CeBIT: Pecunia non rolet

Mißmanagement kann sich keiner mehr leisten

07.05.1982

Nun ist nach anderen nicht mehr florierenden Branchen auch die Computerindustrie in die Klatschspalten gekommen. Noch vor wenigen Jahren meldeten einige Hersteller jährliche Umsatzsprünge von 40 und 50 Prozent. Goldene Jahre waren das - und heute? "Pecunia non rolet", könnte man in Abwandlung des altrömischen Steuerkommentars die Lage beschreiben.

Viele Verkaufs- und Marketingbosse der DV-Branche verzweifeln an der anhaltenden Kaufunlust ihrer Kunden. "Viele Verträge, die früher schon längst unterschriftsreif waren", so ein bekannter Vertriebschef, "liegen auf Eis. Viele Kunden schieben wichtige Orders immer wieder auf!"

Dazu kommen noch marktbedingte Umschichtungen, Personalfluktuation sowie der Druck "von unten", den die Mikroprodukte ausüben. Sie beginnen dort an den Produkterfolgen zu knabbern, von denen ein Großteil der typischen 10-MB-Plattenanlagen-Produzenten seit Jahren gut lebt.

Diese Entwicklung, zusammen mit Kaufunlust, schlägt natürlich bei der erfolgsgewohnten DV-Industrie unangenehm zu Buche. Heute ist die Ertragssituation vieler Firmen so miserabel geworden, daß sie die Häme einer speziellen Art von "Wirtschaftsjournalismus" erbarmungslos trifft.

Was dort deren Schreiber genüßlich zwischen den Zeilen höhnen, richtet sich kaum gegen Technologie und Fortschrittsglauben der Betroffenen. Vielmehr werden Fehler und Sünden angeprangert, die ausschließlich im Managementbereich liegen. Anker, Siemens, Triumph-Adler und Kienzle sind von dieser Spezies der Wirtschaftspresse bereits auf kleiner Flamme geröstet worden.

Betrachtet man die Historie dieser Unternehmen, so sind es gerade jene mit zum Teil hundertjähriger Tradition. Anscheinend verharrt das Management hier doch noch in älteren Denkweisen und Produktlinien.

Anker war vor neun Jahren das typische Beispiel des traditionsbeladenen Unternehmens, dessen Management sich nicht von mechanischen Kassen und überdimensionierten Abrechnungscomputern trennen mochte. Als man den großen Sprung in die Elektronik wagte, war es bereits zu spät.

Rote Zahlen schreiben inzwischen die Bilanzen so manch eines anderen Herstellers. Eigentlich müßten sich deren Topmanager schämen! Ihre Unternehmen, die ja immer noch zur Wachstumsindustrie zählen, hätten eindeutige Überlebenschancen. Leider werden Revirements fast immer entweder zu zaghaft oder viel zu spät eingeleitet. Hohe Fluktuation ist deshalb immer noch kein Signum für den Untergang eines Herstellers. Im Gegenteil: Sie zeigt, daß man auf dem Wege zu neuen Strategien und Plänen ist. Dagegen hilft die vielerorts angewandte Intern-Kosmetik kleinerer Positionsumbesetzungen kaum etwas. Daß die Deutschen inzwischen etwas von der amerikanischen Härte des "Feuerns" gelernt haben, zeigten die Beispiele bei AEG und Siemens.

Minusbrocken

Beispiele für schlechtes Management und nachlassendes internationales Geschäft gibt es auch im Ausland. Dickster Minusbrocken ist hier seit Jahren die britische ICL. Sie schloß das Geschäftsjahr 1981 mit einem Verlust von knapp 50 Millionen Pfund ab. Dazu kamen noch weitere Verluste durch rigorose Sparmaßnahmen, Personalentlassungen und Werkschließungen. Sie eskalierten die roten Zahlen auf 133 Millionen.

