Eine Reise durch das Internet oder das Maerchen von der grossen Freiheit (Teil 2)

Mit Hypertext und WWW-Servern virtuell auf globale Reise gehen

26.08.1994

Ausser Spesen nichts gewesen. So lautete, milde ausgedrueckt, das Fazit einer ersten Reise durch das Internet mit Hilfe von Gopher(vgl. CW Nr. 34 vom 19. August 1994, Seite 19). Den einzigen, wenn man so will, Mehrwert von diesem Ausflug in die elektronische Informationswelt hatten die Inkassoabteilungen der Telekom und des Service-Providers. Im zweiten und letzten Teil der Reise gilt nun die Aufmerksamkeit den World-Wide-Web-(WWW-) Servern, die waehrend der Fussball-WM dank des Workstation-Spezialisten Sun fuer Furore sorgten: Via Internet stellte der Hersteller die aktuellen Spielstaende zum Abruf bereit, zusammen mit Mannschaftsfotos, Grafiken und Audiounterstuetzung.

Da die archaische Benutzeroberflaeche des Internet-Dienstes Gopher modernen Anspruechen nicht gerecht wird und umstaendliche Suchmethoden bald Frustration aufkommen lassen, verspueren selbst Internet-Erprobte schnell den Wunsch nach einer zeitgemaesseren, benutzerfreundlichen Oberflaeche. Ihn erfuellt eine Entwicklung des europaeischen Kernforschungszentrum Cern: Mit den World-Wide- Webster-Diensten starteten die Schweizer Initiatoren den Versuch, das weltweite Internet-Angebot mittels Hypertext zu verknuepfen. Vorteil fuer den Anwender: Er braucht sich keine ellenlangen Server-Namen mehr zu merken, sondern klickt mit der Maus in einem Dokument lediglich den entsprechenden Verweis auf weitere Informationen an. Die Verbindung zu den entsprechenden Servern wird dann automatisch hergestellt.

So geht die Fahrt quer ueber den Globus nach den USA, Zuerich, Japan etc., ohne dass der Reisende einen einzigen Server-Namen eintippen oder auch nur kennen muss. Zudem praesentieren sich die Seiten im Gegensatz zur Gopher-Oberflaeche mit Grafiken und Bildern, teilweise sogar mit Soundunterstuetzung. Zukunftsmusik? Kurzfristig fuer die meisten PC-User sicherlich, denn der groesste Teil der von den Service-Providern mitgelieferten TCP/IP-Programme beinhaltet keine entsprechende Oberflaeche zur Nutzung der WWW-Server. Neben "Cello" ist "Mosaic" in Internet-Kreisen eine der bekanntesten Oberflaechen zur Nutzung von WWW.

Also weitere Mehrkosten fuer die Internet-Nutzung, da neben den entsprechenden TCP/IP-Programmen nun auch noch ein zusaetzliches grafisches Benutzer-Interface gekauft werden muss? Keineswegs, denn Mosaic kann via Internet von den Entwicklern direkt bezogen werden. Mittels dem TCP/IP-Datenuebertragungsverfahren FTP laesst sich das Tool vom Server "ftp.ncsa.uiuc.edu" des National Center for Supercomputing Applications (NCSA) in den USA laden. Die aktuelle Version findet man im Verzeichnis "PC

Mosaic" unter dem Dateinamen "wmosa6r1.zip".

Da Mosaic eine 32-Bit-Applikation ist, benoetigen Windows-Anwender, die noch nicht Windows NT, Chicago oder Daytona einsetzen, zusaetzlich die Datei "win32s.zip". Mit Hilfe dieses Tools koennen auch unter dem bisherigen Windows 32-Bit-Anwendungen gefahren werden. Zusaetzlich ist zur TCP/IP-Unterstuetzung noch ein sogenanntes Winsocket erforderlich; NT-User sind hier ebenfalls aus dem Schneider, da es zu diesem Betriebssystem bereits gehoert.

Zwar ist das Socket auch auf dem NCSA-Server in der Datei "winsock.zip" enthalten. Doch Vorsicht: Diese Shareware-Version unterstuetzt nur SLIP als Zugangsprotokoll zum Internet, waehrend zahlreiche Verbindungen zum Internet-Knoten ueber PPP erfolgen. Im Falle einer PPP-Anbindung funktionieren deshalb die Shareware- Sockets nicht. Deshalb sollte darauf geachtet werden, dass die verwendete TCP/IP-Software eigene Winsockets mit PPP-Unterstuetzung besitzt. Mehr ueber die Bedeutung der Winsockets fuer den Netzbetrieb und ihre kuenftige Weiterentwicklung kann der Internet- Reisende direkt auf Microsofts Server "www.Microsoft.com" lesen. Probleme bereitete auch die derzeitige Software des Service- Providers Pipeline - mit ihr ist momentan kein Zugriff auf die WWW-Server moeglich. Das Problem soll, wie es heisst, in einem spaeteren Release beseitigt werden.

Sind die Installationshuerden genommen und die Verbindung zu einem Internet-Knoten realisiert, ist unter Mosaic der Ausgangspunkt fuer eine WWW-Reise zu waehlen. Im folgenden ein paar exemplarische Einstiegspunkte aus dem unueberschaubaren Angebot an WWW-Servern. Der einfachste Ausgangspunkt fuer die elektronische Rundreise ist in der Regel der eigene Server des Service-Providers, den die meisten Anbieter betreiben. Im Falle Eunet ist das der "www.germany.eu.net", der zudem ein Interface zu Wirtschaftsdatenbanken wie Genios bietet.

