DV-Standort Deutschland/Ein Blick auf mittelständische IT-Unternehmen in Nordrhein-Westfalen

Mit Allianzen und Netzwerken Strategiedefizite ausgleichen

14.03.1997

In NRW leben über 17,68 Millionen Menschen. 49 Hochschulen gibt es. In dem bevölkerungsreichsten Bundesland wird von 3114 IT-Unternehmen mit einem Personalbestand von zirka 35000 Beschäftigten ein Gesamtumsatz von etwa 12 Milliarden Mark erwirtschaftet. Damit repräsentiert die IT-Branche ein beachtliches ökonomisches und technologisches Potential für das dichtbesiedelte und industriereiche Land.

Hierzu haben eindeutig der Strukturwandel im Ruhrgebiet und die Errichtung zahlreicher Technologiezentren beigetragen. Allein die Städte Aachen, Bonn, Dortmund, Essen, Herne, Herzogenrath und Köln bieten mit 745 Unternehmen 13820 Arbeitsplätze. Nicht alle diese Firmen sind der IT-Branche direkt zuzuordnen, doch ihr überwiegender Teil. Folgt man der Studie des Kölner Wirtschaftsgeografen Rolf Sternberg, so stellen diese Zusammenschlüsse derzeit keine international schlagkräftige Technologieregion. Innovative Vielfalt wird erkennbar, doch keine gebündelte Kompetenz und schon gar keine internationale Wettbewerbsfähigkeit. Sie agieren immer noch zu sehr - wie viele andere mittelständische IT-Firmen auch - als Einzelunternehmen.

Betrachtet man zunächst die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit der hier angesprochenen IT-Anbieter, so schneiden sie unter nationalem beziehungsweise regionalem Blickwinkel betrachtet gar nicht so schlecht ab. Schließlich stehen exzellente Fachleute zur Verfügung. Die Ballungszentren in NRW bilden ein erhebliches Marktpotential vor Ort und mit einer hohen Präsenz an F&E-Aktivitäten, Universitäten und Hochschulen bieten sich für diese Unternehmen gute Möglichkeiten zum Know-how-Transfer und zur Rekrutierung neuer Mitarbeiter.

Der Vergleich zu vielen anderen Bundesländern fällt recht positiv aus, insbesondere für die Unternehmen aus der Telekommunikationsbranche. Doch kann man nicht darüber hinwegsehen, daß die meisten mittelständischen Häuser nur über eine geringe Finanzkraft verfügen und - offenbar damit zusammenhängend - deren Marketing-Aktivitäten mehr schlecht als recht ausfallen. Der von fast allen beklagte geringe Bekanntheitsgrad ist nicht weiter verwunderlich. Nur wenige leisten sich "kostenverursachendes" Stabspersonal, welches sich fortlaufend mit "zukunftsorientierter Unternehmensführung" beschäftigt.

Die Existenz vieler Betriebe hängt davon ab, früh genug die richtigen Fragen zu stellen: Welche Technologien kommen in Zukunft wirklich zum Einsatz, wo liegt der Markt mittelfristig, wie können sich Unternehmen im Hinblick auf Know-how, Produkte und Dienstleistungen langfristig im Wettbewerb behaupten? Es wäre also sehr wichtig, sich mit neuen Technologien wie Internet und Multimedia vertraut zu machen - auch wenn sich teilweise für den ein oder anderen der professionelle Markt in Nordrhein-Westfalen noch nicht so recht zu erschließen scheint. Aber Schlagworte wie "Offene Systeme" oder "Workgroup Computing" sind in der schnellebigen IT-Welt schon fast ein alter Hut. Wer nicht objektorientiert und Client-Server-gerecht seine Dienste und Produkte anbietet beziehungsweise daran orientiert, hat schlechte Karten.

Die Bedeutung der Internet-Technologie für die Entwicklung der Unternehmen wird häufig noch verkannt. Nicht aus Ignoranz oder wegen der Kompliziertheit der Materie, sondern ganz einfach aufgrund der geringen Vorstellungskraft, was die Vielfalt des Einsatzpotentials angeht.

Softwarepartner in Indien und Osteuropa

Noch beschränkt sich die Einschätzung auf eine erhöhte, weltweit verfügbare Informationspräsenz, auf die Selektion und den Abruf von Daten. Doch verfolgt man aufmerksam die Medien, so ist zu beobachten, daß Internet- und Intranet-Lösungen bereits Einzug in die Netzwerk-Installationen größerer Unternehmensorganisationen halten. Und in schätzungsweise zwei Jahren werden auch in Nordrhein-Westfalen die Electronic-Commerce-Anwendungen boomen.

Neben mangelndem Eigenkapital und fehlender wirksamer Marketing-Strategien machen große Standard-Software-Anbieter den ebenfalls auf diese Produkte ausgerichteten kleineren Anbietern das Leben schwer. Bei den Wettbewerbern handelt es sich oftmals auch um US-amerikanische Software-Unternehmen. Die mehr im Projektgeschäft agierenden Häuser spüren deutlich den Konkurrenzdruck der preiswerter produzierenden osteuropäischen Software-Entwickler.

