Mit 50 ab zum alten Eisen?

19.05.2008
Die demografische Entwicklung zwingt eine junge Branche, sich dem Thema Alter zu stellen.

Landauf, landab wird darüber diskutiert - und nicht erst seit gestern: Eine alternde Gesellschaft erfordert auch eine veränderte Beschäftigungspolitik. Der viel gesuchte jung-dynamische Nachwuchs mit dem Spezialistenwissen und dem akademischen Abschluss wird heftig umworben, aber längst nicht immer gefunden. "Wir können es uns nicht mehr leisten, das Potenzial der älteren Mitarbeiter weiterhin zu vernachlässigen", appelliert Karl-Heinz Hageni vom Kompetenzzentrum IT Bildungsnetzwerke (Kibnet). "Deutschland droht einerseits der Fachkräftemangel in der IT-Branche, aber auf 53 offene Stellen kommen 100 Bewerber", so Hageni. "Oft ist es so, dass in Stellenanzeigen immer noch eher Angaben zum Höchstalter formuliert werden statt zum Mindestalter", kritisiert er und fragt: "Wird die IT-Branche zum Opfer ihres eigenen Jugendkults?"

Demografie-Initiativen

Das demografische Netzwerk (ddn) ist eine Initiative von bundesweit rund hundert Unternehmen und Organisationen, die angetreten sind, den demografischen Wandel zur Chefsache zu machen. Um ihre Forderungen in die Praxis umzusetzen, haben sie sich zehn Regeln gegeben und sich verpflichtet, ihre Personal- und Beschäftigungspolitik daran auszurichten. Diese Regeln besagen unter anderem, dass "eine wertschätzende Führung dafür Sorge trägt, dass unterschiedliche Mitarbeitergruppen und Generationen produktiv und respektvoll zusammenarbeiten". Oder dass die Unternehmen für eine "nicht diskriminierende, alters-, geschlechts- und herkunftsneutrale Personalauswahl, Personalgewinnung und Personalentwicklung eintreten"

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Mature@eu ist ein Projekt, das in zehn europäischen Ländern bis Ende Juli 2008 läuft. Ziel ist es, eine E-Learning-Plattform aufzubauen, die Personalverantwortliche in Fragen des demografischen Wandels unterstützt. Mature@eu konzentriert sich auf Unternehmen der IT-Branche als Pilotsektor und bietet Schulungs- und Informationsmodule, die dabei helfen sollen, eine altersgerechte Einstellungspolitik zu verfolgen und die "Altersdiskriminierung" zu beseitigen.

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welche Vorbehalte Unternehmen gegenüber älteren Bewerbern vorbringen; wie mittelständische Betriebe beispielhaft mit dem demografischen Wandel umgehen; womit Ältere in Betrieben punkten können.

Wenig Interesse bei Chefs

Im Jahr 2002 gehörten noch rund ein Drittel aller Beschäftigten in der IT zu der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen und etwas mehr als ein Drittel in die Gruppe der 35- bis 44-Jährigen. Nur 17,1 Prozent waren 45 bis 54 Jahre alt und nur ganze 5,4 Prozent 55 bis 64 Jahre. Langsam aber sicher ändert sich das: Im Jahr 2006 waren schon rund 22 Prozent der Mitarbeiter zwischen 45 und 54 Jahre alt und rund sieben Prozent noch älter. Aber fast die Hälfte aller arbeitslosen IT-Fachkräfte ist nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit älter als 45 Jahre - eine deutliche Schieflage. Und es gibt noch immer weniger Programme für eine systematische Fachkräfteentwicklung für Beschäftigte über 35 als Ausstiegshilfen und "Frühverrentungsprogramme".

"Das Wissen über die demografischen Tatsachen ist wohl da, aber die Erkenntnis wird nicht in Taten umgesetzt", sagt Sigmund Dawidowicz, Verfasser einer Capgemini-Studie zum Thema demografischer Wandel aus dem Jahr 2007. Untersucht hat Dawidowicz rund 50 Unternehmen von Automotive über Banken, Medien- bis hin zu Telekommunikationsfirmen. Das Thema sei zwar den Personalabteilungen gut bekannt, aber nicht den Unternehmenslenkern, so Dawidowicz. Die Konsequenz: In rund der Hälfte der befragten Firmen ist so gut wie keine oder sehr wenig Bereitschaft vorhanden, Beschäftigte über 50 Jahren einzustellen. Nach den Voraussetzungen befragt, die erfüllt sein müssten, damit Unternehmen ihre Vorbehalte aufgeben, nannte die große Mehrheit zwei Punkte:

- gelockerte Kündigungsbestimmungen und

- mehr Flexibilität und Mobilität der älteren Beschäftigten.

Arbeitgeber sind dennoch bereit, die Situation differenziert zu beurteilen: "Jemand ist nicht mobiler oder flexibler, nur weil er älter oder jünger ist", kommentiert Angelika Wolf, Prokuristin und Leiterin Support Center bei der FIS ASP GmbH im unterfränkischen Grafenrheinfeld. "Flexibilität ist vor allem eine Frage der persönlichen Einstellung." Wolf weiß, wovon sie redet, denn unter den 40 Spezialisten des Unternehmens, die hier SAP-Systeme am Laufen halten, sind sieben Kollegen, also rund 15 Prozent, über 50 Jahre alt. Und auch in der Mutterfirma, der FIS Informationssysteme und Consulting GmbH, sind ältere Mitarbeiter keine Ausnahme. Das mittelständische Unternehmen erweitert zwar derzeit seine Belegschaft, aber dabei ist das Alter kein Kriterium: Stellenanzeigen werden grundsätzlich altersneutral ausgeschrieben. "Bei uns gibt es einen fest in der Unternehmenskultur verankerten Gleichberechtigungsgrundsatz", ergänzt Bernhard Weimann, Senior Account Manager bei FIS ASP. "Das ist kein Lippenbekenntnis, sondern wird gelebt." Bewerber, die vorher arbeitslos waren, haben hier ebenso ihre Chance wie die, die sich mit über 50 noch beruflich verändern wollen. "Bei uns zählen die fachliche Kompetenz und der menschliche Faktor", so Angelika Wolf. "Und da haben Ältere, vor allem beim Kunden, teilweise sogar einen Vorteil, weil sie aufgrund ihrer Lebenserfahrung eher akzeptiert werden."

