CADCAM-Systeme gibt's heute für jedermann:

Minis von oben, Mikrocomputer von unten

10.05.1985

Der Anwender steht dazwischen: Von "oben" drücken die traditionellen CAD/CAM-Anbieter aus dem Minicomputer-Bereich, von "unten" drängen kräftig die Mikrocomputer in diesen Markt. Zwar wird sich dieses Gerangel günstig auf die Preise auswirken, die so dringend geforderte Integration der Automationsinseln in das gesamte DV-Konzept wird jedoch kaum begünstigt. Was fehlt, sind sowohl hier als auch dort ausreichende standardisierte Schnittstellen. Künftige Entscheidungen, so H. Wahl*) sollten deshalb immer vom "Morgen" abhängig gemacht werden.

Die zunehmende Arbeitsteilung innerhalb eines Betriebs bringt zwangsläufig ein Anwachsen der möglichen Störungen mit sich. Als gegenläufige Kraft hierzu wirkt sich die Datenverarbeitung integrierend auf den Informationsfluß des Unternehmens aus. In den USA, dem Land mit dem stärksten DV-Einsatz, spricht man bereits von einer "Re-Industrialisierung", das heißt von einer vom Aufschwung der Rechnertechnik getragenen Umstrukturierung der Betriebe mit dem Ziel, durch DV-Einsatz (CAD, CAM, CIM) Störungsmöglichkeiten und Entscheidungsrisiken abzubauen, um die Wirtschaftlichkeit zu verbessern.

Ausgehend von den Großrechnersystemen der 60er Jahre, die ausschließlich Stapelverarbeitung gestatteten, führte in den 70er Jahren die technische Weiterentwicklung einerseits zu Timesharing-Systemen mit hohem Anteil an Nutzung der Rechnerbetriebsmittel, aber noch niedriger Interaktivität, andererseits zu dedizierten Minicomputersystemen hoher Interaktivität, aber mit relativ mäßigen Daten- und Ressource-sharing-Eigenschaften. Mit dem Aufkommen der Grafik-Workstations in den 80er Jahren laufen diese beiden Entwicklungen nun wieder zusammen. Der Zwang zur Wirtschaftlichkeit von CAD-Systemen führt bei den Grafik-Arbeitsstationen dank der Weiterentwicklung der Halbleitertechnik zu mehr Rechnerleistung vor Ort und damit hoher Interaktivität und auf Grund der Fortschritte in der Kommunikationstechnik - und auch des Aufkommens von Datenbanken in diesem Bereich - zu guter Nutzung zentraler Ressourcen.

Die Anwendungsmöglichkeiten für diese sogenannten "intelligenten" Workstations sind enorm gewachsen: Sie umfassen Aufgaben aus dem Ingenieurbereich ebenso wie kommerzielle, wissenschaftliche und andere Problemlösungen. Ursprünglich erledigten diese Arbeitsplätze im stand-alone Betrieb nur relativ einfache Aufgaben. Größere rechnerintensive Programme oder Datenbankaufgaben liefen nach wie vor im zentralen Host-Rechner, die Arbeitsstation diente im wesentlichen als Gerät zur grafischen Dateneingabe zur Entlastung des Hauptrechners. Diese teilweise Verlagerung der Intelligenz in den Arbeitsplatz ermöglichte es immerhin schon, eine beträchtliche Anzahl von Workstations an einen Host anzuschließen.

Engineering-Workstations - also intelligente Terminals zur Lösung von Aufgaben im Ingenieurbereich - erfreuen sich mittlerweile auch bei uns wachsender Beliebtheit auf Grund ihres guten Preis/Leistungs-Verhältnisses. Die Kombination von einem beziehungsweise mehreren leistungsfähigen Mikroprozessorsystemen, UNIX oder UNIX-ähnlichem Betriebssystem, Grafik-Prozessor mit "Bit-map"-Eigenschaften und der Fähigkeit zur Netzintegration macht aus diesen Workstations eine attraktive Alternative zu Timesharing-Systemen auf Mini- oder Superminicomputerbasis. (Beispiele: Apollo-Domain, PCS und andere).

Neue Workstation-Generation

Mittlerweile gibt es bereits Arbeitsstationen, auf denen nicht nur der Grafikanteil, sondern das gesamte CAD-Anwendungsprogrammpaket lauffähig ist. Jedem Anwender steht praktisch die gesamte CAD-Software persönlich an seinem Arbeitsplatz zur Verfügung. Der Mainframe-Computer kann (muß aber nicht mehr) dabei Teil des lokalen Netzes sein und spezielle Aufgaben wie die Analyse finiter Elemente übernehmen.

