IT-Strategien/CRM und E-Business: Eine unabdingbare Allianz?

Mit Hilfe der IT Millionen von Kunden individuell bedienen

28.01.2000
Das E-Business ist stärker auf ein leistungsfähiges Customer-Relationship-Management (CRM) angewiesen als traditionelle Vertriebswege. Nur damit lässt sich das Problem des "individualisierten Massengeschäfts" lösen. Was sich zunächst wie ein Widerspruch anhört, ist vermutlich eine der entscheidenden Herausforderungen für die IT-Strategie der kommenden Jahre. Wichtigste Faktoren sind dabei nach Ansicht von Rolf Heiler* die intelligente Aufbereitung der Datenbasis und die reibungslose Integration in die bestehenden ERP-Systeme.

Faktoren wie wachsender Konkurrenzdruck, sinkende Margen und stagnierende Nachfrage haben in jüngster Zeit das Verkaufen in vielen Branchen schwieriger werden lassen. Eine der Folgen dieser Entwicklung ist, dass wieder mehr um den einzelnen Kunden gekämpft wird. In der Öffentlichkeit wird in diesem Zusammenhang verstärkt über Themen wie Kunden- und Serviceorientierung diskutiert, die IT-Welt hat sich dazu - etwas überspitzt formuliert - CRM-Lösungen ausgedacht. CRM steht für die Pflege von Beziehungen von Unternehmen zu ihren Kunden, Partnern und Mitarbeitern mittels Software.

CRM ist aber, was in der momentanen Diskussion oft vergessen wird, keine Erfindung des Internet-Zeitalters. Schon seit Mitte der 80er Jahre gibt es diverse Lösungen zur Vertriebsunterstützung, meist unter der Bezeichnung Computer-aided Selling (CAS). Diese Systeme waren jedoch oft Stand-alone-Lösungen, die mit den herkömmlichen Warenwirtschaftssystemen nur unzureichend verbunden waren. Meist handelte es sich um ein erweitertes Kontakt-Management - um Tools also, die eine höhere Integration gar nicht benötigten. Zudem waren sie stark Neukunden-orientiert und subsummierten auch den Erhalt bestehender Kundenbeziehungen unter diesem Aspekt.

Heutige CRM-Lösungen gehen weit darüber hinaus. Nicht zuletzt, weil neuere Erkenntnisse die vorhandenen Kundenbeziehungen aufgewertet haben: Mehr als die Hälfte des Umsatzes stammt in der Regel aus dem Geschäft mit Altkunden. US-Unternehmen verlieren durchschnittlich alle fünf Jahre die Hälfte ihrer Kunden. Es ist bis zu siebenmal so teuer, einen neuen Kunden zu gewinnen, als einen schon vorhandenen zu halten. Firmen, die dem Konkurrenzdruck und dem Margenverfall begegnen wollen, sind daher gut beraten, dem Erhalt (und der Verbesserung) bestehender Geschäftsverbindungen höchste Priorität einzuräumen.

Aus Sicht der IT liegt der große Vorteil von bestehenden Geschäftsverbindungen gegenüber neu aufzubauenden darin, dass sich die erforderlichen Daten bereits im Hause befinden und nicht erst durch Marktstudien, Umfragen etc. beschafft werden müssen. Grundlage eines professionell betriebenen CRM sind insofern immer die vorhandenen Warenwirtschafts- oder ERP-Systeme. Hier werden die "harten" Daten des Vertriebs - angefangen von der einfachen Kundenadresse über Auftrags- und Lieferdaten bis hin zur kompletten Historie einer Geschäftsbeziehung - produziert und verwaltet. Erst auf Basis der in den ERP-Systemen erfolgten kompletten Digitalisierung der Informationen über Geschäftsbeziehungen, wird CRM möglich. Nur mit diesen Informationen lassen sich die angestrebten personalisierten Vertriebsformen wie "One-to-One-Marketing" realisieren.