Befristete Arbeitsverträge

Voraussetzung ist hier allerdings, dass der potenzielle Mitarbeiter seine Leistung und seinen Wert für das Unternehmen richtig einschätzt. "Wenn es zusammenpassen soll, dann müssen immer beide Seiten flexibel sein, das Unternehmen und der Bewerber", betont Weimann. Bei der FIS ASP wird generell nicht altersbezogen, sondern leistungsabhängig vergütet, und es gibt für Ältere zunächst befristete Arbeitsverträge. Vorurteile gegenüber Älteren wegen geringerer Belastbarkeit oder fehlender Lernbereitschaft? "Die können wir nicht bestätigen", sagt Prokuristin Wolf. Weiterbildung habe eine hohe Priorität und finde unabhängig vom Alter des Mitarbeiters statt. "Wir gehen nicht blauäugig, aber offen an das Thema der Beschäftigung Älterer heran", lautet ihr Fazit.

Zweigleisig fahren

Aus der Welt des unterfränkischen Mittelständlers in die Zentrale eines global tätigen Unternehmens - wie geht SAP, das in über 50 Ländern der Erde mehr als 43 000 Mitarbeiter beschäftigt, mit dem Problem Demografie um? "International gesehen liegt das Durchschnittsalter unserer Beschäftigten bei 37 Jahren, und allein in der Walldorfer Zentrale arbeiten Menschen aus 78 Nationen", sagt Heidrun Kleefeld vom "HR Program Lead Demographics". Das mache deutlich, "dass Diversity bei uns großgeschrieben wird."

Handlungsdruck beim Thema Beschäftigung "älterer Mitarbeiter" sieht das Unternehmen derzeit nicht. Dennoch gehen die Walldorfer beide Wege: Es werden ebenso globale Talentpools genutzt und gezielt Absolventen rekrutiert wie erfahrene Mitarbeiter gesucht und gebunden.

"Wachstum, Profitabilität und Innovationsfähigkeit" heißt die Unternehmensdevise. Und um das zu erreichen, gibt es eine altersunabhängige, leistungsbezogene Vergütung, ein Gesundheits-Management, Sport- und Work-Life-Management-Kurse oder Krisen- und Konfliktberatung. "All diese Angebote appellieren auch an die Eigenverantwortung des Mitarbeiters, seine Gesundheit zu erhalten und für die eigene Beschäftigungsfähigkeit zu sorgen", sagt Heidrun Kleefeld.

Aber Flexibilität hat auch mit neuen beruflichen Erfahrungen und Herausforderungen zu tun. SAP plant derzeit ein Programm für Mitarbeiter ab 45 Jahren mit langjähriger Betriebszugehörigkeit, die für einen bestimmten Prozentsatz ihrer Arbeitszeit und einen bestimmten Zeitraum in einen anderen Funktionsbereich wechseln können. "Uns geht es darum, dass neue Erfahrungen gesammelt und ausgetauscht und so Flexibilität und Mobilität erhalten bleiben", sagt Kleefeld. Was die Zukunft bringen wird? "Wir wissen es nicht, denn es gibt in dieser jungen IT-Branche und in unserem Unternehmen bislang nur wenige Erfahrungen mit älteren Mitarbeitern."

Bundesagentur hilft finanziell

Beim Bielefelder IT-Dienstleister Itelligence AG dagegen existieren nicht nur erste Erfahrungen im Umgang mit älteren Mitarbeitern, sondern auch im Umgang mit altersgemischten Teams. "Ende 2006 war unsere Auslastung so groß, dass wir unbedingt über personelle Verstärkung nachdenken mussten, wenn wir noch alle unsere Kundenaufträge erfüllen wollten", erinnert sich Dirk Blichenberg-Hansen, Geschäftsbereichsleiter Customer Development & Advanced Services. Er suchte explizit nach arbeitslosen Bewerbern über 50. "Mich hat eine damals befristet eingestellte Mitarbeiterin aus dieser Zielgruppe mit ihrem Engagement überzeugt", sagt der Itelligence-Manager. "Deshalb wollte ich auch anderen eine Chance geben." Die mögliche Förderung durch einen Eingliederungszuschuss für Ältere der Bundesagentur für Arbeit "war nicht das ausschlaggebende Kriterium. Aber es minderte unser unternehmerisches Risiko", so Blichenberg-Hansen.

Die vier eingestellten Bewerber, drei davon über 50, einer über 60 Jahre alt, bilden heute zusammen mit vier "Senior professionals", gestandenen Entwicklern, und vier angehenden Fachinformatikern, die das Unternehmen ausbildet, "altersgemischte Teams" in der Inhouse-Softwareentwicklung. "Natürlich sehen wir Unterschiede zwischen den Generationen, vor allem im Lerntempo, im Umgang mit Lernmedien und bei den Sprachkenntnissen", urteilt er. Auch war der Lernbedarf bei den älteren Kollegen höher als anfangs gedacht. "Aber Motivation und Engagement haben nichts mit dem Alter zu tun, und die eine oder andere Schwäche wird durch Stärken im persönlichen Bereich wieder ausgeglichen." (hk)