressenmaterial nicht optimal gepflegt und gesteuert werden, einmal abgesehen von den Kosten.

Verleger Werner Mützel wollte nicht den Zeitpunkt abwarten, zu dem eine manuelle Auftragsabwicklung einfach nicht mehr machbar gewesen wäre. Deshalb beschloß er 1976, die betriebliche Datenverarbeitung zu reorganisieren. Das RKW Bayern wurde damit beauftragt, eine Ist-Aufnahme durchzuführen und ein Pflichtenheft für die Angebotseinholung von passenden EDV-Systemen aufzustellen. Ingenieur Jähnigen von der Management- und EDV-Beratung Groß in München formulierte in seinem RKW-Bericht folgende Forderungen:

- Rechnerunterstützung bestimmter Arbeitsplätze, dabei gleichzeitig integrierte Nutzung der zentral gespeicherten Dateien durch alle kaufmännischen und technischen Bereiche.

- Interaktive und dialogorientierte DV-Organisation.

- Aufwärtskompatibilität von Hard- und Software, damit der Computer mit dem Unternehmen in seinem organisatorischen Spielraum mitwachsen kann.

- Leistungsfähiges Betriebssystem, unter anderem Multiprogramming und Time-Sharing.

- Systemausfall von längstens zwölf Stunden (Service-Garantie des Hardwarelieferanten).

Fehlanzeige Standard-Software

Unter dem Kapitel "Anwender-Software" stand im Pflichtenheft: "Vom Computer-Hersteller sollten für die grundsätzlichen Datenverarbeitungsvorgänge modular aufgebaute Benutzerprogramme angeboten werden, die unter Berücksichtigung der Multiprogrammingfähigkeit und der Echtzeit-Verarbeitungsmöglichkeit

der zu installierenden Hardware Individual-Programmierungen weitgehend vermeiden". Auf der Suche nach passender Standardsoftware schrieb der WEKA-Verlag auch verschiedene Verlage an. Doch keiner hatte, ebenso wenig wie die entsprechenden EDV-Unternehmen, eine geeignete DV-Lösung. Trotzdem war die Umfrage erfolgreich. "Im Netz hängen" blieb nämlich der EDV-Leiter eines großen Verlages, der gerade dabei war, ein eigenes Softwarehaus zu gründen. Als "Morgengabe" brachte er ein praxiserprobtes Verlags-Programmpaket mit, das vom grundsätzlichen organisatorischen Aufbau her Verleger Werner Mützel zusagte. Allerdings waren die Applikationen batchorientiert und mußten auf Dialogverarbeitung umgestrickt werden.

Die Reorganisation der betrieblichen Datenverarbeitung des WEKA-Verlages sollte in zwei Stufen erfolgen. Erste Priorität hatten die Auftragsverwaltung, die Fakturierung, die Lagerbestands- und Bewegungsrechnung, die Bestellrechnung beziehungsweise -überwachung, die Inventur, die Debitorenbuchhaltung, der Zahlungseingang, die Skontorechnung, die Offene-Posten-Buchhaltung, des Mahnwesen und der Umsatzsteuerbericht. In einer zweiten Ausbaustufe sollten die Kreditorenbuchhaltung, die Sachbuchhaltung die Kostenrechnung, die Lohn- und Gehaltsabrechnung, die Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung sowie der Betriebsabrechnungsbogen folgen. Während für die Aufgabenbereiche der zweiten Ausbaustufe - sie ist noch nicht realisiert - Standardsoftware eingesetzt wird, wurden die Applikationen der ersten Ausbaustufe individuell programmiert, wobei auf der bereits erwähnten Verlagslösung organisatorisch aufgebaut werden konnte.

Nachdem der WEKA-Verlag ein Softwarehaus gefunden hatte, das bereit und fähig war, auf die Belange des Kissinger Unternehmens zugeschnittene Programme zu schreiben, benötigte er noch ein Computersystem, das im organisatorischen Spielraum und im Preis-/ Leistungsverhältnis den Erfordernissen entsprach. Man entschied sich für ein Mehrfach-Dialogsystem ICL 2903. Mit ausschlaggebend hierfür waren die Kompatibilität und Ausbaufähigkeit sowie die DFÜ-Eigenschaften des Systems. Außerdem war ICL bereit, auch das Softwarerisiko zu übernehmen. Das schon zitierte Softwarehaus wurde so zum Subunternehmer von ICL. Nach den vertraglichen Bestimmungen konnte der Anwender erst zur Kasse gebeten werden, nachdem die Programme "standen" und praktisch einsetzbar waren.