Eine zweite Voraussetzung für CRM ist durch das Internet entstanden, das sich mehr und mehr zur zentralen Plattform des Vertriebs entwickelt. Dabei geht es keineswegs nur um die überall sprießenden Internet-Shops. Denn als universell verfügbares Informationsmedium wird das Web den Vertrieb generell unterstützen - ganz gleich, ob der Kaufabschluss dann tatsächlich via Web erfolgt. Immer mehr Kunden benutzen das Internet und seine Kataloge vor dem Kauf als Informationsmedium. Informations- und Transaktionsvorgänge werden deshalb zusehends enger zusammenwachsen.

E-Business ist also nur ein Aspekt von CRM. Umgekehrt ist aber E-Business stärker auf CRM angewiesen als traditionelle Vertriebsformen. Der Grund ist einfach: Das Web ist von Haus aus alles andere als kundenfreundlich. Der Kunde und häufig auch der Anbieter sind hier anonym; viele Vorgänge, die in einem normalen Geschäft der Verkäufer übernimmt, muss der Kunde hier selbst ausführen, so etwa das Ausfüllen von Bestellscheinen; beim Electronic Banking ist der Kunde beispielsweise selbst für die korrekte Datenerfassung verantwortlich. Gerade die so oft zitierten unbegrenzten Öffnungszeiten des Web beruhen ja auf der starken Entindividualisierung des Kaufakts im Internet: Es muss eben nicht Tag und Nacht ein Verkäufer bereitstehen und bezahlt werden; es muss kein Laden rund um die Uhr beheizt und beleuchtet werden. Der Reiz des E-Business besteht also für die Anbieter in der Verwandlung individueller Kaufakte in (zwangsläufig) anonyme Massentransaktionen und damit zunächst im puren Gegenteil dessen, was hinter der Idee von CRM steckt.

Nun mag der anonyme Kaufakt in Ausnahmefällen vom Kunden sogar erwünscht sein, beispielsweise wenn es sich um einen Einkauf bei einem der zahlreichen virtuellen Sexshops geht - die derzeit wichtigste und lukrativste Sparte des E-Commerce. Generell ist diese Anonymität aber ein echtes Hemmnis für die Entwicklung des Geschäfts im Cyberspace. Vor allem weil im Web für die überdurchschnittlich zahlungskräftige Gruppe der Internet-Benutzer künftig eher anspruchsvolle, hochpreisige Güter gehandelt werden sollen. Hinzu kommt, dass sich die Kaufgewohnheiten im Web von den traditionellen Formen oft deutlich unterscheiden, so dass die Übertragung bestehender Verhaltensmuster der Kunden nicht möglich ist.

In der Personalisierung liegt der Schlüssel zum ErfolgNatürlich kann es bei CRM nicht um eine Individualisierung und Personalisierung des Vertriebs im ursprünglichen Sinn gehen. Sicher ließe sich jede Web-Anfrage und -Bestellung individuell bearbeiten, effizient wäre das aber nicht. Es geht vielmehr darum, die Massentransaktionen mit den Mitteln der IT zu individualisieren. Dabei muss klar sein, dass die Personalisierung nur scheinbar ist, was dem Kunden aber egal sein wird, wenn auf diese Weise sein Bedürfnis nach Berücksichtigung individueller Besonderheiten erfüllt werden kann.

