Anwenderbericht Karlsbader Oblaten- und Waffelfabrik, Dillingen:

Mit einem Branchen-Paket nichts zu machen

20.11.1981

DILLINGEN (ub) - Die Karlsbader Oblaten- und Waffelfabrik setzt für die Auftragsbearbeitung ein branchenunabhängiges Standardpaket ein. Mit relativ geringem Aufwand wurden die einschlägigen Programme zu einer quasi branchen- und anwenderspezifischen Lösung generiert. Sie laufen in Dillingen/Donau auf einer MAI 410.

Auf den ersten Blick sind aus organisatorischer Sicht maßgeschneiderte Programme das Optimum, branchenspezifische Standardsoftware ein guter Kompromiß und branchenneutrale Standardprogramme eher eine Behelfslösung. Auf den zweiten Blick kann sich die Situation schon etwas anders darstellen. Individualprogramme sind nur dann besonders effektiv, wenn das ihnen zugrundegelegte organisatorische Konzept etwas taugt. Außerdem ist ihre Herstellung besonders bei kleinen und mittleren Betrieben häufig zu teuer.

Branchenspezifische Standardsoftware wird in der Regel nur bei einer genügend großen Zahl potentieller Anwender produziert. Für branchenunabhängige Pakete spricht vordergründig ihre globalere Einsetzbarkeit und der aufgrund höherer möglicher Installationszahlen niedrigere Preis. Sie müssen aber nicht zwangsläufig den geringsten gemeinsamen Nenner darstellen wie das Praxisbeispiel der Karlsbader Oblaten- und Waffelfabrik zeigt.

Als die Wetzel Karlsbader Waffel- und Oblatenfabrik, Inh. M. Hackspacher - wie die Firma komplett heißt - vom manuellmechanischen Verfahren auf EDV umstellen wollte, hatte sie typische Einsteiger-Probleme. Das begann schon bei der erforderlichen "Hausnummer" des zu installierenden Systems. Vom Datenvolumen und der angestrebten Auswertungsintensität her brauchte das Unternehmen klar den organisatorischen Spielraum eines Magnetplattensystems. Trotzdem war man nahe daran gewesen, sich ein Diskettensystem "aufschwätzen" zu lassen. Allein die Stammdateien hätten auf über 100 Disketten verteilt werden müssen. Abgesehen vom umständlichen Handling wäre wegen ungenügender Verarbeitungskapazität auf Dauer eine zweite Anlage erforderlich gewesen.

Noch rechtzeitig erkannte man in Dillingen den Holzweg und sah sich daher erneut auf dem Markt um, diesmal nach geeigneten Magnetplattensystemen. Als dann aus dem potentiellen ein tatsächlicher DV-Anwender geworden war, wurden weitere schmerzliche Erfahrungen im Umgang mit Computern gesammelt. Die Karlsbader Oblaten- und Waffelfabrik verschätzte sich im Zeitaufwand für die Erfassung der Stammdaten und hatte auch gewisse Schwierigkeiten, die betrieblichen Arbeitsabläufe DV-gerecht umzuorganisieren:

Irres Informationsbedürfnis:

Weiter "sündigte" die Karlsbader Oblaten- und Waffelfabrik beim Aufbau verschiedener Stammsätze. Das Dillinger Unternehmen stellte bald fest, daß es Daten weggelassen hatte die für transparente Auswertungen erforderlich gewesen wären. Der Schaden konnte repariert werden war aber mit Mehrarbeit und damit höheren Kosten verbunden. Dabei hatte es keinesfalls an organisatorischer Beratung durch den Software-Lieferanten gemangelt. Dem Anwender fehlt aber einfach noch der Blick für manche computergestützten organisatorischen Möglichkeiten.

Die drei Firmen des Dillinger DV-Anwenders haben unterschiedliche organisatorische Strukturen, abweichende Vertriebswege mit divergierenden branchenspezifischen Anforderungen. So müssen bei der Bavaria Wachsveredelung GmbH umsatzbezogene Tantiemen auf die einzelnen Kerzenmodelle gerechnet werden. Im Oblatengeschäft stellen Handelsketten spezifische Anforderungen an die Rechnungslegung und haben ein "irres" Informationsbedürfnis. Alle drei Unternehmen sollten jedoch auf dem gleichen Computer mit den gleichen Programmen "erschlagen" werden. Mit einem Branchenpaket wäre da nichts zu machen gewesen. Die branchenunabhängige Standardsoftware ASS beeinflußte daher wesentlich die Entscheidung des Anwenders für ein MAI-System.

