Die DB-Anbieter machen sich ihre Probleme selbst

Mit Frank Sempert, Ex-Geschäftsführer der Informix Deutschland GmbH, sprachen Karin Quack und Hermann Gfaller.

22.02.1991

CW:Herr Sempert, sie werden in Kürze die Geschäftsleitung der Informix Deutschland GmbH niederlegen. Vor zwei Jahren, als Sie diese Aufgabe übernahmen, ging es dem Unternehmen nicht eben rosig. Was war damals eigentlich mit Informix los?

Sempert: Ende 1988 war die Firma in große Turbulenzen geraten, ausgelöst durch die Mitte des Jahres erfolgte Übernahme beziehungsweise aktienrechtliche Fusion mit Innovative Software. Die Auswirkungen in Deutschland waren ein wenig kurios, so muß man sagen. Innovative wurde zu diesem Zeitpunkt in Deutschland, Österreich und der Schweiz durch das Schweizer Unternehmen Organa vertreten, dem sämtliche Exklusivrechte an den Produkten gehörten. Informix Deutschland wollte diese Rechte übernehmen und mußte zu diesem Zweck die Organ kaufen. Und daraus entstand eine recht merkwürdige Firma, denn den sechs oder sieben ersten Informix-Mitarbeiter in Deutschland standen knapp vierzig Leute gegenüber, die aus der Organ da. zukamen. Geschäftsführer der Gesamtgesellschaft wurde logischerweise nicht der Organa-Chef, sondern Walter Beisheim, der bereits die Informix-Geschäfte führte und nun versuchte, das Schweizer Übergewicht durch Neueinstellungen auszugleichen. Die Firma hatte in Spitzenzeiten 52 Mitarbeiter, was betriebswirtschaftlich keinen Sinn mehr machte.

CW:Was haben Sie dagegen unternommen?

Sempert: Als ich die Sache übernahm, haben wir uns von der Mehrzahl der Mitarbeiter getrennt und die Firma auf 19 Leute heruntergefahren. Eigentlich fingen wir 1989 noch einmal von vorn an. Im folgenden ging es uns darum, die vorhandene Mitarbeiterzahl zu stabilisieren, zu motivieren etc. Wir haben das Jahr mit einer Mitarbeiterzahl von 23 beendet, die wir dann 1990 auf 39 aufstockten.

CW:Wann werden Sie die Leitung der Informix Deutschland GmbH offiziell abgeben?

Sempert: Sobald wie möglich. Wenn man solch eine Position kündigt, gilt Zweierlei; zum einen existiert ein Verhältnis mit meinem Arbeitnehmer, das ich kündigen kann wie jeder andere Arbeitnehmer auch. Zum zweiten habe ich auch eine rechtliche Stellung als Geschäftsführer, die separat geregelt wird und eine Sache des Registergerichtes ist. Letztere wird ein paar Tage länger bestehen als mein eigentliches Arbeitsverhältnis.

CW:Vor ein paar Wochen haben wir gemeldet, daß Informix laufende Geschäftsjahr mit Verlust abschließen wird. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dieser Nachricht und der Tatsache, daß sie das Unternehmen verlassen werden?

Sempert: Dem Unternehmen geht es im Moment sicherlich nicht sehr gut, das ist keine Frage. Ein Unternehmen, das Verluste macht, dem kann es nicht gut gehen. Informix sagt, daß auch die nähere Zukunft schwierig sei, man diese Zeit aber überwinden werde. Ich denke ebenfalls, daß Informix diese Phase - mit Blessuren natürlich - überstehen wird. Meine Entscheidung steht also nicht in direktem Zusammenhang mit der Unternehmensbilanz. Das hieße ja, der Käpt'n geht von Bord, nur weil es ein bißchen windig geworden ist. Schließlich habe ich bei dem Unternehmen angefangen, als es wesentlich stürmischer war.

CW: Warum also verlassen Sie das Unternehmen?

Sempert: Ich kann nur sagen, daß es Differenzen über die weitere Vorgehensweise gibt. Ins Detail möchte ich hier nicht gehen, das müssen Sie verstehen. Ich habe vor, eine Position auf europäischer Ebene anzunehmen; wo kann ich zum jetzigen Zeitpunkt allerdings auch noch nicht sagen.

CW: Bleiben Sie in der Datenbankbranche?

Sempert: Nein, definitiv nicht.

CW: Das ist verständlich, denn in diesem Marktsegment geht es heute keinem Unternehmen mehr allzu gut, nicht einmal denen, die auf offene Systeme setzen. Woran liegt das?

