"Paperware" ist Bestandteil des Marketingkonzepts:

Mit Desktop-Publishing zur Dokumentationsfabrik

06.11.1987

Der Innovationszyklus von Automatisierungssystemen und -produkten wird spürbar kürzer. Das betrifft nicht nur Entwicklung, Fertigung und Marketing, sondern auch die technische Dokumentation. Als Arbeitsgrundlage für den Kunden, als Informationsquelle für Interessenten und als Arbeits- und Akquisitionsmittel für den Vertriebsbeauftragten ist die Dokumentation so wichtig geworden, daß sie heute zusammen mit der Hardware, der Software und dem Training zu den "Produkt-Essentials" gehört. Nur mit anwendungsgerechter Dokumentation kann der Kunde ein Automatisierungssystem oder -produkt effizient einsetzen, bedienen und warten.

Die Bedeutung von professioneller Dokumentation für technische Produkte läßt sich anhand folgender Kriterien messen:

- fachliche Richtigkeit,

- Verständlichkeit (nicht "learning by reading" , sondern "learning by doing"),

- Einheitlichkeit nach Aufbau und Form,

- zielgruppenadäquate Konzeption und

- Aktualität.

Die Erfahrung hat gezeigt, daß sich diese fünf Kriterien nur dann realisieren lassen, wenn die Dokumentation nicht isoliert geplant und erstellt wird. Sie muß vielmehr ein integraler Teil des Marketingkonzepts und mit dem Entstehen des Produkts eng verbunden sein.

Die Dokumentation wird im Geschäftsbereich Produktionsautomatisierung und Automatisierungssysteme der Siemens AG wie ein Teil des Produkts behandelt, deshalb werden die Methoden der Planung, Organisation und Qualitätssicherung auf die zum Produkt gehörende Dokumentation wie auf das Produkt selbst angewendet. Auf diese Weise erreicht die Dokumentation die geforderte Güte und Vollständigkeit.

Was ist Dokumentation?

Die Dokumentation umfaßt den "Presales"- sowie den "Postsales"-Bereich; sie reicht von internen Informationsmedien, wie Produktankündigung, Vertriebs- und Lieferfreigabe, über Streublätter bis zur detaillierten Beschreibung und Anleitung.

Die drei Dokumentationsphasen

Die Erstellung der Dokumentation für ein bestimmtes Produkt läßt sich in drei Phasen aufteilen:

- Planung,

- Umsetzung,

- Ausführung.

Am Anfang steht die Planungsphase

Jede Produktentwicklung beginnt mit der Erstellung eines Lastenhefts. Sobald dieses in seinen Grundzügen feststeht, nimmt auch die Dokumentationsplanung ihren Anfang. Ergebnis dieses ersten Schritts ist eine Dokumentationsstruktur, die sich individuell an die Produkt- und Marketingzielsetzungen anlehnt. Diese Struktur legt fest, welche Dokumentationsarten für die Presales- und Postsales-Phase benötigt und welche

Zielgruppen damit angesprochen werden.

Jede Zielgruppe hat einen spezifischen Informationsbedarf, das heißt, sie erwartet von der Dokumentation genau die Informationen, die zur Durchführung der vorgegebenen Arbeit mit dem zugehörigen technischen Produkt nötig sind. Auch muß der Anwender davon entlastet werden, sich die benötigten Informationen mühsam zusammensuchen zu müssen. Aus diesen Gründen wird ein didaktisches Konzept entwickelt.

In einem weiteren Schritt werden die nach Zielgruppen festgelegten Dokumentationsarten nach Titelbezeichnung, Seitenzahl, Anzahl der Beispiele und Zeichnungen, Qualitätsklassen und benötigten Fremdsprachen analysiert. Damit stehen auch der notwendige Aufwand und die Kosten fest.

