"Der Erfahrungszuwachs beim Anwender nimmt im Laufe der Jahre ab"

Mit Gerhard Kenk, Leiter der Beratung der CMG GmbH (Frankfurt), sprach Dieter Eckbauer

03.08.1979

- Herr Kenk, lediglich zehn Prozent des Geschäftes in der Software-Branche werden mit Produkten gemacht - sprich. Standardpaketen -, 90 Prozent nach wie vor mit Projektausführung im Auftrage von Anwendern oder Hardware-Lieferanten. Wie ist dieses Mißverhältnis zu erklären?

Ich glaube, dieses Mißverhältnis muß man differenziert betrachten. In bestimmten Branchen eignen sich gewisse Anwendungsbereiche für Standardlösungen, in anderen Branchen ist die Geschäftsabwicklung von Firma zu Firma dermaßen unterschiedlich, daß dort überwiegend Individuallösungen eingesetzt werden. Ein zweiter Punkt ist die Tatsache, daß viele Anwender in einen gedanklichen Teufelskreis hineingeraten, daß sie zwar einesteils Standardlösungen bevorzugen, andererseits aber auf betriebsindividuelle Eigenschaften Wert legen. Aus diesem Zwiespalt erklärt sich die relativ geringe Verwendung von Standardanwendungspaketen.

- Nun ist unbestritten, daß sich durch den Einsatz von Standardsoftware die offensichtliche Lücke zwischen der Realisierungszeit bei Eigenstellung und dem beabsichtigten Abschlußtermin eines Projektes schließen läßt.

Der Einführungszeitraum für Standardsoftware kann gegenüber der Individuallösung nur dann verkürzt werden, wenn keine zusätzlichen organisatorischen Anpassungen notwendig sind. Falls Anpassungen notwendig sind, dann konzentriert sich die Gedankenarbeit dafür auf wenige Leute, in der Regel auf eine Person. Sie beeinflußt die Gesamtdauer des Projektes, nicht nur der softwaretechnischen Anpassungen, sondern der ganzen Planung: Welche Schnittstellen müssen beachtet werden, welche Modifikationen sind überhaupt nötig. Insgesamt kann ich deshalb nicht unbedingt sagen, daß die individuelle Anpassung wesentlich länger dauert als die von Standardsoftware. Wenn allerdings gewisse Standardpakete problemlos übernommen werden, dann ändert sich das Verhältnis natürlich zugunsten der Standardsoftware.

- Als Hinderungsgrund für den Einsatz von Standardlösungen wird auch angeführt, daß von den EDV-Chefs die Qualifikation der eigenen Mitarbeiter besser beurteilt wird als die von externen Leuten, so daß sie eher zur Eigenentwicklung tendieren. Man glaubt, sie brächte auch die besseren Ergebnisse.

Die sogenannte "bessere" Qualifikation der eigenen Mitarbeiter liegt in erster Linie in der detaillierten Betriebskenntnis. Eine externe Software-Firma oder Beratungsfirma verfügt zwar nicht über diese Detailkenntnisse, jedoch ist es die tagtägliche Aufgabe ihrer Mitarbeiter, fortlaufend neue Probleme zu analysieren und zu lösen - darauf sind sie trainiert -, was von den betriebsinternen Mitarbeitern nicht immer gesagt werden kann und auch nicht gefordert wird. Selbstverständlich gibt es bei den internen Mitarbeitern sehr sehr viele fähige und qualifizierte Spezialisten, die ohne weiteres auf demselben Niveau wie externe Mitarbeiter stehen.

- Woran liegt es Ihrer Meinung nach, daß die Laufbahn beim Anwender offensichtlich attraktiver erscheint als die Laufbahn eines Beraters?

Ich glaube nicht, daß die Laufbahn beim Anwender in allen Fällen wesentlich attraktiver ist. Von mir selbst weiß ich, daß die Anforderungen und die Qualifikationen für eine Beratungstätigkeit wesentlich vielseitiger sein müssen. Der Erfahrungszuwachs bei einer langjährigen Tätigkeit in einer Anwendungsfirma nimmt im Laufe der Jahre eher ab. Be einer Unternehmensberatung oder Software-Firma nimmt sie progressiv zu, weil man in kürzerer Zeit mit mehr Problemen konfrontiert wird,

- Was sollte denn der potentielle Klient eines Beratungsunternehmens vor Vertragsabschluß prüfen, um sicherzugehen, daß die angestrebte Lösung später auch so erarbeitet wird, wie er sich das vorstellt.