Sempert: Bei diesen Unternehmen - wie möglicherweise auch bei anderen - ist derzeit alles eine Frage des Cash. Lange Zeit hat man hier viel mit Bankkrediten gearbeitet, aber das Verhalten der amerikanischen Banken hat sich geändert: Nicht nur, daß die Geldinstitute derzeit selbst arge Probleme haben, auch ihr Verhalten gegenüber Kreditnehmern hat sich hier und dort gewandelt.

CW: Weshalb wurden die Bankkredite benötigt?

Sempert: Der Grund ist vor allem die stark in die Zukunft gerichteten Umsatzbewertung, die viele Software-Unternehmen in den USA praktizieren. Wenn ich Einnahmen verbuche, die ich de facto noch gar nicht bekommen habe, fehlt mir zwischendrin das Geld. Und genau das ist das Problem, das momentan nahezu die gesamte Branche hat.

CW: Wie kam es dazu, daß ausgerechnet die Bilanzen der Softwarebranche so viele Außenstände aufweisen?

Sempert: Das ist eine hausgemachte Geschichte. In dieser Branche wurde stets mit großen Zukunftserwartungen operiert, und auf diesen optimistischen Prognosen hat man dann die Kostengerüste aufgebaut. Um die Erwartungen zu erfüllen, müssen die Unternehmen ständig mehr verkaufen; das bedeutet auch mehr Vertriebskosten, mehr Verkäufer, höhere Provisionen etc. Irgendwann läuft dieses System heiß. Dann wird der Markt beschuldigt, er würde zuwenig abnehmen, aber daran liegt es wirklich nicht. Der Unix-Markt beispielsweise boomt. Die Ursache für die Probleme der Branche liegen vielmehr in der Art und Weise, wie die Geschäfte geführt werden.

CW: Wie kann ein Unternehmen diesen Teufelskreis durchbrechen?

Sempert: Beispielsweise so, wie Informix es gemacht hat. Dort bekennt man sich jetzt dazu, daß der eigentliche Umsatz 1990 beträchtlich kleiner war als der verbuchte. Folglich sind jetzt auch die veranschlagten Kosten zu groß. Um sie zu reduzieren, muß man sich von einer beträchtlichen Anzahl von Mitarbeitern trennen.

CW: Was zwingt ein Unternehmen, mit Umsatzprognosen zu arbeiten, die es nicht erfüllen kann?

Sempert: Das ist ein Imageproblem. Speziell im Marktsegment der Unix-Datenbanksysteme spielte auch das Wettrennen zwischen Oracle, Informix, Ingres und Sybase eine Rolle. Da schwingen Gründe mit, die mit nüchternem kaufmännischen Kalkül nicht zu erfassen sind insbesondere bei Unternehmen, die alle nur einen Steinwurf voneinander entfernt sind. Dabei geht es natürlich nicht nur um einen sportlichen Wettstreit, sondern darum, wer am Ende den Markt beherrscht. Das Problem dabei ist, daß der Sieger das Ziel möglicherweise nicht mehr lebend erreicht. Bei dem System, das ich eben skizziert habe, ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß allen Konkurrenten im Laufe des Rennens die Puste ausgeht.

CW: Und wenn Oracle, Informix, Ingres und Sybase sich vollkommen verausgabt haben, tritt möglicherweise ein Wettstreiter auf, der das Rennen bislang von der Tribüne aus betrachtet hat. Wie groß schätzen Sie die Gefahr, daß es den Anbietern von Unix-Datenbanken ähnlich ergeht wie vor wenigen Jahren den DB2-Konkurrenten?

Sempert: Ich denke, Sie spielen auf Cullinet, ADR und die anderen Anbieter von Mainframe-Datenbanksystemen an, Unternehmen, deren Blütezeit die 80er Jahre waren, als IBM noch nichts Vergleichbares zu bieten hatte. Das Erscheinen von DB2 auf dem Markt hat tatsächlich zu negativen Folgen in dieser Branche geführt; ein Teil der Firmen existiert nicht mehr beziehungsweise ist übernommen worden, und man muß kein Prophet sein, um vorauszusagen, daß die verbliebenen Unternehmen wie beispielsweise die Software AG weiteren Schwierigkeiten ins Auge sehen müssen, weil ihr Markt immer kleiner wird. Darüber, ob im Markt für PC- und Client-Server-Datenbanken Ähnliches geschehen könnte, kann man natürlich spekulieren ...

CW: ... Immerhin hat IBM eine DB2-ähnliche Datenbank auf AIX-Basis angekündigt!

