Mit dem Agile-Kauf greift Oracle SAP im Industriesektor an

18.05.2007
Bisher hatte Oracle in Sachen Product-Lifecycle-Management (PLM) wenig zu bieten. Mit Agile wertet der SAP-Rivale sein Portfolio auf. Im wachsenden PLM-Markt will Oracle so stärker bei Industriekunden Fuß fassen, die nicht selten bereits ihre Betriebswirtschaft mit SAP-Programmen steuern.

Der Markt für Product Lifecycle Management bleibt in Bewegung. Für fast eine halbe Milliarde Dollar will Oracle den PLM-Spezialisten Agile kaufen. Die Übernahme wird Beobachtern zufolge im Juli abgeschlossen sein. Agile entwickelt und vertreibt Software, mit der Industriefirmen neue Produkte schneller entwickeln und marktreich machen können. Der Fokus liegt dabei darauf, Entwicklungsabläufe firmenübergreifend aufzusetzen und zu steuern (Collaboration), billiger zu konstruieren und dabei gesetzliche Aufgaben zu erfüllen. Zu den rund 1250 Agile-Kunden zählen Autozulieferer wie Magna Steyr und ZF Friedrichshafen, Konsumgüterfirmen wie Philips Sonicare und der Lebensmittelkonzern Heinz sowie Hightech-Unternehmen wie Siemens, Hitachi und Dell. Anders als die PLM-Platzhirsche Dassault Systemes, die nun zu Siemens gehörende UGS und PTC entwickelte Agile sich nicht von einem CAD- zu einem PLM-Anbieter, sondern startete ähnlich wie die von Dassault gekaufte Firma Matrix One mit Collaboration-Software.

Product Lifecycle Management soll die Computerbasierende Konstruktion und Fertigung unterstützen, Produkte visualisieren und simulieren. Beispielsweise können Konstrukteure ihre Arbeiten per Visualisierung dem Vertrieb und dem Marketing in grafischen Ansichten präsentieren. Simulationsfunktionen gestatten Crash- und Belastungstests am Rechner. Die kollaborative Seite des PLM umfasst Methoden, um mit Entwicklungspartnern Produkte zu definieren, strukturiert Daten auszutauschen und Lieferanten einzubinden. Über Digital Mockups können Hersteller und Zulieferer beispielsweise ein virtuelles Automobil aus verschiedenen Teilen zusammenbauen. Auf diese Weise können die beteiligten Firmen die an unterschiedlichen Orten konstruierten Teile nachbilden, zusammensetzen und überprüfen, ob sie sich in das Konstruktionskonzept einfügen. Die PLM-Software integriert sich idealerweise mit bestehenden Geschäftsapplikationen, etwa mit CRM-, SCM- und ERP-Systemen.

Oracle hatte bisher kein ausgewiesenes PLM-Produkt im Portfolio. In Teilen sind solche Funktionen in der "E-Business Suite" sowie in den Lösungen der übernommenen Firma J.D. Edwards vorhanden. Konkurrent SAP dagegen vermarktet seit dem Jahr 2000 eine eigene PLM-Lösung, dominiert damit aber nicht den Markt. Beobachtern zufolge war auf SAP an einer Übernahme des schließlich von Siemens gekauften PLM-Herstellers UGS interessiert. (fn)

Kommentar

Nach einer Reihe von Übernahmen, die eher in Richtung Infrastruktur und Middleware abzielten (Stellent und Hyperion) investiert Oracle nun wieder in Business-Applikationen. Nachdem der Datenbankhersteller mit dem Kauf von i-flex und Retek die Finanz- beziehungsweise die Handelslösungen erworben hatte, verbreitert der Agile-Kauf das Portfolio in Richtung industrielle Fertigung. Firmen aus der Konsumgüter- Elektronik-, Automobil- und Hightech-Industrie haben Bedarf an Software, um firmenübergreifende Entwicklungsabläufe weltweit zu steuern, verfügen aber oft nicht über ausreichend flexible Software dafür. Diese Lücke versuchen Spezialisten wie Dassault Systemes, UGS/Siemens und PTC sowie ERP-Vollsortimenter wie Infor und SAP zu schließen. Mit Agile kauft ein globaler ERP-Player einen PLM-Spezialanbieter und meldet ebenfalls Ansprüche an.

Zahlreiche Industriefirmen, die für PLM-Software in Frage kämen, verwenden SAP-Software beispielsweise für die Finanzbuchhaltung und die Materialwirtschaft. Somit hofft Oracle darauf, zumindest den PLM-Bedarf solcher Unternehmen decken zu können, wenn es schon nicht gelingt, das vorhandene ERP-Backend auf die eigene Lösung umzustellen. Und vielleicht bekommt Oracle damit den Fuß in die Tür des einen oder anderen SAP-Kunden.