Mit 802.11n zum Turbo-WLAN

26.01.2009
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Fast-Ethernet-Geschwindigkeit im Funknetz? Mit der 802.11n-WLAN-Generation wird dieser Wunsch Realität.

Für die einen ist es mittlerweile ein "Running Gag", für die anderen ein Trauerspiel: Die Frage, wann denn nun endlich der WLAN-Standard 802.11n verabschiedet wird. Seit rund drei Jahren findet im Vorfeld der CeBIT das gleiche Spiel statt: Die Branche verspricht den Standard zum Jahresende - auch 2009.

Warum so viele so ungeduldig auf den neuen Standard warten, ist einfach: Mit 802.11n werden im Funknetz endlich Nettodatenraten erreicht, wie sie bislang im kabelgebundenen Fast Ethernet (um die 95 Mbit/s) üblich waren.

Weniger Störungen

Zudem verspricht die verbesserte Sende- und Empfangstechnik einen WLAN-Betrieb mit weniger Störungen. Gleichzeitig funkt die 802.11n-Technik sowohl im 2,4 als auch im 5-Gigahertz-Band, womit der Anwender flexibler ist. So kann er etwa den überfüllten 2,4-Gigahertz-Bereich - hier funken neben den WLANs etwa Mikrowellen und Dect-Telefone - meiden und auf das weniger frequentierte 5-Gigahertz-Band ausweichen. Oder er baut mit 802.11n zwei getrennte Funknetze auf, wobei eines für Gäste und das andere für die eigenen Mitarbeiter ist.

Angesichts dieser Vorteile verwundert es nicht weiter, dass Hersteller nicht auf den endgültigen IEEE-Standard warten, sondern bereits heute entsprechendes Equipment auf den Markt bringen. Das Angebot reicht dabei vom klassischen Thin oder Thick Access Point - landläufig auch vereinfacht als dumm oder intelligent bezeichnet - über WLAN-DSL-Router, Wireless Bridges etwa für Spielekonsolen, Repeater oder Multimedia-Boxen bis hin zum Streamen von HD-Content. Und Handys, die mit dem schnellen WLAN-Standard 802.11n funken, verspricht der amerikanische Chiphersteller Broadcom. Das Unternehmen hat einen WLAN-Chip vorgestellt, der 50 Megabit pro Sekunde empfangen und senden kann und genauso energiesparend ist wie seine 802.11g-Vorgänger. Die Serienproduktion soll noch 2009 anlaufen.

Das bringt 802.11n

  • Geschwindigkeiten wie im Fast-Ethernet-LAN,

  • besserer Empfang durch MIMO,

  • kommt mit ungünstigen Umgebungen besser zurecht,

  • mehr Flexibilität durch Nutzung des 2,4- und 5-Gigahertz-Bandes,

  • Eignung für Multimedia-Anwendungen,

  • stabilere Funkabdeckung benötigt weniger Access Points.

Die Produktvielfalt kann jedoch über eines nicht hinwegtäuschen: Die entsprechende IEEE-Norm 802.11n, in der die technischen Feinheiten für die schnellen WLANs definiert werden, befindet sich immer noch im Entwurfsstadium - neudeutsch Draft. Derzeit kommt in den Produkten meist der Draft 2.0 zum Einsatz.

Streit um den Standard

Bei den verschiedenen Entwicklungsstufen, so die offizielle Lesart der Hersteller, geht es weniger darum, neue Geschwindigkeitsdimensionen zu erschließen, als vielmehr um Feinarbeit an der technischen Basis zur Verbesserung der Interoperabilität. Böse Zungen behaupten allerdings was anderes: Mit kleinen Änderungsvorschlägen, die nicht per einfaches Firmware-Upgrade zu realisieren wären, versuche der eine oder andere Hersteller, seine Konkurrenten in der IEEE-Arbeitsgruppe auszubremsen. Alle Anbieter beteuern nämlich, dass sich die heute verkauften 802.11n-Produkte nach dem Draft 2.0 später problemlos auf den endgültigen Standard aufrüsten lassen. Hierzu sei lediglich ein Firmware-Upgrade erforderlich.

Worauf bei der Migration zu achten ist

Ältere MIMO-Geräte können 802.11n ausbremsen.

