Topmanagement soll CIM-Zügel in den Händen halten:

Mit der Datenanalyse lösen sich gordische Knoten

31.10.1986

MÜLHEIM/RUHR - CIM ist für jedes Unternehmen so individuell wie ein Fingerabdruck. Um eine befriedigende und angepaßte Fabrikautomations-Lösung zu finden, bedarf es zunächst einer Datenanalyse. Dabei kommt es darauf an, daß man sich auf ein typisches Anwendungsgebiet beschränkt und einen erweiterungsfähigen Prototyp entwickelt.

Die ursprüngliche Idee der computerintegrierten Fertigung hat einen fast volkswirtschaftlichen Charakter. Auf die japanische Herausforderung, hochwertige Massenprodukte zu niedrigen Preisen auf den Markt zu bringen, hat die westliche Welt nun eine Antwort gefunden: CIM! Der Kampf um Marktanteile mit dem Ansatz, den Wert des Produkts aus der Sicht des Kunden zu erhöhen, kann nur durch höhere Flexibilität in der Produktvarianz bei niedrigen Produktkosten gewonnen werden.

Nicht das uniforme Massenprodukt ist gefragt, sondern das mehr individuelle Produkt zum vergleichbar niedrigen Preis. Verkürzung der Entwicklungszeit für neue Produkte flexible Anpassung an Kundenwünsche, höhere Qualität und Produktivität sind weitere strategische Ziele, die im Zusammenhang mit CIM genannt werden. Die Technologie zur Umsetzung dieser Ziele ist da, beziehungsweise in absehbarer Zeit kostengünstig einsetzbar. Die Realisierung von komplexen Integrationslösungen ist bereits heute in einigen Branchen wirtschaftlich durchsetzbar.

Aber immer noch heben einige Skeptiker warnend den Finger und sagen der CIM-Welle das gleiche Schicksal voraus wie dem MIS-Ansatz in den siebziger Jahren.

Die Realität sieht zum Glück anders aus: in vielen, vorwärts denkenden Unternehmen wird an der Planung und Realisierung der zukünftigen Fabrik gearbeitet.

Wer bereits seit vielen Jahren Systeme für die Fabrikautomation entwickelt hat, die heute mit dem Begriff "Insellösungen" bedacht werden, steht vor einer herausfordernden, aber auch schwierigen Aufgabe. Denn die Realisierung von CIM erfordert weitaus mehr als die bloße Kenntnis neuer Technologien, die in die Welt des Fertigungsunternehmens zu integrieren sind.

CIM verlangt von allen Beteiligten neue, strategische Denkansätze und ein anderes Problembewußtsein, da CIM der schwierige Weg zur Komplexität ist.

Durch eine mehr oder weniger opportunistische Automatisierung sind in den Unternehmen die besagten Insellösungen entstanden. Für die vielen funktionalen Unternehmensbereiche werden DV-Lösungen eingesetzt, die jeweils mit unterschiedlicher Hardware, nicht kompatiblen Betriebssystemen, verschiedenen Programmiersprachen, Datenbanken und Kommunikationsnetzen betrieben werden.

Diese Inselwelt ist so lange idyllisch, wie die einzelnen Funktionen nicht direkt miteinander kommunizieren müssen. Sobald jedoch Inseln verbunden werden sollen, taucht das Problem der Kommunikationsschnittstelle auf. Was liegt näher, als die Forderung nach Standardisierung der DV-technischen Systeme aufzustellen und die Anpassung durchzuführen. Dieser Weg, der häufig als der vermeintlich richtige Weg zu CIM beschritten wird, erfüllt gerade eine wichtige Restriktion.

Das eigentliche Kommunikationsproblem liegt darin, daß jeder Anwender seine Daten anders interpretiert, ihnen andere Bedeutungen und Inhalte zuordnet, obwohl aus globaler Sicht viele Daten identisch sind. Im Zentrum der Integrations-Entwicklung stehen die Daten als Nabe, um die sich alles dreht.

Der einzige Weg zur Integration führt deshalb über die Daten. Und da die Daten in jedem Unternehmen unterschiedlich sind, muß die These aufgestellt werden, daß CIM für jedes Unternehmen so individuell ist wie ein Fingerabdruck. Bevor jedoch der Datenaspekt im Detail untersucht werden kann, sind einige vorbereitende, konzeptionelle Schritte erforderlich.

Erst das Konzept, dann das System

CIM betrifft das ganze Unternehmen, da es ein "Denken in Systemen" erfordert. Es ist als Prozeß zu verstehen, der viele Jahre dauern kann. Die Überwindung der funktional-organisatorischen Barrieren kann nur erfolgen, wenn das Topmanagement die Verantwortung und Steuerung für die CIM-Vorhaben übernimmt. Aus Managementsicht stehen strategische Überlegungen im Vordergrund, wenn es um Investitionen in neue Technologien geht. In diesem Rahmen ist CIM als Management-Programm zur Realisierung der zukünftigen Fabrik zu definieren. Ausgehend von der Strategie des Unternehmens müssen die Zielvorgaben CIM-gemäß operationalisiert werden.