Gilt das Interesse der ersten WWW-Reise hauptsaechlich dem deutschen Angebot in Sachen Internet, so empfiehlt sich die Freie Universtitaet Berlin ("www.chemie.fu-berlin.de") als Ausgangspunkt, da hier eine alphabetische Liste der offiziell bekannten deutschen Server gespeichert ist. Komfortabler ist allerdings der Einstieg ueber die TU Muenchen ("www.informatik.tu-muenchen.de"), die im Unterverzeichnis

"/isar/WWWother/demap.html" eine grafische Karte der offziell registrierten WWW- Systeme in Deutschland bereitstellt. Ein Mausklick auf die Karte genuegt hier, um eine Verbindung zu dem gewuenschten Server zu schaffen.

Gut zur Erkundung der amerikanischen Rechnerwelt eignet sich der Server der University of Illinois, an der auch das NCSA beheimatet ist. Die NCSA-Programmierer der Mosaic-Oberflaeche bieten auf ihrem Rechner dem Besucher einen exemplarischen Rundgang durch die neue multimediale Internet-Welt. Mit Grafiken und Bildern gestylte Seiten, deren Texte teilweise nicht einmal mehr gelesen werden muessen, da beim Anklicken eines Lautsprechersymbols der Rechner die Informationen vorliest, begruessen den elektronischen Reisenden.

Hoehepunkt des multimedialen Sightseeing-Trips sind die gelegentlich zu findenden Videos. Wer hier allerdings via analogem Telefonnetz und Modem auf der Reise ist, muss sich in Geduld ueben, da der Transport der Datenmengen auf den heimischen Rechner schon einmal eine halbe Stunde und laenger dauern kann. Gluecklich, wer ueber einen ISDN-Anschluss verfuegt - nicht nur die Nerven beim Warten, sondern auch das Gebuehrenkonto bei der Telekom werden geschont.

Waehrend der Besucher via Mausklick durch das Netz reist, erfaehrt er nebenbei Ausfuehrliches ueber den amerikanischen Aktionsplan in Sachen Information-Highway oder kann sich ueber die neuesten IEEE- Spezifikationen in Sachen Netzstandards informieren. Auch die ersten zaghaften Gehversuche der EU in puncto Informationszeitalter sind dokumentiert. Auf dem Server "www- earn.net" im Verzeichnis"/EC/report.html" ist das "Weissbuch ueber Wachstum, Wettbewerbsfaehigkeit und Beschaeftigung" elektronisch archiviert. Ebenso ist hier der Bericht der Bangemann-Kommission mit den Empfehlungen zur Verwirklichung eines europaeischen Superhighways zu finden.

Zur Erholung ins virtuelle Museum oder in den Pub

Wem nach dem Ausflug in die hohe Politik nach Erholung zumute ist, der kann einen Gang durch eines der zahlreichen elektronischen Museen wie den Louvre machen oder in einem elektronischen Pub neue Kraft fuer die Weiterreise tanken. Die Pause im Pub duerfte wahrscheinlich sehr kurz ausfallen, da der Reisende dank Hypertext auf der Informationswelle nur dahingleitet, da jede Seite bunt unterlegt neue Reiseziele anbietet, die per Maus angeklickt werden.

Hinter diesen farblich gekennzeichneten Flaechen verbergen sich sogenannte Hyperlinks, die den Verbindungspfad zu dem WWW-Server mit den entsprechenden Texten, Bildern oder Audio- und Videoanimationen definieren und automatisch fuer den Verbindungsaufbau sorgen. Auch wenn diese Art des Infosurfens aeusserst bequem ist, um von Seite zu Seite an die gewuenschten Informationen zu kommen, waere der Reisende Tage, wenn nicht Wochen unterwegs. So geraet die Informationsfuelle des Netzes auch zu einem seiner groessten Nachteile, der der Verwirklichung der Anarchie sehr nahe kommt: Keine zentrale Instanz ueberwacht das Informationsangebot oder bietet einen umfassenden Katalog.

Dem Anwender bleibt nur die Verwendung eines der zahlreichen Suchwerkzeuge uebrig, die allerdings auch nicht die gesamte Informationsvielfalt bewaeltigen, da viele Server-Betreiber den Inhalt ihrer Rechner nicht weitermelden. So bietet beispielsweise der Eunet-Server ein Gateway zu WAIS, einem kommerziellen Such- Tool, dessen partizipierende Server rund um die Welt verteilt sind. Ebenfalls einen mehr oder weniger globalen Ueberblick ueber die Informationsfuelle des Internets offeriert das Kernforschungszentrum Cern. Auf dem Server "info.cern.ch" ist eine "Virtual Library" zu finden, in der Themen anhand eines Schlagwortregisters gesucht werden koennen. Ergaenzend dazu ist bei Cern der "Whole Internet Catalogue" verfuegbar sowie eine Liste ueber die verschiedenen Internet-Dienste.

Einfacher hat es, wer nicht nach Informationen zu einem bestimmten Thema sucht, sondern nur seine Probleme und Fragen an die DV- Hersteller loswerden will, deren Adressen sich meist folgendermassen zusammensetzen: "www.firmennamen.com", wobei com fuer Commercial-Anbieter steht. Namhafte Hersteller wie Sun, Microsoft, Novell oder IBM sind bereits via Internet erreichbar, so dass die Warteschleifen bei den chronisch ueberlasteten Telefon- Hotlines der Hersteller eigentlich bereits der Vergangenheit angehoeren muessten. Der Anwender von heute kann jedenfalls die Companies mit seinen unbequemen Fragen via E-Mail belaestigen und laedt gleich vom Server die - in der Branche leider unvermeidlichen - Patches und Bugfixes.