Die Fertigstellungstermine der Dokumentation orientieren sich an den Produkteinführungsphasen

- Produktankündigung,

- Vertriebsfreigabe und

- Lieferfreigabe.

Mit der Produktankündigung werden die Produkte für die Akquisition freigegeben. Das ist der Zeitpunkt, zu dem die weiblichen Unterlagen sowie Kurzbeschreibungen, Übersichten und Akquisitionsfolien vorliegen müssen.

Mit der Vertriebsfreigabe - sie enthält alle Informationen, die Bestandteil eines Vertrags mit dem Kunden werden können - müssen die entsprechenden Unterlagen, wie Kataloge, Preislisten und Systembeschreibungen, zum Verhandeln und Anbieten bereitgestellt werden.

Mit der Lieferfreigabe werden die Produkte verfügbar. Die gesamte geplante produktbegleitende Dokumentation muß vorliegen. Es gilt: Keine Auslieferung der Produkte ohne vollständige Dokumentation.

Kein Produkt ohne vollständige Unterlagen

Zum Abschluß der Planungsphase werden die Daten der Dokumentationsplanung in das Lastenheft übernommen. Sie werden integraler Bestandteil des Lastenhefts.

Die Dokumentationsplanung wird von Geschäftsjahr zu Geschäftsjahr

fortgeschrieben.

Alle diese Schritte sind notwendige Voraussetzung, um die Dokumentation produktbegleitend - also parallel und synchron zur Produktplanung und -entwicklung - erstellen zu können.

Am Ende der Planungsphase sind die Struktur der Dokumentation sowie die Abschätzung des Aufwands nach Personalbedarf, Leistung, Zeit und Kosten definiert.

Die Umsetzungsphase beginnt mit der Fertigstellung der Spezifikation

Der technische Redakteur eignet sich die nötigen technischen Kenntnisse in Zusammenarbeit mit den Entwicklern auf der Basis der Spezifikation an. Dieser tiefe Einstieg in das Produkt ist nötig, da der technische Redakteur die Manuskripte für die Kundendokumentation nicht nur redigieren, sondern weitgehend selbst erstellen wird.

Ein Software-Handbuch für den Operator muß anders geschrieben werden als ein Handbuch für den Benutzer eines Personal Computers ohne EDV-Kenntnisse. Die im Lastenheft geplanten Dokumentationsarten werden deshalb zielgruppenspezifisch, unter Einbeziehung aller Partner aus Entwicklung, Vertrieb, Service und Training, geschrieben, so daß der Zweck der Dokumentation erfüllt wird.

Soll die Dokumentation im Training eingesetzt werden, so kann man einen Lernteil mühelos einfügen. Mit den für das Training zuständigen Dienststellen werden die Anforderungen an diesen Lernteil festgelegt. Diese Vorgehensweise spart Kosten und gibt dem Kunden die Sicherheit, alles aus einer Hand zu bekommen.

Zur fachgerechten Dokumentationserstellung werden Fachredaktionen gebildet, die von der Entwicklung oder der projektierenden Abteilung weitgehend unabhängig sind. Dadurch wird vermieden, daß der Entwickler die Manuskripte oft nebenher erstellt und damit in Zeitkonflikt zu seiner eigentlichen Tätigkeit gerät. Die Fachredaktionen haben die Aufgabe, die Manuskripte für die Kundendokumentation

- nach Einsatzfall und Zielgruppe abzustimmen,

- in das Marketingkonzept einzubinden sowie

- nach dem Stand der Technik zu schreiben und zu gestalten.

Ebenso gehört es zu den Aufgaben der Fachredaktionen, einen "Dokumentationsbaum" zu entwerfen. Der Anwender kann sich sofort daran orientieren, an welcher Stelle der, Dokumentationsfamilien er sich befindet und über welche Unterlagen er noch verfügen kann. Dieser Dokumentationsbaum ist wie Glossar, Abkürzungsverzeichnis, Literaturverzeichnis und Stichwortverzeichnis Bestandteil jeder Postsales-Dokumentation.