Die neue Funktechnik wartet mit einer anderen Ausleuchtungscharakteristik auf.

Neues Modulationsverfahren kann zur Verknappung der verfügbaren Kanäle im 2,4-Gigahertz-Band führen.

Störungen im 2,4-Gigahertz-Band können das schnelle WLAN ausbremsen.

Prüfen Sie den Aufbau eines separaten 802.11n-WLAN im 5-Gigahertz-Band, um die Leistung voll auszuschöpfen.

Achten Sie bei der Anschaffung neuer Notebooks darauf, dass diese 802.11n auch im 5-Gigahertz-Bereich unterstützen.

Mit 802.11n steigt der Datendurchsatz auf das Zehnfache - verkraften die WLAN-Switches diesen Verkehrszuwachs?

Mit 802.11n deutet sich ein Paradigmenwechsel an. Zentrale WLAN-Intelligenz wird wieder nach außen verlagert.

Die schnellen Access Points erfordern eine Gigabit-Ethernet-Verkabelung im Backbone.

Beherrschen vorhandene Gigabit-Ethernet-Switches Power over Ethernet? Sonst benötigen die Access Points eine eigene Stromversorgung.

Liefert meine Power-over-Ethernet-Implementierung genügend Strom, um den Bedarf der 802.11n-Access-Points zu decken?

Auf den ersten Blick klingen die Erklärungen einleuchtend. Doch es gibt noch einen anderen Grund, warum sich die IT-Industrie nicht schneller auf einen finalen Standard einigen kann. Die Hersteller streiten sich darüber, welche Frequenzbänder 802.11n-Equipment unterstützen muss. Einige sind der Meinung, ein Gerät müsse nur ein Frequenzband unterstützen, während andere finden, ein 802.11n-Produkt müsse sowohl den 2,4- (hier funken 802.11b/g) als auch den 5-Gigahertz-Bereich (genutzt von 802.11a) beherrschen. In der zweiten Gruppe gibt es darüber hinaus zwei Interpretationsansätze: Für die einen funkt ein "echtes" 802.11n-Device in beiden Frequenzbändern gleichzeitig (concurrent). Andere dagegen halten es lediglich für erforderlich, dass der Benutzer am Endgerät zwischen 2,4 und 5 Gigahertz wählen kann, das Gerät also "switchable" ist.

Der Leidtragende dieses Verwirrspiels ist der Anwender: Er muss beim Kauf höllisch aufpassen, denn für alle drei Interpretationsarten finden sich Produkte im Handel. Und bei manchem Dual-Band-Gerät ist ein Blick ins Datenblatt nötig, um zu erkennen, ob es sich um eine switchable oder concurrent Version handelt. Zumindest im professionellen Bereich kann teilweise Entwarnung gegeben werden: Hier werden in der Regel beide Frequenzbänder unterstützt, so dass die Rosstäuscher-Tricks eher im Consumer-Segment zu finden sind.

Geschwindigkeitsfragen

Diese feinen Unterschiede sind für den Anwender unter den Aspekten Störanfälligkeit und Geschwindigkeit relevant. Vor allem User, die Wert auf ein stabiles Funknetz legen, sollten unbedingt zu einem Gerät greifen, das auch das 5-Gigahertz-Band unterstützt. Dieser Frequenzbereich ist hierzulande nicht so überfüllt wie das 2,4-Gigahertz-Band, so dass ein reibungsloser WLAN-Einsatz eher gewährleistet ist. Das Gedränge in diesem Bereich hat eventuell noch eine andere Konsequenz: Um die Rückwärtskompatibilität zu Funknetzen nach dem b- und g-Standard zu gewährleisten, dürfen die 802.11n-Netze eventuell nur 20-Megahertz-Kanäle verwenden, was ihre Transferrate auf 150 Mbit/s beschränken würde. Die vollen 300 Mbit/s wären dann nur im 5-Gigahertz-Frequenzbereich garantiert. Das letzte Wort ist hier aber in Sachen Standardisierung noch nicht gesprochen. Besitzt der User ein Dualband-fähiges Gerät, das zudem den Concurrent-Modus beherrscht, dann sind auf dem Papier sogar Transferraten von bis zu 600 Mbit/s realisierbar, wenn sich die Übertragungsraten aus dem 2,4- und 5-Gigahertz-Band addieren. Entsprechende Modelle können für den Anwender noch aus einem anderen Grund interessant sein. Auf diese Weise lassen sich etwa alte 802.11b- und g-Netze sowie 802.11n-WLANs physikalisch trennen.

