Entscheidungsfindung vereinfarht, Entwurfsphase verkürzt

Mit einem neuen Designsystem strebt Ford mehr Marktnähe an

10.08.1990

KÖLN (qua) - Die Modellzyklen in der Automobilbranche sind mittlerweile so kurz, daß ein Produkt, kaum hat es das Fließband verlassen, schon nicht mehr dem Zeitgeschmack entspricht. Um den Entwurfs- und Entscheidungsprozeß zu beschleunigen, hat Ford sein Modelldesign auf elektronische Beine gestellt.

Im Ford-Entwicklungszentrum in Köln-Merkenich schieben die Karosseriedesigner neuerdings Nachtschichten -freiwillig, wie der Design-Manager Claude Lobo versichert. Die Ursache für diesen Arbeitseifer sei das neue "Design-Computer-System" (DCS), mit dessen Hilfe der Automobilkonzern seine Entwicklungszeiten von durchschnittlich fünf Jahren auf 42 oder sogar 36 Monate verkürzen will.

Die langen Entwicklungszyklen resultieren vor allem aus einem aufwendigen Entwurfsund Entscheidungsprozeß: Bis dato mußte jeder Modellvorschlag in ein maßstabgerechtes Ton-Modell umgesetzt werden, bevor er der Geschäftsleitung präsentiert werden konnte. Allein für das Ford-Modell Fiesta wurden 20 bis 25 solcher Modelle angefertigt. Mit Hilfe des DCS, so hofft der Automobilhersteller, schrumpft die Zeitspanne zwischen Idee und fertigem Modell von 22 Monaten um ein halbes Jahr auf 16 Monate.

Das System besteht aus drei Komponenten: dem sogenannten Paint-System, das von dem japanischen Hersteller Shima Seiki bezogen wird, dem "Conceptual Design and Rendering System" (CDRS) vom Flugsimulator-Hersteller Evans & Sutherland (E & S) aus Salt Lake City/ Utah sowie einem High Definition Video System (HDVS) von Sony .

Das Paint-System leistet dem Designer Hilfestellung beim Zeichnen zweidimensionaler Entwürfe. Wie Lobo erläutert, braucht der Zeichner seine gewohnte Arbeitsweise kaum zu ändern; er "zeichnet" seine Entwürfe mit einem kabellosen Stift auf ein druckempfindliches Tablett.

Will der Designer einen Entwurf der Geschäftsleitung vorlegen, so erstellt er mit Hilfe des CDRS ein dreidimensionales Flächenmodell, aus dem automatisch das mathematisches Modell generiert wird Das Sony-HDVS ermöglicht eine fotorealistische Präsentation des Vorschlags in Originalgröße. An der Entwicklung des CDRS hat sich neben Ford auch dessen Konkurrent Chrysler beteiligt.

Für seine Modellbauer wird Ford demnächst wohl keine Verwendung mehr haben. Etwa drei Monate lassen sich nämlich allein dadurch einsparen, daß das Ton-Modell automatisch erstellt wird. Künftig will der Automobilhersteller ohnehin nur noch zwei bis drei ausgewählte Entwürfe in Ton umsetzen lassen; und diese Modelle werden mittels eines Applikationsprogramms realisiert, das eine NC-Maschine antreibt.

Nicht nur eine Zeitersparnis, sondern auch eine Qualitätsverbesserung erhofft sich der Autokonzern von seinem neuen Design-System Durch "simultanes Engineering" soll nämlich der Faktor Machbarkeit rechtzeitig in den Entscheidungsprozeß einfließen. Wurde das mathematische Modell des Entwurfs früher erst nach der Produktionsentscheidung angefertigt, so steht es heute bereits in der Designphase zur Verfügung Auf diese Weise ist es möglich, Konstrukteure und Ingenieure, unter Umständen auch die Zuliefer-Industrie, in diesen Prozeß einzubeziehen.

Da die zeitintensive Tonmodellierung unnötig wird und sich der Entwurf noch während der Präsentation ändern läßt, werden Modellentscheidungen künftig unter weniger großem Zeitdruck getroffen. Infolgedessen, so erwartet Lobo, steigt die Qualität der realisierten Entwürfe. "Zeitdruck führt zu Kompromissen", erläutert der Ford-Manager.

Um das neue Designsystem zu entwickeln, wandte der Automobilbauer etwa fünf Jahre und rund 30 Millionen Mark auf. Ein einziger CDRS-Arbeitsplatz verschlingt laut Lobo etwa viereinhalb Millionen Mark. Folglich hat Ford das Angebot an CDS-Arbeitsplätzen derzeit noch recht knapp bemessen: Den Kölner Designern und ihren Kollegen im Innenraum-Entwicklungszentrum in Dunton/England stehen insgesamt zwölf Installationen des Paint-Systems, sechs CDRS-Plätze und vier HDVS-Projektoren zur Verfügung. Erweist sich das System als erfolgreich, so soll innerhalb der kommenden zwölf Monate jeder der 120 europäischen Designer einen elektronischen Malkasten erhalten. Die CDRS-Plätze bleiben voraussichtlich jedoch einer Gruppe von Berufsvisionären vorbehalten, die aus nur zwölf bis 15 Mitgliedern weltweit besteht.

Über den Return-on-Investment hat Ford bislang offenbar noch wenig nachgedacht; zumindest wollte der Automobilhersteller in diesem Zusammenhang keine Zahlen nennen. Der Pressemitteilung ist lediglich zu entnehmen, daß die Entwicklungskosten aufgrund verkürzter Entwicklungszeiten "sehr viel geringer" ausfallen.