Die Festschreibung des Integrationspfades in stufenorientierten, wirtschaftlichen Schritten in einem CIM-Konzept ist eine notwendige Aufgabe, bevor in CIM-Realisierungen gedacht werden darf. Ohne Plan weiß man nicht, wo man ankommt.

Datenmodell beschreibt Informationsflüsse

Die Realisierung von CIM erfordert genaue Kenntnis der Datenstrukturen und Unternehmensfunktionen. Allein die Analyse der Daten erfordert einen nicht zu unterschätzenden Aufwand. Aus Fragen wie:

- Welche Daten entstehen an welcher Stelle?

- Welche Funktion benötigt welche Daten?

- In welcher Beziehung stehen die Daten zueinander?

- Wie zeitkritisch sind die Daten? entsteht ein komplexes, umfassendes und stabiles Datenmodell, welches die Informationsflüsse und -bedürfnisse beschreibt. Zur Ermittlung dieses Datenmodells sind Vorgehensweisen erforderlich, die nicht nur Methoden und Werkzeuge umfassen, sondern auch die Welt der einzelnen Anwender und deren Anforderungen über eine gemeinsame Sprache synchronisieren.

Da häufig die Analyse eines gesamten Unternehmens sehr aufwendig und zeitkritisch ist, wird die Datenanalyse auf ein typisches Anwendungsgebiet eingeschränkt und ein erweiterungsfähiger "Prototyp" entwickelt. Schrittweise werden dann andere Anwendungsgebiete erschlossen und eingeklinkt. Das Risiko dieses Vorgehens liegt darin, daß neue Modifikationen des Prototyps notwendig sind beziehungsweise sogar eine völlige Neuentwicklung erforderlich machen können.

Eine Analyse in den USA hat gezeigt, daß bei zirka 80 Prozent aller durchgeführten CAD/CAM-Integrationen mehrfache Modifikationen des Datenmodells bis zur Erzielung des gewünschten Erfolgs erforderlich waren. Uneingeschränkt gilt deshalb die These, daß ohne Datenmodell CIM nicht realisiert werden kann.

CIM existiert, wenn

- alle Bearbeitungs- und Verarbeitungsfunktionen sowie Managementfunktionen informationstechnisch umgesetzt sind;

- diese Daten erzeugt, transformiert, transportiert und gespeichert sind durch Einsatz von Computer-Technologie;

- diese Daten während des Produkt-Lebenszyklus für alle Funktionsbereiche in der Fabrik - das heißt vom Auftragseingang bis zur Auslieferung und Service - verfügbar sind.

Realisierung in überschaubaren Schritten

Der Erfolg bei der Implementierung von CIM hängt entscheidend von der richtigen Vorgehensweise ab. Richtig soll hier bedeuten, daß ausgehend von einem Konzept die Integrationsthemen Projekt für Projekt in kleinen, überschaubaren Schritten realisiert werden. Komplexe Produkte können nicht mit einfachen Mitteln gelöst werden. Wer dem Grundsatz folgt, es beim ersten Anlauf richtig machen zu wollen, braucht mehr Zeit für Zielfindungs- und Abstimmungsprozesse. Dafür hat er ein motiviertes Team, das Erfolg hat und den Entwicklungs- und Veränderungsprozeß im Unternehmen mitträgt.

Die Datenstruktur des individuellen Unternehmens ist relativ stabil. Die Technologie dagegen unterliegt einem raschen Fortschritt. Die Kosten für Hardware, Software und Kommunikationsnetze werden sinken: Schnittstellenprobleme werden durch fortschreitende Standardisierung deutlich reduziert.

Zu welchem Zeitpunkt die Kosten für CIM-Bausteine ein Niveau erreichen werden, so daß auch die wirtschaftlich vertretbare Investitionsgrenze für eine sehr große Anzahl von Unternehmen unterschritten wird, kann nicht exakt prognostiziert werden. Zu denken ist in Zeiträumen von drei bis zehn Jahren. Aus dieser Prognose sollte jedoch nicht der Schluß gezogen werden, daß Abwarten die beste Strategie ist. Ohne ein CIM-Rahmenkonzept ist nämlich nicht erkennbar, mit welcher Priorität und in welcher Reihenfolge die Integrationsschritte umgesetzt werden müssen. Ohne Kenntnis der Datenstruktur ist man nicht in der Lage, am Markt verfügbare, standardisierte Bausteine in das eigene Konzept zu integrieren, und ohne schrittweises Lernen im Umgang mit

komplexen informationstechnischen Systemen wird die Organisation überfordert.

Deshalb muß CIM als Managementprozeß gesehen werden, als komplexe Aufgabe, die Ressource Information von der Unternehmensstrategie bis hin zu einzelnen Daten durchgängig zu managen.

*Manfred Klute ist Geschäftsführer der SCS Organisationsberatung und Informationstechnik GmbH, Region West, Malheim/Ruhr.