Sempert: Die Ankündigung ist eine Sache, eine andere die Verfügbarkeit. Bis eine wirklich brauchbare DB2-Version auf dem Markt war, mußten Jahre vergehen.

CW:Die Hersteller von Mainframe-Datenbanken haben sich auch lange Zeit in Sicherheit gewiegt. Und plötzlich war DB2 eine echte Konkurrenz.

Sempert: Ja, ich erinnere mich: Viele Anwenderunternehmen haben sich damals gesagt, wir installieren DB2 einfach - zumal das zu recht kulanten Bedingungen möglich war. Die Produktion lief natürlich nach wie vor unter IMS DB/DC; aber DB2 ist ganz langsam in das gesamte Informationsmanagement der Unternehmen hineindiffundiert und läßt sich heute bei einer großen IBM-Installation nicht mehr wegdenken.

CW:Deshalb noch einmal die Frage, ob IBM auf der PC- und Workstation-Ebene nicht ein änlicher Coup gelingen könnte!

Sempert: Die Situation ist nicht unbedingt vergleichbar. Man darf nicht vergessen, daß bei einer Unternehmens-Datenbank andere Kriterien eine Rolle spielen. Hier ist die Reputation des Anbieters ungleich wichtiger, von entscheidender Bedeutung sind auch Gesamtkonzepte wie beispielsweise SAA. Somit sind die Unternehmen eher geneigt, der sicheren Seite den Vorzug zu geben. Natürlich stellt sich auch bei einer PC- oder Workstation-Datenbank die Frage, ob man nicht lieber ein IBM-Produkt nehmen soll. Aber sehen Sie sich einmal das Beispiel OS/2 an! OS/2 hat nicht den erwarteten Erfolg und wird ihn wahrscheinlich auch in absehbarer Zeit nicht haben; es konnte sich einfach nicht im Markt etablieren. Vielleicht sieht die Weit bei den kleineren Systemen doch anders aus als auf der Mainframe-Ebene. Es ist durchaus möglich, daß IBM diesen Markt nicht dominiert. Auch wenn es für die Unternehmen, die auf diesem Markt bereits präsent sind, enger wird: Sie haben gute Aussichten, der IBM ein Stück des Kuchens streitig zu machen.

CW: Allerdings wird viel davon abhängen, ob die IBM ihr Unix-Derivat in das SAA-Konzept einbindet.

Sempert: Sie haben recht, hier liegt eine Menge Brisanz verborgen. So sehr sich die IBM anfangs aus dem Unix-Markt herausgehalten hat, so massiv ist sie jetzt hineingegangen. Und die Frage, wie sie es mit dem nach dem Betriebssystem wichtigsten Stück Software halten wird, ist für den Datenbank- Markt keineswegs unbedeutend.

CW:Wie bereiten sich die Unix-Datenbank-Anbieter auf die drohende Konkurrenz vor?

Sempert: Tatsache ist, daß weder Informix noch seine Konkurrenten in dem reinen Datenbanksystem den großen Umsatzbringer sehen. Denn theoretisch sind diese Systeme heute schon kompatibel, das heißt austauschbar, und sie werden es aufgrund fortschreitender Standardisierung - Stichwort SQL - in zunehmendem Maße sein. Früher oder später können Sie beispielsweise Oracle herausnehmen und Ingres hineintun, und alles läuft weiter wie gehabt. Das Geschäft der Zukunft liegt im Front-end-Bereich, bei den Tools; hier werden sich die Hersteller mit ihrer Technologie profilieren können.

CW: So wird die festverdrahtete Datenbank, lange Zeit ein Schreckgespenst der Software-Branche, über kurz oder lang Realität sein.

Sempert: Das ist richtig. Irgendwann in naher Zukunft ist die Standard-Datenbank ein Bestandteil der Hardware: Sie kaufen sich für 8000 Mark eine Unix-Workstation mit 40 oder meinetwegen 100 MIPS mit einem Betriebssystem drin und einem Datenbanksystem drauf, ob die dann soft oder hard implementiert ist, spielt keine entscheidende Rolle. Aber Sie müssen auch sehen, daß die relationale Technik für die Entwickler ohnehin abgehakt ist; praktisch gearbeitet wird derzeit vor allem an objektorientierten Systemen. Insofern wird sich der Markt weiterentwickeln.

CW: Sie sprachen von der Austauschbarkeit der relationalen DBMS-Produkte. Welchen Einfluß hat diese Tatsache heute schon auf die Konkurrenzsituation?

