Mit Ergonomie am Bildschirm ist es nicht getan

19.10.1979

-Alle Mitarbeiter sollen fernsehen, sagen DV- und Textverarbeitungs-Organisatoren. Aber wollen die Sachbearbeiter überhaupt fernsehen, wollen sie den Bildschirm auf dem Schreibtisch?

Ob sie ihn wollen oder nicht, hängt weitgehend davon ab, was den Mitarbeitern über den Bildschirm gesagt wird. Wenn sie damit sehr viel können, dann werden sie ihn auch wollen. Wenn sie aber nicht recht wissen, was sie eigentlich damit können, dann wird das mit dem Wollen schon kritisch. Wenn man solche Systeme einführen will wenn man den Mitarbeiter mit den neuen Technologien anfreunden will, dann muß man ihm an erster Stelle sagen, welche Möglichkeiten dieses neue System bietet, welche Freiräume es schafft und welche Arbeitserleichterungen damit verbunden sind. Wenn man diese Aspekte bei Rationalisierungsüberlegungen im stillen Kämmerlein behält und nicht an die Mitarbeiter weitergibt, dann sehe ich hinsichtlich der Akzeptanz dieser neuen Technologie Probleme.

-Sie sagten, wenn die Mitarbeiter rechtzeitig über das aufgeklärt werden, was das System kann, dann werden sie es auch wollen. Heißt das, daß bisher zu wenig Aufklärung betrieben, daß der Bildschirm dem Mitarbeiter mehr oder weniger kommentarlos auf den Tisch geknallt wurde?

Das ist richtig. Man hat häufig gesagt, wir stellen ab dem Soundsovielten auf ein neues System um, und hat den Mitarbeiter meistens erst nachher darüber aufgeklärt, was man will. Sie haben aber gleichzeitig einen wichtigen Aspekt angesprochen, nämlich die Frage, ob denn der Bildschirm als solcher Probleme aufwirft und da muß ich sagen, das tut er dann wenn er nicht den optimalen arbeitsmedizinischen und ergonomischen Bedingungen entspricht. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß über die Hardware alleine, also über das System als solches, die Bedingungen nicht optimiert werden können.

-Wenn Sie Jetzt an lange Antwortzeiten am Bildschirm denken, als Folge einer schlechten Organisation, dann ist dies - ob nun in der Datenverarbeitung oder in der Textverarbeitung - primär kein Ergonomieproblem. Das Ergebnis ist gleichwohl, daß der Sachbearbeiter frustriert ist. Welche Dinge sind es denn, die den Sachbearbeiter am meisten ärgern ?

Ich glaube, das Problem liegt darin, daß man den Sachbearbeiter zuwenig lehrt, diese neue Technologie zu beherrschen. In den meisten Fällen beherrscht die Technologie den Sachbearbeiter. Wenn man aber zwei Dinge tut, ihn einmal die Beherrschung des Systems lehr t und ihm auf der anderen Seite ein ergonomisch optimiertes System in Form von guter Hardware anbietet, einschließlich aller Randbedingungen, dann ist die Bildschirmarbeit in keiner Weise gesundheitsschädlich. Sie ist es nur dann, wenn Angst und Aversion im Vordergrund stehen. Denn so wie heute der Bildschirm, so wurde früher die Klimaanlage geknüppelt. Frustrationen werden oft auf irgendwelche Objekte projiziert und es werden Dinge für Gesundheitsstörungen verantwortlich gemacht, die es letzten Endes nicht sind.

-Nun berufen sich Betriebsräte und Gewerkshaften auf arbeitsmedizinische Studien, nach denen die Bildschirmarbeit gesundheitsschädlich ist.

Dieses Problem ist sehr komplex zu sehen, Bildschirmarbeit ist, wenn man so will, nicht gesundheitsschädlicher als fernsehen. Sie hat ihre speziellen Probleme, die müssen gesehen und ausgeräumt werden. Aber wenn man optimal mit dem Bildschirm arbeitet, dann kann gesundheitlich nichts passieren. Es kommt eben darauf an, daß man die Arbeitsplätze so schafft, daß negative Einflüsse auf das zentrale Nervensystem, auch für das Sehorgan, so weit wie möglich eliminiert werden. Aber man muß wissen, welche Probleme für das zentrale Nervensystem, für die Augen auftreten, wenn man die Arbeitsplatzsituation nicht optimiert.