Dem härteren Wettbewerb begegnen die Unternehmen der Region mit unterschiedlichen Strategien. In erster Linie spezialisiert man sich auf bestimmte Problemstellungen, sucht nach Nischen beziehungsweise neuen Marktsegmenten oder nach Alleinstellungsmerkmalen und -leistungen. Aber in einem Punkt verhalten sich die meisten mittelständischen IT-Unternehmen gleich: Sie zeigen sich kooperationsbereit.

Strategische Allianzen bieten sich an. Zahlreiche Unternehmen der gleichen oder auch anderer Branchen agieren gemeinsam, um durch eine Bündelung aller spezifischen Qualifikationen ihre Marktposition zu stabilisieren oder auszubauen. Darüber hinaus dienen diese Kooperationen auch dazu, einerseits fehlende Technikinvestitionen oder eine weitergehende Spezialisierung zu kompensieren und andererseits Outsourcing von bisher selbst angebotenen Leistungen auf die Partner zu übertragen.

Einige Unternehmen schließen sich vornehmlich auf dem Sektor der Software-Entwicklung mit Partnern aus dem osteuropäischen Raum oder aus Indien zusammen, um so ihre Produkte kostengünstiger anbieten zu können. Andere suchen nach deutschen und ausländischen Vertriebspartnern, um wettbewerbsfähig zu sein. Daher streben diese Unternehmen die Kooperation mit Marktführern und Schlüsselunternehmen auf nationaler und internationaler Ebene an.

Ohne Kooperationen mittelfristig chancenlos

Die Vorteile von Kooperationen sind offenkundig. So verfügen die Unternehmen über mehr Kompetenz in bezug auf Know-how, Produktspektrum und Serviceleistungen. Hinzu kommen gemeinsame Marketing- und Vertriebsstrategien sowie durchgängige Lösungskonzepte, so daß sich diese Unternehmen gegenüber den Anwendern attraktiver darstellen. Als beispielhaft können die - auch über die Landesgrenzen hinaus bekannten Kooperationen - Software-Hanse Dortmund und Software-Hanse Köln bezeichnet werden.

Doch neben all diesen Vorteilen gibt es auch Risiken. Ist ein Partner wesentlich stärker als der andere, kann der Know-how-Transfer einseitig verlaufen. Ferner entwickeln starke Partner bei strategischem Interesse auch Übernahmegebaren; nicht selten sind in strategischen Allianzen von nur zwei Partnern Übernahmen, teilweise auch feindliche programmiert.

Vor allem IT-Anbieter mit Standardlösungen beabsichtigen, sich international zu betätigen. Sie suchen geeignete Partner mit dem nötigen Know-how, um ihre Produktpalette zu erweitern beziehungsweise zu spezialisieren. Aber um eine derartige Globalisierung auch konsequent betreiben zu können, muß das Unternehmen eine gewisse Größenordnung haben und über interne Strukturen verfügen.

Die Chancen regionaler IT-Unternehmen in Deutschland, Westeuropa und Nordamerika werden durchweg als gut bis mittelmäßig eingeschätzt. Doch die Prognosen zur Marktentwicklung in Osteuropa oder Südostasien gehen weit auseinander, da sie vom speziellen Leistungsspektrum der Anbieter abhängen. So bringen Softwarehäuser, deren Schwerpunkt im Projektgeschäft liegt, den Märkten im Osten und in Südostasien wenig Interesse entgegen. Sie stufen diesen Markt als schlecht, bisweilen sogar als sehr schlecht ein. Positiv bewerten ihn dagegen Unternehmen, die auf dem Sektor der technischen Software beziehungsweise Automatisierungs-Software und im Telekommunikationsbereich tätig sind.

Grundsätzlich können IT-Unternehmen Leistungen unabhängig vom Standort erbringen, da in der Regel auch der Kunden- und Absatzmarkt nicht an den Standort dieser Unternehmen gebunden ist. Dennoch ist die Wahl von hoher Bedeutung, einerseits wegen der Nähe zu Universitäten, Forschungs- und Ausbildungsinstitutionen, zum anderen aus Kooperationsgründen und angesichts entstehender Kompetenzzentren. Auch müssen die Vorteile verkehrstechnischer Anbindungen und die konkreten Angebote hinsichtlich Förder- und Unterstützungsmaßnahmen vor Ort berücksichtigt werden. So bestehen in Nordrhein-Westfalen gute Möglichkeiten, Informationsdefizite abzubauen und Unterstützung von seiten des Landes, der Kommunen, der Wirtschaftsförderungsämter oder der Industrie- und Handelskammern zu erhalten.

Die im letzten Jahr erstellte Studie "Handlungskonzept zur Profilierung des Standorts Dortmund für die Medien- und Kommunikationswirtschaft" verdeutlicht, wie wichtig und nützlich ein elektronisches Informationssystem ist. So kann mit den vorhandenen und zukünftigen Möglichkeiten der Telekommunikation direkt oder indirekt der notwendige Informationsfluß in Gang gesetzt werden. Ein Online-Informationsdienst über aktuelle Förderprogramme des jeweiligen Wirtschaftsraumes, des Landes, Bundes oder der EU könnte beispielsweise auch kleinen oder jungen Unternehmen den Einstieg in den Förderdschungel erleichtern. Ferner würden auch die Entscheidungsstrukturen bei den politisch Verantwortlichen transparenter gemacht und Randbezirke des Wirtschaftsraums stärker in die innerstädtischen Prozesse eingebunden.

