IDC-Experten-Talk zu KI in Deutschland

Mit der richtigen Planung zu Prozessoptimierung und Business Innovation

19.07.2019
Von 
Wafa Moussavi-Amin ist Analyst und Geschäftsführer bei IDC in Frankfurt. In seiner Funktion als Geschäftsführer verantwortet Wafa Moussavi-Amin seit Oktober 2004 die Strategie und Geschäftsentwicklung der International Data Corporation (IDC) in Deutschland und der Schweiz, seit 2013 zeichnet er zudem verantwortlich für die Region Benelux.
Immer mehr Fachbereiche und IT-Abteilungen setzen KI-Lösungen zur Optimierung und Automatisierung von Prozessen ein. Wie eine IDC-Studie deutlich zeigt, kommt Innovation dabei allerdings immer noch viel zu kurz.
KI-Projekte sind am erfolgreichsten, wenn Fachabteilungen und IT von Anfang an an einem Strang ziehen.
KI-Projekte sind am erfolgreichsten, wenn Fachabteilungen und IT von Anfang an an einem Strang ziehen.
Foto: Phonlamai Photo - shutterstock.com

Künstliche Intelligenz (KI) ist seit geraumer Zeit eines der domininierenden Themen in den Medien. Das volle Potenzial von KI wird erst in den nächsten Jahren mit höherer Rechenleistung, mehr Daten und besseren Algorithmen umfassend ausgeschöpft können – das steht außer Frage. Allerdings gibt es bereits heute viele Lösungen – überwiegend auf der Basis von Machine Learning –, die Fach- und IT-Abteilungen bei der Automatisierung von Abläufen und der Entscheidungsfindung unterstützen. Jedes Unternehmen hat es also selbst in der Hand, KI für seinen eigenen unternehmerischen Vorteil zu nutzen. Gut 40 Prozent der befragten Unternehmen tun dies bereits, indem sie bis dato KI-Projekte umgesetzt haben, beeindruckende 88 Prozent planen die Umsetzung in den nächsten 12 Monaten.

Der IDC-Expertentalk zum Thema KI: Matthias Zacher (IDC), Ludger Wölfel (Vipcon), Johannes Wagmüller (NetApp) und Lynn Thorenz (IDC) - v.l.n.r.
Der IDC-Expertentalk zum Thema KI: Matthias Zacher (IDC), Ludger Wölfel (Vipcon), Johannes Wagmüller (NetApp) und Lynn Thorenz (IDC) - v.l.n.r.
Foto: IDC, 2019

Die Entwicklung auf diesem Gebiet schreitet rasend schnell voran. Um herauszufinden, was sich an der Situation in deutschen Firmen seit der letzten Bestandsaufnahme aus dem Jahr 2018 verändert hat, hat IDC für die Studie „KI in Deutschland 2019“ im April 2019 erneut 305 IT-Entscheider und Anwender aus Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern in Deutschland zum Thema befragt. Die Ergebnisse wurden der IT-Fachpresse im Mai 2019 in München vorgestellt.

Lesetipp: IDC-Studie zur Künstlichen Intelligenz - KI dient zur Prozessoptimierung - aber nicht zur Innovation

Neben dem Studienautor Matthias Zacher teilten Johannes Wagmüller (NetApp) und Ludger Wölfel (Vipcon) ihre Sicht auf den Markt mit den anwesenden Journalisten. Moderiert wurde die lebendige Diskussionsrunde von Lynn Thorenz, Leiterin des Bereichs Research und Consulting bei IDC.

IT und Fachbereiche treiben KI mit vereinten Kräften voran

Fakt ist: Künstliche Intelligenz wird in der Öffentlichkeit immer noch stark aus einer Technologieperspektive diskutiert. Hinzu kommt, dass Begriffsverwirrungen rund um KI, AI, ML, kognitives Computing und RPA nicht gerade für Transparenz sorgen. „Nach unseren Beobachtungen geht es bei den heute in der Praxis eingesetzten Lösungen immer noch um maschinelles Lernen in seinen unterschiedlichen Ausprägungen, wie etwa Deep Learning“, bestätigt Johannes Wagmüller, Director Solution Engineering Germany bei NetApp. Er empfiehlt Unternehmen, sich ausgehend vom angedachten Anwendungsfall erst einmal einen Überblick zu verschaffen, welche Werkzeuge und Services überhaupt zur Verfügung stehen, bevor es dann ins - idealerweise rasche - Prototyping geht.

