Urheberrecht ist für Software-Schutz der falsche Ansatz

Mit dem EDV-Rechtsexperten Dr. Christoph Zahrnt, Rechtsanwalt in Neckargemünd, sprachen Dieter Eckbauer und Elmar Elmauer

11.09.1981

þHerr Dr. Zahrnt, Computer-Programme sind im Regelfall nicht urheberrechtsfähig. Dies ist die Auffassung des Landgerichts Mannheim, das als erstes deutsches Gericht zur Frage des Urheberrechtsschutzes für Software Stellung bezieht. Was bedeutet dieses Urteil für die Software-Branche?

Die Software-Branche geht davon aus, daß Programme urheberrechtsfähig seien und daß deshalb automatisch der erforderliche Schutz für den Anbieter und Lieferanten von Software-Produkten bestehe. Dieser Glaube ist nun erschüttert. Das ist sehr gut für die Branche, weil dieser Glaube sowieso falsch ist - darauf müssen wir noch zu sprechen kommen.

þWenn das Gericht die Urheberrechtsfähigkeit im Regelfall ausschließt, also nur Ausnahmen zuläßt, für die das Greifen des Urheberrechts auch noch nachgewiesen werden müßten, geht dann die Mannheimer Kammer mit ihrer Rechtsauffassung nicht zu weit? Und stellt sich Mannheim nicht auch gegen den Bundesgerichtshof, der ja argumentiert, daß in der Problemanalyse sowie in der Auffindung und Darstellung der Rechenprozesse eine schöpferische Leistung liege? Diese Auffassung legt doch den Schluß nahe, daß die Bundesrichter die Voraussetzung für das Greifen des Urheberrechts bei Software für gegeben halten?

Der Bundesgerichtshof hat sich zwar einmal geäußert, daß es sich beim Programmieren um eine gewisse schöpferische Tätigkeit handle. Dies fiel aber in dem Zusammenhang, daß der BGH die Patentfähigkeit von Programmen ablehnte, weil der Rechtsschutz von EDV-Programmen eben eher im Bereich des Urheberrechts zu suchen sei. Aber weiter hat sich der Bundesgerichtshof nicht mit dieser Frage beschäftigt.

þEin Computer-Programm möge noch so einfallsreich kombiniert und aufgebaut sein, dem Betrachter trete es nicht als eine geistige und ästhetisch wertbare Form gegenüber - mit dieser Begründung schmetterte die Mannheimer Kammer den Urheberrechtsschutz für Software ab. Nun stellen sowohl das Urheberrechtsgesetz selbst wie die Judikatur dazu weitaus weniger Ansprüche an Individualität und eigenpersönliche Leistung. Diese Begründung läßt vermuten, hier haben sich die Richter der Mindermeinung eines Kommentators angeschlossen, der unter EDV-Programm bloß strengen Formalismus und mathematische Formeln vor dem Auge hatte, als er die Urheberrechtsfähigkeit von Software verneinte.

Das Gericht hat in der Tat zu hohe Ansprüche gestellt und die Sache nicht richtig gewürdigt. Nehmen Sie ein chinesisches Gedicht in chinesischen Schriftzeichen: Das tritt dem Betrachter genauso als eine völlig unverständliche Aneinanderreihung von Zeichen gegenüber, sofern der Betrachter des Chinesischen nicht mächtig ist. Wer nicht programmieren kann, der empfindet zwangsläufig ein EDV-Programm als unverständliche Aneinanderreihung von Zeichen: Von den Schriftzeichen selbst soll doch keine ästhetische Wirkung ausgehen, sondern die ästhetische Empfindung soll erst durch das Lesen der Schriftzeichen entstehen. Ein Computer-Programm kann aber durchaus bei einem Computer-Profi ästhetische Empfindungen auslösen.

þNun ist doch im Urheberrecht nirgendwo die ästhetische Wirkung explizit angesprochen, sondern nur die eigenpersönliche Prägung des Werkes verlangt ...

Hier hat das Gericht allerdings vom Ansatz her recht, denn das deutsche Urheberrecht fordert schon eine gewisse schöpferische Darstellung. Hier unterscheidet es sich vom amerikanischen Urheberrecht, in der dies ausreicht, was Sie eigenpersönlich genannt haben. Es ist wie mit dem Patentrecht: Nicht jede technische Erfindung ist patentfähig, sondern nur eine solche, die eine gewisse technische Höhe hat. Und eine gewisse Höhe der schöpferischen Darstellung, nicht gerade eine ästhetische Höhe, verlangt auch das deutsche Urheberrecht. Im übrigen könnten da durchaus Konflikte zwischen deutschem und amerikanischem Recht entstehen. Aber lassen Sie mich zu Ihrer Bemerkung "EDV-Programm gleich mathematische Formel" zurückkommen: Dies trifft ins Zentrum des Problems Urheberrecht, denn worum es eigentlich geht, ist Software-Engineering. Alle Welt spricht von Software-Engineering, der technischen Fähigkeit, Programme mit Hilfe einer Konstruktionslehre zu erstellen. Da bleibt für eine schöpferische Tätigkeit wenig Raum - weil Programme eben nicht schöpferisch sein sollen, sondern sauber konstruiert. Nun kann eine saubere Konstruktion zwar ästhetisch ansprechen, aber die Zielrichtung ist, eine technische Leistung zu erbringen, die nicht unbedingt urheberrechtlich geschützt werden muß ...

þ... aber wir sind uns einig, daß EDV-Programme generell geschützt werden müssen ... ?