"Dokumentationsbaum" erleichtert Orientierung

Als Steuerinstrument für die gesamte Dauer der Manuskripterstellung werden Redaktionssitzungen einberufen, an denen neben Entwicklung und Dokumentation auch Fachleute aus Vertrieb, Training, Service und Fachabteilungen teilnehmen.

Trend in der Ausführungsphase - die Dokumentationsfabrik

Stärker noch als in der Planungs- und Umsetzungsphase tritt in der Ausführungsphase ein Trend in Erscheinung, der die Dokumentation prägt: die Dokumentationsfabrik (1). Dieser Begriff macht deutlich, daß sich das Dokumentationsgeschäft von der simplen Abfolge Schreiben - Drucken - Verteilen weit entfernt hat und im High-Tech-Bereich der "Computer Aided Technologie" einen der vordersten Plätze belegt: "Computer Aided Publishing", das heißt rechnerunterstützte Dokumentationsfabrik.

Der Terminus "Fabrik" sollte nicht mit "Fließbandarbeit" gleichgesetzt werden; vielmehr sind hier Parallelen zur Fabrik der Zukunft zu sehen mit freizügig benutzbaren Kommunikationsbussen, mit der Integration von Fertigungsabläufen und der flexiblen Kombination vorhandener Ressourcen. Bei der Erstellung der Dokumentation werden die gleichen Entstehungsphasen durchlaufen wie beim Produkt, das von der Dokumentation beschrieben wird. Prinzipielle Unterschiede in der Fertigung gibt es nicht.

Was liegt also näher, als die technische produktbegleitende Dokumentation wie ein Produkt im Rahmen des Marketingkonzepts zu behandeln, sie also zu planen, zu entwikkeln, ihre Qualität zu prüfen und das Ergebnis zu pflegen, Werbung dafür zu machen und es zu vermerkten.

Das Erscheinungsbild einer Dokumentationsart richtet sich nach definierten Qualitätsstufen, zum Beispiel Vierfarbdruck und Text in Fotosatz oder nur einfarbig mit Laserdruck. Qualitätssichernde Vorabversionen sind durch die Laserdrucktechnik leicht möglich; so können neu erstellte Dokumentationen ohne großen Aufwand beispielsweise einen internen oder externen Anwendertest durchlaufen.

Die Dokumentationserstellung wird sehr stark rechnerunterstützt. Mit seiner leicht erlernbaren Bedienoberfläche hat sich das Bürosystem 5800 sowohl bei der redaktionellen

Bearbeitung als auch bei der Texterfassung bestens bewährt. Darüber hinaus wird mit dem Bürosystem 5800 ein weiterer wesentlicher Aspekt des Computer Aided Publishing, das "Desktop-Publishing", hundertprozentig realisiert.

Ein Netzwerk hält die Papierflut in Grenzen

Jeder Redakteur hat seinen eigenen Computerarbeitsplatz, an dem er Text und Grafik erstellt und bearbeitet. Da alle Arbeitsplätze durch ein Netzwerk verbunden sind, läßt sich jedes Dokument elektronisch von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz verschicken. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Entfernung 30 Meter oder 300 Kilometer beträgt.

Die Aufgaben des technischen Redakteurs sind.

- Spezifikationen der zu beschreibenden technischen Produkte auswerten,

- Informationen beschaffen,

- Gliederung der Dokumentation erstellen,

- Gliederung in Redaktionssitzung abstimmen,

- Manuskripte erstellen und Grafiken entwerfen,

- Inhalt gemeinsam mit Entwickler auf technische Richtigkeit prüfen,

- Manuskripte und Grafiken in Redaktionssitzung abstimmen,

- druckfertige Manuskripte erstellen.