Sempert: Der Anwender kann diese eigentlich äußerst komplexe Technologie quasi nach Check-Liste beurteilen und sich relativ problemlos ein ziemlich klares Bild über die Leistungsfähigkeit einer Datenbank machen: Das eine Produkt hat ein Two-Phase-Commit, das andere nicht, dies hier bietet referentielle Integrität, das da nicht etc. Auf diese Weise lassen sich die Angebote auf dem Markt besser vergleichen.

CW: Was bedeutet das für den Verkäufer?

Sempert: Er steht vor einer ähnlichen Situation wie der Verkäufer eines PC oder einer Workstation: Wenn ihn der Kunde fragt, worin sich sein Angebot von dem der Konkurrenz unter. scheidet, wird er sicherlich wenig auf die Technik abheben. Er wird entweder sagen, daß seine Company den besseren Service hat oder, daß sein Produkt schlichtweg billiger ist. Bei der Datenbanksoftware spielt der Preis häufig schon eine ausschlaggebende Rolle. So kommt es, daß kaum noch jemand in dieser Branche Geld verdient, auf der Hardwareseite schon lange nicht, und zunehmend auch auf der Softwareseite.

CW: Möglicherweise machen sich die Anbieter selbst den Markt kaputt, indem sie drastische Preisnachlässe für Großabnehmer einräumen.

Sempert: Das Problem sind vor allem die sogenannten Site-Licences. Da ordert ein Anwenderunternehmen eine große Stückzahl, und niemand redet mehr über den Preis einer einzelnen Installation. Da es sich oft um Aufträge handelt, die wieder andere nach sich ziehen, ist die Konkurrenz hier besonders hart. Und so kommen bei solchen Geschäften bisweilen, gelinde gesagt, merkwürdige Preise heraus.

CW: Um so mehr, als die Softwarehersteller eigentlich kaum Grenzkosten haben, also den Preis nahezu auf Null drücken können, ohne zu. zusetzen! Gibt es in dieser Branche eigentlich so etwas wie einen Dumping-Preis?

Sempert: Mir sind keine Fälle aus der Praxis bekannt, wo ein Anbieter deswegen Schwierigkeiten bekommen hätte. Aber es wäre sicherlich interessant, einmal zu untersuchen, ob sich da wettbewerbsrechtlich etwas machen ließe, denn die Preiskämpfe sind tatsächlich beinhart. Wer ein Fahrrad verkauft oder ein Stück Computer, hat fixe Herstellungskosten, die er beim Verkaufspreis nicht unterschreiten sollte. In der Softwarebranche ist das anders: Wenn das Produkt erst einmal entwickelt ist, dann kostet die einzelne Kopie nur ein paar Mark, nämlich den Preis des Datenträgers. Allerdings umfaßt der Begriff der Produktion hier mehr als nur das Anfertigen einer Kopie. Schließlich muß der Anbieter sein Produkt weiterentwickeln, und dafür braucht er Geld.

CW: Aber er könnte so argumentieren, daß es immer noch besser ist, einen Bruchteil des ursprünglichen Kaufpreises zu bekommen als überhaupt nichts!

Sempert: Das ist sicher möglich, und es wird in Einzelfällen auch gemacht - um zu verhindern, daß die Konkurrenz den Auftrag bekommt, oder einfach deshalb, weil eine Million nun einmal eine Million ist, auch wenn der Anbieter eigentlich zwei oder fünf Millionen hatte haben wollen. Aber auf Dauer kann natürlich kein Hersteller von solchen Geschäften leben. Und die Branche würde es ebenfalls nicht lange verkraften, wenn für dasselbe Gut einmal 500.000 Mark bezahlt würden und ein anderesmal - zumindest rein rechnerisch - nur Pfennigbeträge. Die Gefahr, daß sich solche Preisnachlässe herumsprechen, ist nicht zu unterschätzen. Und so große Stückzahlen setzen wir nun auch wieder nicht um, daß wir mit Niedrigpreisen operieren, könnten. Außerdem dürfen Sie nicht vergessen, daß einer der größte Auftraggeber im Datenbank-Geschäft die öffentliche Hand ist, und die hat - in Deutschland jedenfalls Standardverträge, die eine Meistbegünstigungsklausel enthalten. Im Klartext heißt das: Wenn der Hersteller das Produkt unter vergleichbaren Umständen irgendwo anders wesentlich günstiger verkauft, kann der Kunde verlangen, daß ihm im nachhinein derselbe Preis berechnet wird. Hier ist also ein Tretmine vergraben.