... dies halte ich allerdings für dringend nötig. Persönlich bin ich aber der Auffassung, daß EDV-Programme über das Gesetz zum Schutz des lauteren Wettbewerbs einigermaßen geschützt sind und überdies kann der Software-Anbieter mit seinem Vertragspartner ja die gewünschte rechtliche Absicherung im Einzelvertrag vereinbaren.

þHerr Dr. Zahrnt, lassen Sie uns die Frage einmal anders herum stellen: Ist das Bestehen auf Urheberrechtsschutz für Software überhaupt sinnvoll, wenn man bedenkt, daß die??? Recht ein Werk auf siebzig Jahre hinaus schützt. Für Software bedeutet das doch, daß hier eine Technologie, die binnen Monaten veralten kann, unter den Fliegensturz kommt.

Es kann in der Tat egal sein, ob jemand, dessen Programm nach fünf Jahren veraltet ist, noch 65 Jahre Rechtsschutz hat oder nicht. Und die Väter des Urheberrechts konnten sicher nicht wissen, daß es einmal eine Branche geben wird, in der sich das Wissen alle dreieinhalb Jahre umschlägt. Auch daraus wird deutlich daß das Urheberrecht der falsche Ansatz zum Schutz von Programmen ist. Denn es geht nicht um die Verbreitung von Programmen - und die Verbreitung wird durch das Urheberrecht geregelt -, sondern um den Schutz von Programmen, insbesondere des in ihnen enthaltenen Know-hows.

þNehmen wir einen praktischen Fall: Da schleicht abends ein Programmierer mit dem Quellcode aus dem Haus, macht sich selbständig und ruiniert seines bisherigen Brötchengebers Geschäft mit Standard-Software.

Hoffentlich auch die Dokumentation! Also zum Ruinieren gehört mehr; deswegen kann die Branche mit dem viel beklagten Software-Klau leben. Aber mit dem Beispiel schneiden Sie an, worum es geht: nämlich um das Know-how, das der Programmierer mitnimmt. Zwar darf jeder sein Wissen bestens vermarkten, solange er sich in den Grenzen fairen Wettbewerbs hält. Ein Programmierer, der das Quellprogramm mitnimmt, verläßt diese Grenzen und ist auch haftbar. Viel schwieriger aber sind weniger spektakuläre Fälle: Zum Beispiel, wenn ein Anwender das Standardprogramm eines Software-Hauses einsetzt, dann ein anderes Computersystem implementiert und sich dieser Hardware-Lieferant bereit erklärt, das alte - für ihn fremde - Standardprogramm auf das neue Computersystem umzustellen. Auf diese Art und Weise erhält der Hardware-Lieferant das gesamte Know-how aus dem Wettbewerber-Programm und er selbst kann sein eigenes, konkurrierendes Standardprogramm entsprechend verbessern.

þNur ließe sich dies konkret über ein einfaches Nutzungsrecht ausschließen, wie es auch im Urheberrecht formuliert ist.

Nein - das Urheberrecht selbst tut das eben nicht. Deswegen sprach ich von dem Schutz, den das Urheberrecht angeblich bietet.

þEs geht also darum, mit welchen rechtlichen Mitteln erreiche ich den sinnvollsten Schutz für Software?

Gegenüber dem Vertragspartner mit Hilfe des Vertrages, nicht aber gegenüber Dritten. Dies ist die offene Flanke. So könnte der Wartungstechniker eines Herstellers Programme durchaus kopieren und dann ausnutzen.

þDa kann ich doch den Arbeitgeber des Wartungstechnikers an den Kanthaken nehmen?

Das ist eine schwierige Frage, ob der Wartungstechniker dieses Kopieren "in Verrichtung seiner Wartungstätigkeit" durchgeführt hat oder bei "Gelegenheit" seiner Wartung. Im zweiten Fall würde der Arbeitgeber dieses Wartungstechnikers nicht haften.

þGrundsätzlich bleibt aber, daß gerade beim Zunehmen mehrfach verwendbarer Software die Frage des Schutzes noch wichtiger wird, als man sie jetzt vielleicht sieht?

Richtig. Die Industrie wird sich noch besser schützen müssen. Sie schützt sich ja schon heute teilweise recht geschickt, indem sie Programme in Hardware speichert. Die sind nicht mehr so leicht kopierbar.

þBloß: Sind diese Bausteine, ob RAM, ROM oder PROM, selbst schutzfähig vor dem Kopieren?

Nun, wenn Sie einen PROM-Baustein knacken, haben Sie sicherlich nicht nur kopiert, sondern mit einer sehr intensiven Tätigkeit dieses Know-how in Besitz genommen und im Zweifelsfall sehr eindeutig gegen das Gesetz zum Schutz des lauteren Wettbewerbs verstoßen. Denn dieses Gesetz schützt ja nicht davor, daß der erste, der ein Programm für eine bestimmte Branche gemacht hat, dies nun als Erbhof betrachten soll, auf dem er der einzige bleibt, sondern das Wettbewerbsrecht schützt davor, daß kein anderer Anbieter diese Leistung unmittelbar übernimmt. Der Zweit-Anbieter soll also seine Investition grundsätzlich in voller Höhe tätigen müssen.

þNur sieht man's Software-Kopien nicht an, daß Sie Kopien sind und was sie gekostet haben!

Das bezweifle ich aber grundsätzlich. Je billiger Standard-Software wird, desto weniger lohnt es sich, sie unberechtigt zu kopieren.

þAber technisch kann der Weg für Software-Anbieter nur über ein Baustein-Angebot in die Zukunft führen. Der juristische Schutz hat doch allemal Haken und Ösen.

Stimmt.