In der Personalisierung liegt somit der Schlüssel zum Erfolg von E-Business-Anwendungen, weil sich nur so ein wirtschaftlich effektiver Einsatz von Technologie mit der Berücksichtigung individueller Kundenanforderungen verbinden lässt. Die betreffenden IT-Systeme müssen - unabhängig davon, ob es sich um einen Web-Shop oder eine Lösung zur Vertriebssteuerung und -unterstützung handelt - aus vorhandenen Informationen Parameter für eine möglichst genaue Segmentierung der Kunden ableiten können. So reicht es etwa bei einer CRM-Anwendung keineswegs aus, dass nach einem Login des Kunden nur dessen Name und Anschrift bekannt sind. Gleiches gilt für die Information, welche Umsätze mit welchen Produktgruppen erzielt wurden. Dies alles leistet auch jedes Warenwirtschaftssystem. Neu ist vielmehr der antizipierende Aspekt: Die Informationen über getätigte Geschäfte müssen so aufbereitet werden, dass sich daraus Rückschlüsse auf künftige Verkäufe ziehen lassen.

Diese weichen Informationen sind jedoch nicht zwingend aus den harten Fakten der ERP-Systeme abzuleiten. Weder Art noch Umfang bisheriger Käufe lassen direkte Rückschlüsse auf das künftige Kundenverhalten zu. Typische Informationen, die sich aus ERP-Daten ergeben, etwa die Umsätze nach Warengruppen, sind bestenfalls ein vager Anhaltspunkt. Was kann man zum Beispiel einem Kunden aktiv anbieten, der in einem Internet-Buchladen im vergangenen Halbjahr eine bestimmte Anzahl von Titeln gekauft hat? Das ERP-System mag sich diese Titel gemerkt haben, man wird sie dem Kunden trotzdem nicht noch einmal verkaufen wollen. E-Commerce-Vorreiter Amazon.com hat dazu eine mögliche Lösung im Einsatz: "Kunden, die dieses Buch gekauft haben, haben auch folgende Bücher gekauft." Hier wurde ein Algorithmus gebildet, der seine Schlüsse aus dem Einkaufsverhalten anderer Kunden zieht.

CRM-Software muss also das aktive Verkaufen unterstützen, und das muss weit über die Möglichkeiten der ERP-Systeme hinausreichen, das heißt, es geht um mehr als um die Verfügbarkeit von ERP-Daten. Auch das Data Warehouse eines Unternehmens kann die Basis für ein antizipierendes Kundenprofil bilden, doch hier kommt es ebenfalls auf die intelligente Umsetzung der Informationen an.

CRM muss das aktive Verkaufen unterstützenDie Algorithmen müssen auf die Anwender und ihr Business zugeschnitten sein; die Software wird zu einem echten Wettbewerbsfaktor, weil nur die Firmen im Vorteil sind, die es verstehen, die nächsten Interessen und Bedürfnisse ihrer Kunden darzustellen. Damit wird aber zugleich deutlich, dass eine leistungsfähige CRM-Software weder aus der Box noch von der Stange kommen kann.

CRM-Lösungen müssen ein Stück weit immer eine individuelle Komponente umfassen. Damit wird auch ein ganz wesentlicher Mangel des derzeit virulenten Web-Shop-Konzepts deutlich: E-Commerce, E-Business sind auf CRM-Lösungen angewiesen; wenn aber CRM nicht aus der Box funktionieren kann, wird auch der Shop aus der Box immer nur eine Zwischenlösung bleiben können.

Die notwendige Überleitung von Daten aus dem einen in das andere System und deren Umwandlung in das jeweils geeignete Datenformat sind eine komplexe Angelegenheit. Mit der Entwicklung des einheitlichen Formats für den Austausch von CRM-Profilen Standard Customer Profile Exchange (CPEX) wird es hier sicherlich eine Erleichterung geben. Da in den meisten Unternehmen, abgesehen von den reinen Web-Firmen, das ERP-System das zentrale System darstellt, ist es für eine E-Business-Lösung von größter Bedeutung, auf die dort implizit vorhandenen CRM-relevanten Informationen zuzugreifen.