Der Anwender sollte in erster Linie prüfen, inwieweit die Unternehmensberatung oder die Software-Firma ähnliche Problemlösungen in seiner Branche schon erarbeitet hat. Ferner sollte er versuchen, ganz generell die Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu beurteilen. Handelt es sich hier um ein Großunternehmen oder um eine relativ kleine Unternehmensberatung, wo ein oder zwei Schlüsselpersonen die ganzen Beratungsdienstleistungen erbringen? Hier können Probleme auftauchen, bei Krankheit, Urlaub etc.

Es liegt natürlich eine gewisse Gemeinschaftsverantwortung für die Beratungsleistung zugrunde. Der Berater kann nur die Leistungen erbringen, die der Kunde will, das heißt, sein Einverständnis mit der zu erbringenden Leistung muß gewährleistet werden. Der Kunde sollte also wenigstens in etwa den Problemumfang kennen.

- Sollte das Pflichtenheft Bestandteil des Vertrages sein?

Ja, es sei denn, der Kunde möchte gewisse Leistungen in bezug auf langfristige Strategien; dafür kann man kein spezifisches Pflichtheft erstellen, nur die Rahmenbedingungen sind abdeckbar. Auf alle Fälle empfiehlt es sich für den Klienten, regelmäßig mit dem Berater orientierende "Projekt-Fortschrittsgespräche" zu führen.

- Würden Sie darauf eingehen, daß ein Klient Sie auf das Mitarbeiterprofil Ihrer eigenen Leute festlegt, daß er sagt, ich erwarte diese oder jene Qualifikation, und die müssen Sie mir garantieren?

Ja, bei uns konmmt es relativ oft vor, daß die Qualifikation eines Mitarbeiters oder die Kombination von Erfahrung und Qualifikation sehr wesentlich ist für bestimmte Beratungsdienstleistungen. Wir verwenden häufig Mitarbeiterprofile als Bestandteil unserer Dienstleistungsangebote, jedoch gehen wir davon aus, daß nicht ein individueller Mitarbeiter diese Dienstleistung erbringt.

- Welche Unternehmensebene benutzen Sie denn als Türöffner. Das Topmanagemen, das DV-Management oder das Fachbereichsmanagement?

Wir sprechen das Fachbereichsmanagement und das DV-Management an.

- Ist die Kommunikation zwischen Fachbereich und DV-Abteilung gut, oder stellen Sie fest, daß es dort Probleme gibt?

Intern hat sich diese Kommunikation zwischen den DV-Fachbereichen und den Anwendungsabteilungen in den letzten Jahren wesentlich gebessert. Man hat nicht mehr den Heiligenschein und redet offen über gewisse Probleme, über die Anforderungen der Benützer. Wenn man jedoch als externer Unternehmensberater mit EDV-Fachleuten spricht, bestellt natürlich immer noch eine gewisse Hemmung, interne Probleme ohne weiteres zuzugeben. Anders sieht es aus bei den Fachabteilungen, die wissen ganz genau, welche Dienstleistungen von ihren EDV-Leuten erbracht werden und wo der Schuh drückt.

- Die Hardware ist, auch wenn das heute gerne heruntergespielt wird, nach wie vor wesentlicher Bestandteil des Gesamtsystems. Nun bieten Beratungsunternehmen in der Regel diese Hardware nicht selbst an, sondern sie sind gezwungen, mit Herstellern zusammenzuarbeiten. Was sagt denn der Manager eines Beratungsunternehmens über die Zusammenarbeit mit den Mainframern, die für ihn ebenso wichtig ist wie der Kontakt mit dem Auftraggeber?

In unserer Beratungspraxis kommen da natürlich auch gewisse Probleme vor. Wir arbeiten mit verschiedenen Herstellern zusammen, und das versetzt uns in die Lage, uns in spezifischen Bereichen sehr sehr detaillierte Hardware- und Software-Kenntnisse anzueignen. Das heißt, wenn wir Software-Entwicklungsprojekte angehen, entwickeln wir unser Angebot aus der Kenntnis zum Detail heraus. Wir haben in verschiedenen Fällen dem Hersteller schon ganz genaue Vorgaben gegeben über Maschinen, Durchsatzfragen etc. Wir haben dann als verantwortungsbewußtes Softwarehaus den Hersteller gewissermaßen an die Kandare genommen: Diese und jene Bedingungen müssen erfüllt werden!

- Jetzt wird zunehmend der Software-Bereich beim Hersteller ergebnisverantwortlich gemacht: Die Leute müssen einen Dienstleistungsumsatz bringen. Sehen Sie von daher eine neue Marktstruktur kommen, entsteht neue Konkurrenz für die Softwarebranche?