Allerdings sollten sich potenzielle 802.11n-Nutzer von den Geschwindigkeitswerten nicht täuschen lassen. Sie spiegeln lediglich die Bruttogeschwindigkeiten wider, die unter günstigen Bedingungen zu erreichen sind. Ein weit verbreiteter Trugschluss ist, dass die 802.11n-Netze von Haus aus eine bessere Quality of Service (QoS) als die Vorgängergenerationen offerieren würde. Sie sind nicht automatisch besser für Anwendungen wie Voice over WLAN geeignet. Applikationen wie diese profitieren lediglich von den höheren Transferraten.

Eine Erklärung dafür, warum sich das Gerücht einer höheren QoS in Verbindung mit 802.11n hartnäckig hält, könnte darin liegen, dass die Technik mit einer besseren Funkausleuchtung aufwartet. Bei gleicher auszuleuchtender Fläche, so eine Faustregel, werden bei 802.11n rund 25 Prozent weniger Access Points benötigt als bei einem Funknetz mit klassischer g-Technik.

Weniger Access Points

Allerdings ist es mit einer einfachen Installation der neuen Access Points am Platz der alten nicht getan. Um die Vorteile in der Praxis zu realisieren, ist eine genaue Analyse der räumlichen Gegebenheiten und ihrer Auswirkungen auf die Funkverbreitung dringend ratsam. Die Funkwellen erreichen einen Empfänger nämlich nicht nur auf einem direkten Weg, sondern per Reflexion auf mehreren Wegen, wodurch sich die Bitfehlerhäufigkeit reduziert. In Tests werden deshalb für 802.11n teilweise enttäuschende Transferraten gemessen, wenn die Geräte lediglich mit direktem Sichtkontakt aufgestellt werden. Um ihre volle Geschwindigkeit auszuspielen, sind sie jedoch auf brauchbare Reflexionen angewiesen.

802.11n in der Praxis

Eines der bundesweit größten akademischen Funknetze mit 802.11n-Technik betreibt die Freie Universität Berlin. Dabei hatten die Akademiker mit einer Besonderheit zu kämpfen: der so genannten Rostlaube. So nennen Studenten und Professoren salopp ein Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft zur Philologischen Bibliothek. Der imposante Kuppelbau von Stararchitekt Norman Foster ist eines der Wahrzeichen auf dem Campus der Freien Universität Berlin in Dahlem. Er wird nach seinem Schöpfer das "Foster-Brain" genannt. Die aus den 60er Jahren stammende Rostlaube hingegen verdankt ihren Namen der rotbraun korrodierten Eisenfassade - die aus konservatorischen Gründen an der Außenseite durch Bronze ersetzt wurde.

Auch die Innenwände der Rostlaube sind praktisch ohne Stein oder Beton fast ganz aus Eisen errichtet. "An Handy-Empfang und Wireless LAN dachten die Architekten damals noch nicht", sagt Rainer Ronke, Leiter des Bereichs Network & Communications am Hochschulrechenzentrum Zedat der Freien Universität Berlin. Dementsprechend bereitete der Gedanke an eine "drahtlose Verkabelung" der eisernen Rostlaube Ronke einiges Kopfzerbrechen: "Das Metall der Wände verursacht extreme Reflexionen. Eine Lösung schien nicht in Sicht." Dies änderte sich erst mit der Verfügbarkeit von Access Points, die den De-facto-Standard IEEE 802.11n beherrschen und über mehrere Antennen gleichzeitig senden und empfangen. "Mit drei Antennen ist ohne Kanalbündelung eine maximale Übertragungsgeschwindigkeit von bis zu 150 Mbit/s möglich", erläutert Ronke, der sich für Access Points der Cisco-Reihe Aironet 1252 entschied.