Bei uns wäre solch ein Unternehmen - AEG und Siemens ausgenommen - hoffnungslos verloren. Im Vereinigten Königreich jedoch nicht. ICL ist dort die Galionsfigur der englischen Computerflotte, ein "unsinkbares Schiff", wie ein Banker das Unternehmen bezeichnet.

Obwohl 1979 reprivatisiert, sind in den letzten Jahren rund 40 Millionen Pfund vom britischen Staat ins Unternehmen geflossen, wovon möglicherweise der größte Teil nicht zurückgezahlt werden muß. Im letzten Herbst garantierte der Staat dann eine zusätzliche Bankanleihe von 200 Millionen.

Daß es ICL nicht rosig geht, liegt ebenfalls an Management-Sünden. Die bisherigen Bosse konnten offenbar nicht die Finger davon lassen, im mittleren und gehobenen Systembereich mit IBM zu konkurrieren. Die kostspielige Entwicklung großer Systeme mit eigenen Multi-Layer-Boards traf darüber hinaus auf eine nachlassende Nachfrage nach derartigen Rechnern. Typisch englische Zugabe bei diesem britisch-sportlichen ungleichen Wettrennen: ICLs Computer sind nicht einmal mit denen des Marktführers kompatibel.

Nach recht regem Wechsel der Führungsmannschaft ist jedoch jetzt ein Duo an der Spitze, dem man einiges zutrauen darf: Christopher Laidlaw und Robb Wilmot haben mit eisernem Besen gekehrt. Es sind nicht nur Köpfe gerollt. Auch in der Produktstrategie hat man das Unterste nach oben gekehrt. Wer sich heute ICLs Systemreihe ansieht, ist angenehm überrascht. Da finden sich neben Personal Computern und Kommunikationsrechnern auch passende Fremdprodukte und Kooperationen, die sich ergänzen. Die "Splendid isolation" der ehemals auf "strictly British" dedizierten Fertigung ist im wahrsten Wortsinne international geworden. Man hat sich nicht nur mit den vielgeschmähten Amerikanern verbündet (Three Rivers Computer Corporation), auch die Japaner haben durch den Kauf des ehemaligen ICL-Großrechnerwerkes in West Gorton, Manchester, direkten Zugang zum europäischen Markt. Dort wird Fujitsu tätig werden.

Auf jeden Fall dürfte ICL aus dem Gröbsten heraus sein. Daß die Umstrukturierungswellen auch bis an deutsche Küsten gekommen sind, war zu erwarten. So mancher aus der Nürnberger Zentrale ist prophylaktisch abgesprungen, anderen wurde indirekt nachgeholfen. Zur Zeit stellt man wieder neue Vertriebsleute ein, die gute Produkte vorfinden. Ein neuer erfahrener Vertriebsboß, der unter anderen bei Nixdorf erfolgreich gedient hat, scheint jetzt die deutsche Mannschaft abgerundet zu haben.

Miesmacher

Beim Rundgang durch CeBIT stehen Produkte und deren "Vertreiber" im Mittelpunkt, die in schöner plakativer Eindeutigkeit auf die Vorteile der eigenen Systeme und Verfahren hinweisen. Dem Besucher fehlen fast immer detailliertere Informationen über Hintergründe, Stärken und Schwächen des einzelnen Unternehmens. Noch fragwürdiger sind jedoch diejenigen häufigen Jobhopper, die - je nach Firmenwechsel - uneingeschränkt das eigene Produkt hochloben, alle anderen jedoch ausnahmslos miesmachen.

Ein solches Verhalten ist nicht dazu angetan, den Anwender kauffreudiger zu machen. Darum jedoch ging es während dieser Messe vordergründig.

Geld vom Staat sollte auch weiterhin rollen. Dabei ist jedoch zu hoffen, daß zukünftige Fördermittel hierzulande mehr in Entwicklungen und Technologien fließen. Daß sie Managementlücken schließen müssen, ist ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können.

*Klaus Rosenthal ist freier EDV-Fachjournalist.