„In jedem Fall müssen die Unternehmen die anvisierte KI-Lösung von den entsprechenden Rahmenbedingungen abhängig machen“, attestiert auch Ludger Wölfel, Manager Product Development bei Vipcon. Ganz wichtig sei in diesem Zusammenhang auch die Definition eines klaren Umgangs mit Fehlern, gibt der Experte zu bedenken. „Künstliche Intelligenz ist nicht automatisch fehlerfrei und Fehler können gravierende Auswirkungen haben.“

Ungeachtet der Tatsache, welche Lösungen im produktiven Betrieb sind: Für Unternehmen und Organisationen steht ganz klar der Business-Nutzen im Vordergrund, das zeigt die neue Studie deutlich auf. Innovation fällt vielerorts (noch) hinten runter. Dass 32 Prozent der Unternehmen angeben, über Innovationscenter bzw. Labs für die Evaluierung und Entwicklung geeigneter Lösungen, zu verfügen, lässt zumindest hoffen.

Insgesamt sehen wir jedoch eine interessante Akzentverschiebung. Während im vergangenen Jahr die Fachabteilungen bei der Planung von KI federführend waren, haben nun die IT-Abteilungen gemeinsam mit den Fachabteilungen diese Rolle übernommen. Und das ist auch gut so, denn KI-Projekte sind dann am erfolgreichsten, wenn Fachabteilungen und IT von Anfang an an einem Strang ziehen – das haben die Unternehmen offenbar verstanden und umgesetzt.

KI-Projekte: Was sie erfolgreich macht und woran sie scheitern

Erfolgreiche KI-Projekte sind fest umrissen und zielen auf einen klaren geschäftlichen Nutzen. KI ist keine Science Fiction, sondern das Bearbeiten von geschäftlichen Herausforderungen mit teils neuen Lösungsansätzen und Technologien. Die überwiegende Mehrheit der Befragten hat ein klare Vorstellung über die Definition eines geeigneten Use Cases. Für 47 Prozent ist genau das aber eine echte Herausforderung.

„Der Anwendungsfall muss einfach passen, das ist klar. Aber auch das Know-how für die richtige Herangehensweise muss da sein“, gibt Wagmüller zu bedenken. Aber genau das kristallisiert sich zunehmend als problematisch heraus. Angesichts der fehlenden Fachkräfte werden KI-Aktivitäten aktuell in vielen Unternehmen ausgebremst, so gaben 38 Prozent der befragten Firmen den Mangel an Experten als die größte Hürde für die Umsetzung von Projekten an. Sie können ihren Bedarf an KI-Spezialisten schlicht nicht decken. IDC geht auch nicht davon aus, dass sich die Situation kurzfristig entspannen wird. Faktisch hat sich seit der letzten Bestandsaufnahme nicht viel getan – was über kurz oder lang zu einem grundsätzlichen Problem für die deutsche Wirtschaft werden könnte.

Jeweils mehr als die Hälfte der Befragten unserer Studie bewertet die Einführung eines KI-Modells und die Datenqualifizierung als sehr anspruchsvolle Aufgaben. Mit der Definition eines Business Cases allein ist es also nicht getan. Die Umsetzung der einzelnen Schritte eines KI-Projekts sind die eigentliche Herausforderung.

Hierzu zählen neben den bereits genannten Punkten das Testen und Trainieren des Modells sowie das Überwachen und gegebenenfalls das Anpassen von Parametern. „Die richtige Menge an Lerndaten und eine klare Definition, wann das Ergebnis von künstlicher Intelligenz verlässlich ist, sind essentiell für ein erfolgreiches KI-Projekt“, bestätigt Wölfel. Für den Erfolg des Projekts ist wichtig, das fachliche Anforderungen mit den technologischen Möglichkeiten abgeglichen werden.