Die IHKs sensibilisieren den Mittelstand

Wie die Analyse der Stärken und Schwächen zeigt, sind schneller Datenaustausch und Kooperation unter den Unternehmen nicht nur wichtige Faktoren, um deren Marktposition zu stärken, sondern es lassen sich auch Kosten reduzieren, Arbeitsabläufe wesentlich vereinfachen und beschleunigen. Basis für eine schnelle und kostengünstige Datenkommunikation ist der zügige Ausbau der vorhandenen Netz- und Kommunikationsinfrastruktur. Für die IT-Branche sind besonders die Transaktionsdienste und Telekooperationen von Bedeutung. Dadurch könnten zum Beispiel mehrere vernetzte Partner an einem Projekt arbeiten. Softwareprogramme ließen sich über das Netz aktualisieren beziehungsweise installieren. Ein Support könnte durch den Anbieter mit Hilfe von Transaktionsdiensten erfolgen, Anreisen zum Kunden würden überflüssig.

Vorstellbar wäre auch eine Vernetzung kommunaler Einrichtungen, Forschungsinstitute und Unternehmen, etwa nach dem Muster der westfälischen Software-Hanse, in der sich die sechs größten Dortmunder Unternehmen des Software- und Telekommunikationsbereichs zusammengeschlossen haben, um gemeinsame Projekte zu realisieren. Eine Unterstützung solch vernetzter Allianzen und die Publikation ihrer Aktivitäten ermöglichen Akquisition und vermitteln potentiellen Auftraggebern Kompetenz. Durch das Internet können Interessenten überregional, ja sogar weltweit, Kontakt aufnehmen, Informationen, Referenzen und das Leistungsspektrum problemlos abrufen. Einer Geschäftsanbahnung steht nichts im Wege.

Einen nicht unwesentlichen Beitrag leisten auch regionale Foren, beispielsweise die zuständigen Industrie- und Handelskammern. Sie sensibilisieren mittelständische Unternehmen auf bestimmte Themen oder planen mit ihnen gemeinsame Projekte. Die IHK-Angebotspalette reicht noch wesentlich weiter: angefangen von der Unterstützung bei der Erschließung regionaler Märkte, der Suche nach geeigneten Kooperationspartnern bis hin zu Hilfen bei Mitarbeiterqualifizierung, Qualitätsmanagement, Zertifizierung und Messeaktivitäten. Außerdem werden vielerorts Veranstaltungen zu aktuellen Themen wie EURO, Auswirkungen der Europäischen Union, Unternehmensförderung angeboten.

Das Online-Informations- und Serviceangebot der IHK Dortmund entwickelt sich immer mehr zu einem Zentrum regionaler Vernetzung von Unternehmen, Kommunen und wissenschaftlichen Instituten. Wer das IHK-Internetprogramm http://www.ihk.de/dortmund anwählt, hat von hier aus direkten Zugang zu inzwischen 40 anderen regionalen Programmen. Erklärtes Ziel ist es, in Kürze ein dichtes Netz elektronisch verknüpfter Spezialinformationen anzubieten, das auch für das Standort-Marketing wichtig ist. Damit entwickeln sich die Industrie- und Handelskammern zu Informationsbrokern und finden neue Anerkennung.

Zurück zur Situation mittelständischer IT-Unternehmen: Zentrale Aufgabe ist es, daß wichtige Schlüsselunternehmen, die der gleichen Branche angehören oder auf ähnlichen Gebieten arbeiten, Kooperationen auf regionaler Ebene beginnen. Sofern dies nicht aus eigenen Wünschen bereits geschehen ist, lassen sich Unternehmen durch entsprechende Moderation und Förderung in den strukturellen Umwandlungsprozeß einbinden. Alle Beteiligten - Politiker, Kommunen, Verbände und insbesondere IT-Unternehmen - sind gefordert, geeignete Strategien zu konzipieren, damit optimale Synergien zu Erfolg und Wettbewerbsfähigkeit führen.

Angeklickt

Der Industriestandort Nordrhein-Westfalen hat viel in seine IT-Struktur und High-Tech-Industrie investiert. Zahlreiche Technologiezentren haben erfolgreich Vorarbeit geleistet. Dennoch muß die Internationalisierung der kleinen und mittleren IT-Anbieter forciert werden, sollen sie auch im regionalen Markt stark bleiben. Strategische Allianzen im In- und Ausland bieten sich an. Informationsdienste und Netzwerke lassen sich regional und überregional für gemeinsame Aktivitäten nutzen.

Dr. Winfried Materna ist Präsident der IHK Dortmund und geschäftsführender Gesellschafter der Dr. Materna GmbH in Dortmund.