Aus diesen Gründen muss eine E-Business-Lösung, die den CRM-Gedanken ernst nimmt, über eine verteilte Datenhaltung verfügen, bei der die "harten" Fakten - Rabatte, Kundendaten etc. - im ERP-System gehalten werden und die Profildaten in einer dafür optimierten CRM-Datenbasis. Damit stehen alle Informationen über einen Kunden für die Kundenbetreuung und das aktive Anbieten von Leistungen bereit. Wissen, das im Web gewonnen wird, "Kunde interessiert sich", "Kunde handelt entsprechend interpretierbarem Muster" ebenso wie die Kundendaten.

Wird R/3 eingesetzt, sind die entsprechenden BAPI-Schnittstellen unverzichtbar. Auch hier ist der Datenzugriff sehr kunden- und lösungsabhängig und damit stark dem Customizing unterworfen; erfahrungsgemäß sind hier nur wenige Dinge standardisierbar. Die CRM-gerechte Individualisierung der Massendaten - das Dilemma der "Massenpersonalisierung" - lässt sich eben nicht über einen Kamm scheren.

Dies gilt auch für den relativ neuen Anwendungsbereich, wo der Client dem (potenziellen) Kunden gleich direkt in die Hand gegeben wird, wo also der Kunde über den Browser gleich selbst am Frontend des ERP-Systems sitzt. Auch hier findet im Idealfall CRM statt, allerdings implizit. Ohnehin müssen für die Anwendung durch Kunden bestimmte Funktionen ausgeblendet werden. Es bietet sich an, dabei zugleich eine Segmentierung und Personalisierung vorzunehmen: Der Kunde/Anwender sieht ein Funktionsset, das auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist. Das Beispiel zeigt, wie weit eine Integration von CRM in ERP-Systemen letztlich gehen kann.

CRM wird einer der wichtigsten Faktoren des E-Business sein, und letzteres wird nach übereinstimmender Meinung der Fachleute zu einen Kernstück des gesamten Vertriebswesens heranwachsen. Auf der anderen Seite sollte aber nicht verschwiegen werden, dass es uns vermutlich in Zukunft noch so manche Diskussion bescheren wird: CRM beruht nicht zuletzt auf dem Sammeln von Daten über die Kunden. Auch wenn dabei die meisten bereits bekannt sind, die aus der Verknüpfung entstehenden Kundenprofile beinhalten Informationen von einer neuen Qualität. Nicht jeder Kunde schätzt es aber, wenn sein Geschäftspartner zu viel über ihn weiß, und wessen Anbieter den Eindruck eines allzu fleißigen Datensammlers macht, der wird künftig einen Mausklick weiter mit einem "jungfräulichen" Profil einkaufen.

ANGEKLICKT

Geht es um zeitgemäße Trends in der IT, ist immer wieder von Customer-Relationship-Management (CRM) die Rede. Geradezu akademisch ist dabei die Frage, ob es sich bei CRM um eine nur vorübergehende Erscheinung des Internet-Booms oder um ein die klassischen ERP-Systeme ergänzendes, für die Zukunft wichtiges Tool handelt. Entscheidender ist ein anderer Aspekt. Nimmt man den eigentlichen CRM-Gedanken - also die deutlich verstärkte Kundenorientierung beziehungsweise Pflege von Altkunden - ernst, muss man handeln. Das setzt jedoch voraus, dass man sich Gedanken über die Art von Daten macht, die man mit einem solchen System generieren möchte - und wie man sie in die eigene ERP-Umgebung integriert.

CRM-PARAMETER IM E-BUSINESS

Kundensegmentierung und Personalisierung nach sozioökonomischen Merkmalen,

-nach bisherigem Verhalten(Historie),

-nach Präferenzen,

-Profilanalyse,

-Individualprofile,

-Rollenprofile,

-Angebotsdifferenzierung,

-aktive Vertriebsunterstützung,

-Event- und Push-Mails,

-individualisierte Banner,

-automatisierte Geschäftsabläufe,

-individualisierte Navigation sowie

-Feedback-Funktionen.

*Rolf Heiler ist Vorstandsvorsitzender der Heiler Software AG in Stuttgart.