Woran scheitern dann KI-Projekte überhaupt? Häufig an etwas ganz Banalem: nämlich an falschen oder überzogenen Erwartungen, sowohl auf IT- als auch auf Fachbereichsebene. „Der Umgang mit Erwartungshaltungen ist daher ein ganz entscheidender Aspekt“, bestätigt Ludger Wölfel. So beeinflussten die häufig nicht mit der Realität übereinstimmenden Vorstellungen und Erwartungen an die selbstlernende KI massiv die Bewertung des Projektaufwandes und der Projektergebnisse.

Letztlich sei jedes KI-Projekt eine Frage von Kosten und Ertrag, pflichtet Johannes Wagmüller bei. „Die Entwicklungskosten können sehr hoch ausfallen, der Kundennutzen bleibt jedoch möglicherweise bescheiden“, so der NetApp Experte. „Aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen, dass KI dann Akzeptanz findet, wenn sich der praktische Nutzen im Alltag einstellt.“

Und noch etwas gibt Wagmüller zu bedenken: „Versuchen Sie erst gar nicht, KI-Plattformen selbst zu bauen und vor allem zu unterhalten, das ist fatal. Data Scientists und Engineers sollten sich nicht mit der Implementierung und Pflege einer komplexen KI-Umgebung beschäftigen müssen.“ Unternehmen, die mit ihren KI-Projekten jetzt bei „Null“ anfangen, sind also in jedem Fall besser beraten, auf IT-Hersteller, Dienstleister, Integratoren oder Provider zuzugehen und von deren Fachwissen und Expertise zu profitieren – da sind sich alle in der Runde einig.

Wo geht die KI-Reise hin?

Abwarten und Tee trinken? Keine gute Idee! Die Unternehmen, die jetzt die Entwicklung verschlafen und nicht auf KI setzen, begeben sich unter Umständen auf dünnes Eis. Gerade hierzulande wird gerne einmal zu lange abgewartet. Klar, nicht in allen Branchen ist KI gleichermassen wichtig. Das belegt auch unsere Studie. Vorreiter bei der Umsetzung von KI-Projekten sind aktuell Versorger, Telekommunikationsunternehmen sowie die Financial Services Branche. Die Schlusslichter sind wenig überraschend die öffentliche Verwaltung und Dienstleistungsunternehmen.

Tatsache ist, dass Unternehmen über kurz oder lang nicht ohne KI auskommen werden. „Das steigende Volumen an Daten wird ohne den Einsatz von KI nicht mehr zu bewältigen sein“, prognostiziert Wölfel. „Der erfolgreiche Umgang mit Daten wird über die Zukunft und den Erfolg von Unternehmen entscheiden“.

IDC nimmt nicht unerfreut zur Kenntnis, dass immer mehr Referenzen zur Verfügung stehen. Anwender und Anbieter profitieren dabei gleichermaßen von Cases aus der eigenen Branche, aber auch branchenübergreifend eröffnen sich zahlreiche neue Einsatzmöglichkeiten. „Nicht überall ist KI sinnvoll. Doch dort, wo sie unverzichtbar ist, laufen die Entwicklungen auf Hochtouren“, bestätigt Wagmüller. Der Blick über den sprichwörtlichen Tellerrrand ist also gerade bei diesem Thema mehr als wichtig.

Künstliche Intelligenz wird die IT- und Fachabteilungen in den nächsten zwei bis drei Jahren umfassend beschäftigen. Für Unternehmen ist es jetzt vor allem wichtig, KI nicht auf operative Einsatzszenarien zu beschränken, sondern stärker im Kontext der Digitalisierung anzuwenden, um das volle Potenzial abzuschöpfen: das Freisetzen von Kreativität, das Modellieren von Ideen und das Beschleunigen von Innovationen. Es lohnt sich. (mb)