Pläne

Funktechnische Messungen in der Rostlaube zeigten noch einen weiteren Vorteil der neuen Technik. Die 802.11n- Funkzellen sind nicht unbedingt größer als bei den anderen Vertretern der WLAN-Standardfamilie. Dafür ist ihre Signalstärke bis an den Zellenrand nahezu konstant. "Damit haben wir überall gleichmäßig stabile Bandbreiten", führt Ronke aus. Außerdem können benachbarte Zellen dank flexibler Kanalauswahl über jeweils verschiedene Kanäle senden und empfangen. Überzeugt von der Stabilität des Funknetzes, denken die Netzverantwortlichen bereits an den nächsten Ausbauschritt: die Einführung von Voice over Wireless LAN.

Verantwortlich für diesen Effekt ist die MIMO-Technik (Multiple Input, Multiple Output), die ein fester Bestandteil der 802.11n-Spezifikation ist. Um zu verhindern, dass die Vorteile der angesprochenen Mehrwegeausbreitung durch destruktive Interferenzen zunichtegemacht werden, sieht der Standard mehrere Antennen vor.

Unwägbarkeiten gibt es bei einer Umstellung auf 802.11n jedoch nicht nur auf der Funkseite. Sowohl im professionellen als auch im privaten Umfeld ist es mit der Investition in das Wireless-Equipment nicht getan - meist ist auch ein Umbau des Backbone erforderlich. Bereits ein einfacher Zahlenvergleich verdeutlicht das Problem: Mit Nutzdatenraten von 100 bis 150 Mbit/s reizen die 802.11n-Access-Points schnell die Kapazität der weit verbreiteten Fast-Ethernet-Strukturen aus.

Problemfall Stromversorgung

Diese bewältigen unter Laborbedingungen bis zu 95 Mbit/s, in der Praxis sind um die 70 Mbit/s realistisch. Will der Anwender die Funktechnik ausreizen, dann muss er auf Gigabit Ethernet aufrüsten.

Eine andere Überraschung wartet auf den User in Sachen Energieversorgung. Gerade im professionellen Umfeld hat sich die Versorgung der WLAN Access Points per Power over Ethernet eingebürgert, da hier nicht so strenge Vorschriften einzuhalten sind wie beim Verlegen elektrischer Leitungen. Die kostensparende Energieversorgung per LAN hat jedoch einen Haken: Im Standard 802.3af ist lediglich eine maximale Leistungsaufnahme von 15,4 Watt definiert. Für das Gros der 802.11n-Access-Point ist dies zu wenig.

Noch eine versteckte Kostenfalle wartet bei der Umstellung auf 802.11n auf Anwender, die ihre Funknetze als WLAN-Switching-Infrastruktur verwirklicht haben. Konnte ein Gerät beispielsweise in einem 802.11g-Netz noch zehn Funkknoten steuern, so bewältigt es eventuell nur noch zwei 802.11n-Access-Points. Hier ist also vor einer Migration genau zu prüfen, ob die eingesetzten Controller für die neue Technik fit sind. Eventuell empfiehlt sich aber auch ein anderer Migrationspfad: Unified Access Points können auch als Fat Access Points ohne zentrale Switching-Infrastruktur eingesetzt werden, so dass die Anschaffung neuer Controller entfällt, da Administration und Konfiguration direkt im Funkknoten erfolgen. Ist später die 802.11n-Infrastruktur groß genug, dass unter Verwaltungsaspekten ein Umstieg auf das Switching geboten ist, können diese Funkknoten per Firmware-Upgrade in Thin Access Points umgewandelt werden.

Fazit

Mit 802.11n steht nun endlich eine Funktechnik zur Verfügung, die leistungsmäßig auf einer Ebene mit Fast Ethernet ist. Ob damit alle kabelgebundenen Netze überflüssig sind, wie einige Analysten überschwänglich meinen, mag dahingestellt sein. Bei aller Faszination für die neue Technik und ihre Verbesserungen sollte eines nicht vergessen werden: Auch 802.11n kann nicht die Gesetze der Physik aushebeln. Mit Störungen durch andere Funkquellen ist also immer zu rechnen. Und das Medium Funk, dessen Verteilung nie hundertprozentig kontrolliert werden kann, erfordert einen höheren Sicherheitsaufwand als ein abgeschirmtes Kupferkabel oder gar eine Glasfaser.