Der Einsatz eines solchen DTP-Systems macht es allen Beteiligten leicht, einheitliche Produktionsmittel für die Dokumentationserstellung einzusetzen und einheitliche Designstandards zu benutzen. Für die Gestaltung am Bildschirm sind Schriftart, Schriftgröße und Layout festgelegt.

Keine aufwendige Nachbearbeitung mehr

Ein Merkmal der rechnerunterstützten Dokumentationsfabrik ist das völlige Wegfallen verschiedener bisher notwendiger Arbeitsschritte.

Ist ein Dokument am Bildschirm freigegeben, dann läßt der Redakteur es über den Laserdrucker ausdrucken. Der Laserausdruck ersetzt die bisherige konventionelle Reinzeichnung, bei der Fotosatz und Grafiken mit Klebstoff auf einen Karton montiert werden. Diese Grafikarbeiten entfallen, da sie bereits am Bildschirm vom Redakteur durchgeführt werden. Über alle Dokumentationsstufen hinweg ist das eingesetzte System durchgängig und einheitlich.

Alle redaktionellen Vorgänge die Redaktionsbesprechungen ausgenommen - finden auf dem Schreibtisch am Bildschirm des Redakteurs statt. Die elektronische Verarbeitungskette endet erst am Ausgabegerät, dem Laserdrucker, und setzt sich konventionell in der Offsetdruckerei fort. Die Entwicklung der nächsten fünf Jahre wird die systemadäquate Einbindung der Druckerei in den Fertigungsablauf bringen.

Gegenwärtiger Stand und Zukunft

In Nürnberg-Moorenbrunn hat die Siemens AG zur Zeit etwa 40 Arbeitsplätze im Dokumentationscenter mit dem Bürosystem 5800 ausgestattet. Alle Arbeitsplätze sind kommunikationsfähig und können über die öffentlichen Postnetze auch mit anderen Standorten Verbindung aufnehmen.

Die Ergebnisse der rechnerunterstützten Dokumentation für Marketing und Produkteinführung sind beachtlich. Es ergibt sich eine klare Antwort auf die Frage, wie das steigende Dokumentationsvolumen zu bewältigen ist: Mit weniger Seiten, mit einer didaktisch besseren Darstellung der Zusammenhänge und einem steigenden Anteil an Grafiken.

Korrekturen am Bildschirm sind gegenüber der konventionellen Methode einfacher und schneller. Da viele Arbeiten, die bisher aufeinander folgten, jetzt zum großen Teil

parallel durchgeführt werden (Manuskripterstellung, Redaktion, Typografie und Grafik, wird Zeit gespart. Dadurch wird auch die Dokumentationsplanung terminisiert.

System muß offen bleiben

Wesentliche Erweiterungen des Text- und Grafikarbeitsplatzes sind aufgrund der technischen Entwicklung zu erwarten. Als Pendant zum Laserdrucker auf der Ausgabeseite wird auf der Eingabeseite ein Scanner für Halbton- und Strichvorlagen möglich sein. Für qualitativ höherwertige Druckschriften werden die Texte in das Datenformat von Fotosetzmaschinen konvertiert und ohne Neuerfassung belichtet werden können. Übersetzungssysteme und Terminologiedatenbanken werden das Erstellen fremdsprachiger Dokumentation erleichtern.

Eine ständige Weiterentwicklung, die all diese Zielsetzungen enthält, ist nur dann möglich, wenn die bereits jetzt eingesetzten Systeme offene Systeme sind, das heißt, daß sie alle technologischen Innovationen in kürzester Zeit einbinden und dem Redakteur an seinem Schreibtisch zur Verfügung stehen. Offene Systeme sind die Basis für freizügige Kommunikation zwischen allen an der Erstellung der Dokumentation Beteiligten.

Literatur(1) Hofmeister, K.-D.; Rausch, M.: Die Dokumentationsfabrik: ein Modell zur Erstellung technischer Dokumentation. Siemens Energie & Automation 8(1986) S. 352 bis 354