-Wir greifen Ihre Analogie zum Heimkino gern auf: Fernsehen entspannt, weil es von den beruflichen Problemen ablenkt. Bei der Bildschirmarbeit ist es jedoch gerade umgekehrt: Hier steht die Konzentration auf den Dialog im Vordergrund, hier entsteht Angst, dem Ablauf nicht gewachsen zu sein, Fehler zu machen.

Dieser Gesichtspunkt ist für die Beanspruchung am Bildschirm natürlich relevant. Das ist nämlich eine Frage der Einfühlung, der Motivation. Zum abendlichen Fernsehen ist man ganz anders motiviert, als zum Dialog mit einem Datenterminal. Aber wenn ich das jetzt rein physiologisch sehe, wenn ich diese ganzen psychologischen und motivatorischen Aspekte eliminiere, dann ist ein spannender Krimi genauso anstrengend, wie einen ganzen Tag am Bildschirm zu arbeiten.

-Damit waren wir bei der Frage: Wie lange kann und sollte ohne Unterbrechung am Bildschirm gearbeitet werden?

Das wird in der Praxis immer wieder überzeichnet. Viele, die mich fragen, was hat das für Konsequenzen, wenn wir jetzt mit dieser neuen Technologie arbeiten, sagen, wir arbeiten den ganzen Tag am Bildschirm. Aber wenn man mal eine Arbeitszeitstudie macht, wie lange die effektive Zeit vor dem Bildschirm ist stellt man oft fest, daß die Arbeitszeiten an Bildschirmen unterm Strich kürzer sind als vielleicht das abendliche Fernsehen

-Wie wäre denn der Sachbearbeiter für den Bildschirm zu motivieren?

Ich würde diese Motivation da sehen, daß man denjenigen, die damit arbeiten

sollen klarmacht, daß dieses System bessere Zugriffsmöglichkeiten zu den Daten bietet als das konventionelle System Und daß man darauf aufmerksam macht, daß diese Technologie Freiräume schaffen kann, weil Vor- und Nacharbeiten reduziert werden können. Diese Freiräume sollte man aber dem Mitarbeiter erhalten, das heißt, man sollte sie ihm zugute kommen lassen, im wahrsten Sinne des Wortes, und nicht durch noch mehr Arbeitsbelastung in anderen Bereichen wieder kompensieren. Wenn man sich daran hält, dann gibt es kaum Argumente, sich gegen diese Technologie zu wehren.

-Man hat fast den Eindruck, daß das Ergonomie-Argument, dieser arbeitsmedizinische Gesichtspunkt, von den Bildschirm-Herstellern als willkommene Verkaufshilfe aufgegriffen wird Lenkt dies nicht von der Grundfrage ab, ob nämlich der Bildschirm im Einzelfall aus betriebswirtschaftlicher und organisatorischer Sicht überhaupt die richtige Lösung darstellt?

Ja, das ist in der Tat so. Es ist eben leichter, ein neues System ergonomisch und arbeitsmedizinisch zu optimieren. Es gehört ganz entscheidend der Bereich der Arbeitsorganisation dazu. Man muß sehen, daß die neue Technologie zu einer sehr starken Spezialisierung reizt, weil über die große Leistungsfähigkeit der EDV-Systeme diese Teilleistungen, die jeder via Spezialisierung schafft, wieder zu einer großen Leistung zusammengefaßt werden können. Auf diese kommt es letzten Endes an. Ich meine, daß es Sache der Arbeitsorganisation ist, die betroffenen Menschen nicht zu sehr in eine Spezialisierung hineinschlittern zu lassen, weil eine Überspezialisierung zu einer Monotonie der Arbeit führt.

-Muß man nicht unterscheiden zwischen dem Ad-hoc-Dialog mit dem Computer, mit, gelegentlichen Anfragen, und andererseits der reinen Massendatenerfassung am Bildschirm?

