Hannover Messe50 Jahre einer Ausstellung und der Deutschen Messe AG

Mit britischem Anstoß zum weltgrößten Industriespektakel

11.04.1997

Es war ein folgenreicher Befehl, den der Oberbefehlshaber der britischen Besatzungszone, General Sir Brian Robertson, am 15. April 1947 erteilte. Auf einem weitläufigen Gelände mit fünf unzerstörten Maschinenhallen der Vereinigten Leichtmetallwerke in Hannover-Laatzen sollte die erste Nachkriegsmesse in Nordwestdeutschland stattfinden.

Da die Messe schon am 18. August eröffnet werden sollte, blieb nur wenig Zeit, das Areal für die Ausstellung herzurichten. Auch gab es in der stark zerstörten Leinestadt kaum Übernachtungsmöglichkeiten für die Aussteller und die erwarteten Besucher. Gleichermaßen knapp waren Arbeitskräfte und Material.

Trotzdem war die Entscheidung nur zu richtig: Für die Briten und die anderen Alliierten wurde es zunehmend schwieriger, die hungernde deutsche Bevölkerung zu versorgen. Das Land mußte wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen, und dies, so die Überlegung der Alliierten, war nur durch den Export der weltweit noch immer als hochwertig anerkannten deutschen Güter zu erreichen. Das aber setzte Interesse an diesen Produkten voraus - und eine Ausstellung, auf der die Erzeugnisse der Deutschen zu besichtigen waren.

Außer dem Befehl, eine Exportmesse zu veranstalten, haben die Briten indes wenig dazu beigetragen, daß die Ausstellung tatsächlich stattfinden konnte. Die daraus resultierenden Differenzen mit dem eilends gegründeten deutschen Organisationskomitee brachten das Projekt nicht nur immer wieder ins Wanken, sondern erschwerten auch die Vorbereitungen. Improvisationstalent war nötig.

Bereits Anfang Juli waren die Maschinenhallen geräumt und bald für ihren neuen Verwendungszweck notdürftig hergerichtet. Wer ein unversehrtes Zimmer hatte, stellte es für die Teilnehmer der Messe zur Verfügung - die "Messemuttis" waren geboren. Schulen dienten in den eigens dafür verlängerten Sommerferien als Unterkünfte. Als die "Export-Messe Hannover 1947" am Montag, dem 18. August 1947, auf einer Ausstellungsfläche von 30000 Quadratmetern schließlich erstmals ihre Pforten öffnete, glich sie einem riesigen Flohmarkt.

Rund 1300, vornehmlich nord- und westdeutsche Aussteller - 3000 hatten teilnehmen wollen - kamen der Aufforderung der Briten nach, alles zu zeigen, was nur exportierbar sei.

So reichten die Exponate von Automobilen, Fahrrädern, Armaturen, Öfen und Herden, Rechenmaschinen, Papier, Schreib- und Zeichenutensilien über kosmetische und pharmazeutische Präparate, Musikinstrumente, Spielwaren, Eisenwaren sowie Bekleidung bis hin zu Nahrungsmitteln, Rauchwa- ren, Rasierklingen, Waschmitteln und Gebetsbüchern. 48 Seiten zählte der erste Ausstellungskatalog mit der Bezeichung "Amtliches Messeadreßbuch".

Vor den meisten Produkten standen allerdings Schilder: "Allein für den Export", denn kaufen und bestellen durften nur die ausländischen Besucher. 4000 internationale Messegäste aus 53 Nationen zählten die Veranstalter. Bis zum letzten Messetag, dem 7. September 1947, waren genau 1934 Exportverträge im Wert von insgesamt 31,6 Millionen Dollar unter Dach und Fach.

Der Löwenanteil der insgesamt sage und schreibe 736000 Besucher kam indes aus dem eigenen Land. Obwohl die Deutschen nichts kaufen durften, stürmten sie das provisorische Messegelände förmlich. Ein wichtiger Grund war, daß sie mit dem Kauf einer Eintrittskarte auch ein Glas Retortenwein und ein Fischbrötchen erstehen konnten, was in jener Zeit einem Festmahl gleichkam. Darüber hinaus aber sahen sie endlich wieder Dinge, von denen sie seit Ausbruch des Krieges nur hatten träumen können.

Ermutigt durch den Erfolg der Ausstellung, startete schon acht Monate später die nächste mehrwöchige Exportmesse in Hannover. Und von da an entwickelte sich die Veranstaltung zu einer festen Einrichtung im deutschen Messewesen. Sowohl die Infrastruktur als auch das Messegelände wurden ausgebaut. Es entstanden immer neue Hallen - und damit mehr Ausstellungsfläche, aber auch eine übersichtlichere Struktur, damit sich die einzelnen Branchen geschlossen präsentieren konnten.