Es ergibt sich keine neue Marktstruktur, das Software-Problem war schon immer existent. Die neue Marktchance, die sich allerdings ergibt, ist die, bei Diskussionen über die Kosten der Beratungsleistungen viel leichter dem Anwender darstellen zu können, wie hoch die effektiven Software-Kosten heutzutage sind. Die Hardware spielt nur eine untergeordnete Rolle. Der Hersteller kann aufgrund der begrenzten Anwendungskenntnisse einfach nicht alle Fachbereiche abdecken. Wenn qualifizierte Anwendungsprobleme zu lösen sind, ist es für ihn oft sinnvoller, sich eines erfahrenen Unternehmensberaters zu bedienen, der diese Fachkenntnisse eben hat, obwohl das natürlich Geld kostet.

In den nächsten Jahren sehen wir persönlich den Trend, daß Software-Dienstleistungen vermehrt dem Anwender direkt gestellt werden und - vor allen Dingen - daß die Leistungen transparenter werden.

- Ich möchte noch mal auf den Widerspruch zurückkommen, den Sie ganz am Anfang erwähnten, daß der Anwender wohl zum Standardprogramm tendiert, gleichzeitig aber den Anpassungsaufwand scheut. Ist es nicht so, daß die jetzige Personalsituation einfach zum Einsatz externer Berater zwingt, so daß es keine Frage mehr ist, ob überhaupt, sondern nur wie. Und da stellt sich die Frage, wer berät mich denn eigentlich bei der Beraterauswahl?

Okay, das Unternehmen muß natürlich mehr oder weniger langsam Fuß fassen, das heißt, der Anwender soll mehrere Angebote einholen, mit mehreren Fachleuten sprechen, damit er sich eine objektive Meinung bilden kann. Ein Gespräch mit zwei oder drei Unternehmensberatern erleichtert dann sehr schnell die Wahl. Der Anwender kann dann entscheiden, welches ein seriöser Anbieter ist und wo die besten Problemlösungen zu erwarten sind. Er kann sich natürlich auch auf gewisse Publikationen stützen, wie den ISIS-Katalog oder andere Veröffentlichungen. Auf alle Fälle sollte der Anwender nicht eine automatische Wahl treffen, nach dem Motto, "Lieber Computer-Hersteller, du hast ja auch Software-Leute, bitte lösen Sie mein Problem". Er sollte unbedingt gewisse Alternativ-Angebote einholen.

- Voraussetzung für eine solche Vorgehensweise wäre doch, daß der Anwender seine internen Programmierkosten im voraus budgetiert. Mit anderen Worten: Die Softwarekosten müssen bloßgelegt werden. Kann das Ergebnis nicht sein, daß der EDV-Leiter im Einzelfall mit einer so gigantischen Zahl konfrontiert wird, daß er sich gewisse Projekte ganz verkneift?

Die Kosten erscheinen nur optisch beträchtlich. Wenn sich ein Anwender eine Vollkostenkalkulation zusammenstellt, wird er sehr schnell feststellen, daß sie sich nicht wesentlich von den Kosten für einen externen Berater unterscheiden. Abweichungen von 15 oder 25 Prozent sollte man in Kauf nehmen, weil der Anwender letzten Endes nicht nach dem Gewinnmaximierungsprinzip arbeitet oder gewisse Leerzeiten zwischen den Projekten nicht kalkulieren muß. Aber wenn alle Kosten voll in die Kalkulation eingehen, dann stellt der Anwender fest, daß seine internen Kosten sehr rasch in die Nähe der externen Kosten kommen. Auf alle Fälle sind diese Kosten dann optisch nicht mehr so unterschiedlich. Voraussetzung ist natürlich die Bereitschaft, eine ehrliche Kostenrechnung zu machen.

- Ist diese Bereitschaft da?

Die Bereitschaft beginnt nach und nach dazusein. Ich kenne verschiedene Fälle, da haben uns Kunden gefragt, wie wir selbst unsere internen Kosten kalkulieren, und rein aus Vergleichszwecken haben sie dann ihre Kosten mal entsprechend kalkuliert und sind zu ähnlichen Beträgen gekommen, die wir ihnen als Tageshonorar in Rechnung stellen. Wir kennen andere Zahlen von einer Datenverarbeitungs-Tochtergesellschaft einer größeren Bank, die also auch die ganzen Dienstleistungen ihrer Muttergesellschaft in Rechnung stellt, und diese Tagessätze weichen nur unwesentlich von den Kosten einer Unternehmensberatung ab.