Vor rund zwei Jahren kündigte MAI an, verstärkt in eigener Regie Anwendersoftware zu produzieren. Bis dahin hatten dies ausschließlich freie Softwarehäuser getan. ASS (Anwender-Software-System) ist eines der ersten Ergebnisse der neuen Softwarestrategie der MAI Deutschland GmbH. Es wurde auf der Hannover-Messe 80 erstmals vorgestellt. Nach Angaben von Dieter H. Rummel, ASS-Product Manager, ist das Paket inzwischen rund 50mal implementiert worden und zwar in so unterschiedlichen, Branchen wie Holzhandel, Baustoffhandel, Druckereigewerbe, Baumaschinenhandel, Glasindustrie und Lebensmittelwirtschaft mit laut Herstellerangaben jeweils nur minimalen Anpassungen an die betriebliche Ablauforganisation. Der Anwender kann dabei den Aufbau der Stammsätze durch die Eingabe von Parametern weitgehend frei bestimmen .

Ass ein As für diverse Branchen

ASS kostet als Gesamtpaket mit den Modulen Auftragsbearbeitung, Fakturierung, Finanzbuchhaltung sowie Lohn- und Gehaltsabrechnung rund 18 000 Mark. Drei Einweisungstage gibt's gratis. Die Kostenrechnung ist für weitere 8000 Mark zu haben. Die Programme können unter Beachtung logischer Abhängigkeiten auch einzeln eingesetzt werden, wobei der Charakter einer integrierten Gesamtlösung erhalten bleibt.

Eine Meßgröße der Flexibilität von Software für die Auftragsbearbeitung ist die Preisfindung. Der Dillinger Anwender konnte dieses schwierige ablauftechnische Problem mit ASS für alle drei Firmen zufriedenstellend lösen. Es sind Einzel- und Großhandelspreislisten gespeichert. Nettopreise werden individuell eingegeben. Ihre dateimäßige Verwaltung wäre zu aufwendig gewesen.

Der Stammrabatt und der Mengenrabatt sind jeweils im Stammsatz abgespeichert. Sonstige Rabatte werden über eine Kennziffer in sogenannten Schlußpositionen erfaßt. Über dieses "Vehikel" werden mittels Kennziffer auch die passenden Lieferbedingungen abgerufen.

Die Dillinger Firma fakturiert ausschließlich nach. Vom Programmangebot her könnte sie auch jederzeit vorfakturieren. Dazu ist es lediglich erforderlich, die einschlägigen Programme zu aktivieren. MAI liefert grundsätzlich alle Applikationen eines Programmbereiches. Mit der Zeit und mit wachsender Vertrautheit einer DV-Ablauforganisation kann der Anwender so selbst zusätzliche Funktionen in seine Programme einbauen.

Nachdem die Anlaufschwierigkeiten beseitigt waren, ist die Karlsbader Oblaten- und Waffelfabrik mit ihrer neuen DV-Organisation zufrieden. Juniorchef Hans Hackspacher. "Zunächst bereitete uns die Umstellung einen Haufen Arbeit und sorgte für manchen Ärger. Doch hat sich der Aufwand letztendlich gelohnt."

Das Unternehmens-Rezept

In Dillingen an der Donau eröffnete 1948 Marlene Hackspacher unter ihrem damaligen Familiennamen Wetzel eine Oblaten und Waffelbäckerei. Die erforderlichen Rezepte hatte sie aus ihrer alten sudetendeutschen Heimat mitgebracht. 1960 entschloß sich Bayerns erster weiblicher Konditormeister, spezielle Maschinen für die fabrikmäßige Produktion der Spezialitäten konstruieren zu lassen. Damit begann der unaufhaltsame Aufstieg des Unternehmens zum Oblaten-Marktführer. Der Vertrieb erfolgt vorwiegend über den Lebensmittel-Großhandel und über C + C-Ketten von fünf regionalen Lägern aus.

Vor 16 Jahren wurde als zweites Bein die Bavaria Wachsveredelung GmbH gegründet. Sie produziert Kerzen aller Art und in den letzten Jahren verstärkt auch Wachsbilder. Mit dem neuen Unternehmen sollte eine sich überlappende saisonale Auslastung der Fertigungskapazitäten für beide Produktionszweige erreicht werden. Vor zwei Jahren wurde weiter diversifiziert und die Pralinenfabrik Oskar Pischinger übernommen, mit gleichzeitiger Verlagerung der Produktion feiner Schokoladenspezialitäten von München nach Dilligen.

Die drei Unternehmen beschäftigen zusammen rund 100 Mitarbeiter. Sie werden zentral verwaltet, aber getrennt abgerechnet. Deshalb brauchte man mandantenfähige Fibu-Programme. Das war bei ASS ohne Neugenerierung möglich