1961 wurde die nun seit elf Jahren unter dem Titel "Deutsche Industriemesse" laufende Veranstaltung in "Hannover-Messe" umbenannt. Zwar war das Treffen längst ein Pflichttermin für viele, aber nicht mehr für alle Branchen. 1952 hatten die Werkzeugmaschinenhersteller ihre eigene Messe in Hannover erhalten. Ein Jahr später war die Automobilindustrie, mit Ausnahme des Bereichs Nutzfahrzeuge, nach Frankfurt am Main abgewandert. Auch die Druck- und Papierindustrie verabschiedete sich von der Großveranstaltung.

Allerdings traten auch in der Folgezeit immer neue Platzprobleme auf. Dazu trug nicht zuletzt die Büroindustrie bei. 1959 war sie mit 459 Ausstellern, davon 90 aus dem Ausland, und einer Ausstellungsfläche von 33000 Quadratmetern bereits die drittstärkste Branche auf der Messe in Hannover.

Mit der Halle 17 hatte ihr die Messegesellschaft 1954 schon eigene Räumlichkeiten errichtet, die aufgrund der wachsenden Nachfrage jedoch permanent umgebaut und erweitert werden mußten. 1967 schließlich gestattete die Messegesellschaft einigen "Herstellern von automatischen Datenverarbeitungsanlagen", vor dieser Halle Pavillons zu errichten.

Um die Platznöte für die Büroindustrie endgültig aus der Welt zu schaffen, aber auch ihren bekanntgewordenen Abwanderungsplänen zuvorzukommen, beschlossen die niedersächsischen Messestrategen Ende der 60er Jahre schließlich, eine neue Halle für diese Branche zu bauen. 1970 wurde am Eingang Nord die neue Halle 1 "CeBIT", das Centrum für die Büro- und Informationstechnik, eingeweiht.

Das mächtige Gebäude verfügte nicht nur über eine Bruttoausstellungsfläche von 70100 Quadratmetern, was ungefähr 14 Fußballfeldern entspricht, sondern auch über drei Nutzungsebenen: eine Parkgarage für rund 2000 Aussteller im Tiefgeschoß, die Ausstellungsräumlichkeiten im Erdgeschoß sowie die Dachebene mit 750 kleinen Fertighäusern, auch Trelemente genannt.

Der Glanz, den die rasant wachsende DV-Branche dem Industriespektakel zusätzlich verlieh, konnte allerdings nicht verhindern, daß die Hannover-Messe in den 70er Jahren durch Rezession und Ölkrise schwere Zeiten mit rückläufigen Ausstellerzahlen und so mancher leeren Halle zu überstehen hatte. Beeinträchtigt wurde die Veranstaltung zudem durch Abwanderungsentscheidungen ganzer Branchen.

Die Baumaschinenhersteller und die Büromöbelproduzenten verabschiedeten sich aus Hannover. Die Anbieter von Textil- und Holzbearbeitungsmaschinen beschlossen, ihre eigenen Messen in der niedersächsischen Landeshauptstadt auszurichten. Zwar konnte die Messegesellschaft andere Industriesegmente dazugewinnen, doch insbesondere der Weggang der Konsumgüterindustrie war eine bittere Pille.

Mit Beginn der 80er Jahre startete die Hannover-Messe eine neue Erfolgsstory. Fortan erlebte die mittlerweile auf acht Tage reduzierte Industrieschau einen Aussteller- und Besucherrekord nach dem anderen. 1984 eroberte sie gar einen Platz im Guinness Buch der Rekorde: Auf einer Ausstellungsfläche von insgesamt 741000 Quadratmetern präsentierten sich 6610 Direktaussteller, davon 2342 aus dem Ausland. Darüber hinaus zählte man 740000 Besucher aus 119 Ländern. Die Hannover-Messe war zur größten Investitionsgüterschau der Welt geworden.

Die Schattenseite der gigantischen Ausstellung war jedoch, daß sowohl dem Messegelände als auch der hannoverschen Infrastruktur der Infarkt drohte. Etliche Besucher drangen gar nicht mehr bis zum Messegelände durch.

Den Weg durch die Hallen konnte man sich oft nur noch mit roher Gewalt bahnen. Die Aussteller riefen den Notstand aus, weil ihre Stände völlig überfüllt waren. Hotels, Pensionen und private Vermieter waren komplett aus-, zum Teil sogar überbucht.