Das muß man in jedem Falle. Man muß also die jeweilige Arbeitssituation sehen und daran auch die Optimierung orientieren. Bildschirmarbeitsplatz ist nicht gleich Bildschirmarbeitsplatz. Dateneingabe ist eben in Richtung auf Monotonie ein sehr viel gefährlicherer Faktor als der Dialogverkehr, wobei bei der Dateneingabe überdies noch die Qualität der konventionellen Vorlage eine Rolle spielt. Es hat überhaupt keinen Zweck, beste Hardware anzubieten, wenn an der Qualität der Vorlage nichts geändert wird Man sollte bei der Optimierung des Bildschirmarbeitsplatzes auch das Arbeitsumfeld, die Beleuchtungssituation die Klimasituation, die akustische Situation und das psychologische Betriebsklima sehen.

-Nun scheint uns, daß die meisten Bildschirme nicht einmal den primitivsten Anforderungen in puncto Ergonomie entsprechen, daß zunächst einmal Wert gelegt wird auf ein - günstiges Preis-/Leistungsverhältnis und dann schlichtweg auf Zuverlässigkeit, ob das Ding überhaupt funktioniert.

Da befinden wir uns tatsächlich in einem Dilemma, und ich bin hierüber eigentlich sehr überrascht, weil wir ja alle diese Dinge schon seit Jahrzehnten in einem anderen Bürobereich durchgemacht haben, nämlich im Bereich der Optimierung des konventionellen Arbeitsplatzes, sprich Büroarbeitstisch, Bürostuhl, Schreibmaschinentisch, Schreibmaschinentastatur, Schreibmaschine und so weiter. Das alles haben wir durchexerziert und sind inzwischen zu recht guten Lösungen gekommen, die Gesundheitsrisiken minimieren. Aber leider ist diese ganze Erfahrung bisher nicht in den Bereich der Hersteller von Datenterminals, aber auch von EDV-Systemen eingeflossen. Das betrübt mich etwas, denn wir haben eine ganze Menge Arbeit geleistet und auch bezüglich der Bildschirmarbeitsplätze schon recht gute Vorstellungen. Die sind aber leider bisher noch viel zu wenig gefragt.

-Können Sie diesen Vorwuf konkretisieren?

Vor allen Dingen die Bildschirm-Hersteller sind bisher noch weit weg von dem, was ich als Arbeitsmediziner und Ergonom für diese spezielle Arbeitsplatzsituation für optimal halte.

-Heißt das, die Hersteller von Displays und die Hersteller von Büroarbeitsplätzen sollten enger zusammenarbeiten?

Die gehören im wahrsten Sinne des Wortes an einen Tisch, denn ein guter Bildschirmarbeitsplatz ist mehr als die Summe seiner Teile.

-Werden denn die Sachbearbeiter, die letztlich mit dem Bildschirm arbeiten müssen, die die arbeitstechnischen Möglichkeiten und Grenzen auszuloten haben, an dem Planungs- und Designprozeß ausreichend beteiligt?

Ich würde sagen, ja, aber immer nur unter dem speziellen Aspekt, was leistet das System technisch und mit welcher Software kann ich dieses System optimal nutzen. Die anderen Bereiche kommen leider etwas zu kurz. Da müssen nun die Arbeitnehmer, aber auch die Arbeitgeber und die Organisatoren alles daransetzen, an einen Tisch zu kommen, um gemeinsam zu überlegen, wie können wir mit dieser neuen Technologie den Mitarbeitern echte Vorteile verschaffen und wie können wir Frustrationen vermeiden.

-Ist es nicht eigentlich schon fast zu spät, die Diskussion auf eine sachliche, emotionslose Basis zu bringen?

Es ist fünf Minuten vor zwölf, und wir müssen und darüber im klaren sein, daß man Datenverarbeitung und Textverarbeitung nicht nur verkaufen darf, sondern auch schmackhaft machen muß. Wenn man an die politischen Diskussionen denkt, dann hat man bei den Arbeitnehmern schon die Angst vorprogrammiert. Diese Angst abzubauen, das ist das Entscheidende.

Mit Dr. Theodor Peters, Direktor des Instituts für Arbeitsmedizin in Bochum, sprach Dieter Eckbauer