Zunächst installierte man eine ICL 2903/40. Auf ihr wurden rund neun Monate lang die Programme interaktiv erstellt und getestet. Ort des Geschehens: Der WEKA-Verlag. Als die ersten Programme liefen, stellte sich heraus, daß die Kapazität des Systems nicht ausreichte. Der Anwender suchte die Schuld für die falsch dimensionierte Konfiguration nicht beim Hardwarelieferanten. Werner Mützel: "Wir selbst hatten das Datenvolumen und den Kapazitätsbedarf unterschätzt." Deshalb löste man im März 1980 die ICL 2903/40 durch eine 2904/50 ab. Das Nachfolgemodell ist bis zu 80 Prozent schneller als sein Vorgänger, hat einen größeren Hauptspeicher, erheblich mehr externen Speicher (Magnetplatten) und eine breitere Peripherie-Palette. Die Anwendersoftware konnte 1/1 übernommen werden. Jetzt ist folgende Konfiguration installiert:

- Zentraleinheit ICL 2904/50 mit 96 KW, das entspricht etwa 400 KB.

- 4 Magnetplattenlaufwerke ß 60 MB (Wechselplatten).

- Magnetbandlaufwerk (unter anderem für den Datenträgeraustausch).

- Zeilendrucker mit 600 Zeilen/Minute Leistung.

- 8 Bildschirmarbeitsplätze.

Ein Minimum an Variablen

Unabdingbare Vorgabe an die Programmorganisatoren war der Wunsch, ablauftechnisch sicherzustellen, daß der gesamte Auftragseingang am nächsten Tag ausgeliefert werden kann. Bei der Datenerfassung sollte der Zugriff zu allen Dateien möglich sein, um besonders umfangreiche logische und formale Plausibilitätsprüfungen durchführen und die Zahl der Variablen auf ein Minimum beschränken zu können. Die Datenerfassung organisierte man im Übrigen zentral. Die Bedienungskräfte machen jedoch auch kaufmännische Tätigkeiten (dialogunterstützt via Bildschirm) und sind so nicht den ganzen Tag dem Erfassungsstreß ausgesetzt.

Die Programme wurden in Cobol geschrieben. Im Dialog gefahren werden:

- Artikelstammverwaltung einschließlich der nicht fakturierten Lagerbewegungen;

- Kundenstammverwaltung, Auftragserfassung;

- Verbuchen von Zahlungseingängen;

- Erfassen der Loseblatt-Werke-Neukunden und Änderungsdienst;

- Verwalten von Rückstandsaufträgen;

- Verwalten von Werbeaktionen.

Batchprogramme sind:

- Fakturierung, Rückstandsverwaltung, Auftragsbestätigungen;

- BAG-Einzug (Buchhandels-Abrechnungsgemeinschaft);

- Monatsabrechnungen, Mahnwesen, Selektieren und Drucken von Werbeadressen;

- Kundengruppen-Statistik (umsatzbezogen), Umsatz-Artikel-Statistik.

Obwohl noch nicht alle Arbeitsgebiete auf der ICL 2904/50 verarbeitet werden können, läßt sich jetzt schon eine erste Nutzenbilanz ziehen. Verleger und geschäftsführender Gesellschafter Werner Mützel (das Unternehmen ist eine GmbH & Co KG) sieht folgende Hauptvorteile:

- Die Auftragsabwicklung für Fachbücher ist zwar nicht wesentlich billiger, dafür aber schneller und komfortabler geworden.

- Deutliche Kostenvorteile sind im Bereich der Loseblatt-Werke zu verzeichnen. Die Verwaltungskosten pro Abonnement-Rechnung haben sich reduziert.

- Zeitliche und finanzielle Vorteile ergeben sich bei der Steuerung und Pflege der Kundenadressen. Das Adressenmaterial ist schneller und sozusagen als Abfallprodukt verfügbar, da keine separate Adressenerfassung mehr erforderlich ist. Direktwerbeaktionen können jetzt im eigenen Hause und damit billiger durchgeführt werden.

- Die -Verlagsleitung verfügt über wesentlich besseres Zahlenmaterial. Verleger Mützel: "Exakte Zahlen sind heute lebensnotwendig."

- Die Programme sind praxisnah und die Problemlösungen entsprechen den Vorgaben.

- Die Hardware arbeitet zuverlässig. Der technische Kundendienst ist schnell verfügbar.

*Ulf Bauernfeind, Leinsweiler, ist freier EDV-Journalist