Der Deutschen Messe- und Ausstellungs-AG blieb nichts anderes übrig, als die Messe zu splitten. Die informations- und kommunikationstechnische Industrie wurde abgetrennt und erhielt 1986 mit der CeBIT, die seither vier Wochen vor der Industriemesse stattfindet, einen eigenen Rahmen.

Es gingen einige Jahre ins Land, bis sich Aussteller und Besucher sowohl mit der eigenständigen CeBIT als auch mit der Industriemesse ohne IT-Branche angefreundet hatten. Doch seit Anfang der 90er Jahre ist der Trennungsschmerz überwunden. Beide Veranstaltungen verzeichnen ein kontinuierliches Wachstum.

Hatten sich zur CeBIT-Premiere 1986 auf rund 200 000 Quadratmetern etwa 2000 Aussteller versammelt, so belegen in diesem Jahr 6813 Firmen - davon 2706 aus dem Ausland - eine Nettofläche von 350 122 Quadratmetern. Zählten die Hannoveraner Messestrategen 1986 rund 341 000 Besucher, rechnen sie in diesem Jahr mit 600000 bis 650000.

In den vergangenen Jahren hat sich die CeBIT als die internationale Messe für Informations- und Kommunikationstechnik schlechthin etabliert. Die wachsende Verbreitung des PC zog allerdings auch zunehmend Privatkonsumenten an, was zahlreiche Aussteller immer heftiger Kritik an der Besucherqualität üben ließ. Die Messegesellschaft reagierte und vollzog 1996 einen weiteren Messesplit. Im vergangenen August wurde die CeBIT Home aus der Taufe gehoben, auf der sich künftig alle zwei Jahre Privatverbraucher tummeln sollen.

Damit verbindet die Deutsche Messe AG die Hoffnung, daß die CeBIT fortan den IT-Profis vorbehalten bleibt, zumal sie auch die Eintrittspreise im vergangenen Jahr von 32 auf 50 Mark drastisch erhöhte. Tatsächlich verringerte sich die Zahl der Privatbesucher zur gleichzeitig erstmals nur sieben Tage dauernden CeBIT 1996 laut Messegesellschaft von 218000 auf 140000. Zahlreiche Aussteller klagten aber dennoch über eine Masse von Schaulustigen.

Die Hannover-Messe wiederum, die seit 1995 nur noch sechs Tage geöffnet hat und dieses Jahr vom 14. bis 19. April stattfindet, kann im 50. Jahr ihres Bestehens mit 7100 teilnehmenden Firmen einen neuen Ausstellerrekord verzeichnen. Gerechnet wird mit 300000 Besuchern. Geplant sind umfangreiche Feierlichkeiten, die zur Hannover-Messe ihren Anfang nehmen (so ist beispielsweise aufgrund der historischen Verbundenheit Großbritannien das Partnerland) und am Gründungstag, dem 18. August, ihren Abschluß finden werden.

Auch bei den Veranstaltern selbst, die Ende August 1987 in Deutsche Messe AG umfirmierten, dürften die Champagnerkorken knallen. Denn das 50 Jahre alte Unternehmen kann nicht nur auf abwechslungsreiche Jahrzehnte zurückblicken, sondern ist nach eigenem Bekunden mittlerweile auch die weltweit größte Messegesellschaft. Rund 50 Ausstellungen finden jedes Jahr am Messeplatz Hannover statt, davon allein fünf der weltweit größten Investitionsgüterschauen, wie die Deutsche Messe AG betont.

Im abgelaufenen Geschäftsjahr 1996 erzielte sie einen Rekordumsatz von 407 Millionen Mark und einen Ertrag von sechs Millionen Mark - trotz hoher Investitionen in den Neu- und Umbau von Hallen und in die Optimierung des Ausstellungsgeländes für die Ausrichtung der Expo 2000. Schon für 1997 erwarten die Hannoveraner neue finanzielle Höchstmarken. Und nach der Expo, so frohlockte Hubert Lange vor einigen Monaten, werde man das beste Messegelände mit der besten Verkehrsanbindung haben.

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50 Jahre Hannover-Messe. Aus einem Flohmarkt zur Exportförderung sind gut 50 Spezialausstellungen entstanden, darunter fünf der weltgrößten Investitionsgütermessen. Ihr Veranstalter hat also allen Grund zu feiern - auch sich selbst, nämlich als ebenfalls weltgrößte Messegesellschaft. An die Probleme der 60er Jahre denkt kaum einer zurück, schon gar nicht an die ernste Krise in den 70ern. Seit Jahren melden die Ausstellungsprofis an der Leine immer neue Höchstmarken, was Ausstellungsfläche, Besucherzahlen, Umsätze und Gewinne anbetrifft.

*Beate Kneuse ist freie Journalistin in Stuttgart.