Diese neue Workstation-Generation wird im CAD-Bereich für Elektronikanwendungen, der nach wie vor Vorreiterfunktion in der Entwicklung von CAD-Systemen ausübt, auch gerne als "Worksystem" bezeichnet. Die Beschränkungen herkömmlicher Workstations hinsichtlich Leistung und Funktion werden durch den Einsatz modernster Hardware in Form von custom-VLSI-Schaltungen überwunden. Die Verfügbarkeit dieser speziellen Hardware, die entwickelt wurde, um weniger effiziente Software auf General-Purpose-Maschinen zu ersetzen bringt den neuen Workstations Leistungszuwachs um Größenordnungen.

Bildaufbau beschleunigt

Silicon for graphics - das sind hochintegrierte ICs von Intel, TI, Motorola, Weitek und anderen - verkörpern mehr als nur Video-Controller. Sie verarbeiten lokal im Workstation-Terminal grafische Komponenten, zum Beispiel Visibilitätsalgorithmen, Geometrie-Probleme oder Clipping-Funktionen und beschleunigen damit den Bildaufbau erheblich. Die Verarbeitung geht von Anwenderkoordinaten aus (Weltkoordinaten), mit dem Ziel, Device-Koordinaten zu erzeugen.

GKS als das einzige international standardisierte Grafiksoftwaresystem (zur Zeit allerdings noch beschränkt auf 2D-Anwendungen) hat große Chancen, weiter verbreitet zu werden. Mit GKS ist es möglich, von der Anwendersoftware her die Peripherie weitestgehend Hardware-unabhängig über sogenannte "device independent componants" anzusprechen.

Hardware-Simulatoren sind spezielle hochintegrierte Baugruppen, die besondere Aufgaben wie die Logiksimulation in elektronischen CAD-Systemen durchführen. Sie beschleunigen dabei den Ablauf um den Faktor 50 bis 200, kosten allerdings das Zwei- bis Fünffache im Vergleich zu Software-Simulatoren (Beispiel: ZYCAD).

Es besteht kein Zweifel, daß die rasche Weiterentwicklung intelligenter Arbeitsstationen oder Worksystems weiter anhalten wird. Die Fortschritte in der VLSI-Technologie werden dem individuellen Anwender zunehmend noch mehr Leistung zur Verfügung stellen. Die Kathodenstrahlröhre wird in Form von Raster-scan-Bildschirmen dominieren, doch schon tauchen die ersten flachen Bildschirme in LCD- oder Plasma-Technik auf. Da die Tragbarkeit von Terminals zunehmend an Bedeutung gewinnt, darf man mit einer stärkeren Verbreitung flacher Bildschirme in der Zukunft rechnen.

Gegenwärtig stehen die meisten technischen CAD-Systeme als Automationsinseln voneinander getrennt und isoliert von anderen DV-Anwendungen, zum Beispiel der Büroautomatisierung, in der DV-Landschaft. An einem Terminal wird Textverarbeitung durchgeführt, an einem anderen CAD-Anwendungen, Business-Grafik an einem dritten. Mit wachsender Leistung der Workstations ist es sehr wahrscheinlich, daß all diese Funktionen schließlich von einem Arbeitsplatz aus abgerufen werden können. Ansätze sind jetzt bereits erkennbar, zum Beispiel die mehrfache Fenstertechnik, aber es bedarf noch erheblicher Anstrengungen bei der Software und auf dem Gebiet der Standardisierung.

Bei der weiteren Entwicklung der Automatisierung zeichnet sich - das verstärkte Zusammenwachsen der verschiedenen Insellösungen in den einzelnen Unternehmensbereichen zu einem integrierten Informationssystem ab (Computer Integrated Manufacturing = CIM).

Bisher punktuelle Erfolge

Die meisten großen Unternehmen verfügen über die ganze Palette an Systemen: Da stehen Großrechner einträchtig neben schlüsselfertigen Systemen, dezentralen Minicomputern und professionellen "Desk-top"-Rechnern, die zur Erfüllung spezifischer Aufgaben angeschafft wurden. Die nächste Automatisierungswelle setzt nun hier an, indem die einzelnen Inseln miteinander verbunden werden sollen, um ein integriertes Daten- und Informationssystem zu schaffen. Nach bisher punktuellen Einsatzerfolgen wird CAD nunmehr auf sozusagen globaler Ebene erforderlich. Diesen Verbindungsbemühungen stehen aber noch beträchtliche Hindernisse im Weg:

- Fehlende Kompatibilität der Insellösungen erschwert den erforderlichen Datenaustausch von Insel zu Insel. Die Standardisierung der Schnittstellen ist daher dringend erforderlich, aber noch nicht weit genug fortgeschritten (IGES, GKS, VDA und so weiter).

- Die Hardware-mäßige Vernetzung der Inseln steht in Form der lokalen Netze zur Verfügung. Diese LANs sind die Basis für integrierte Informationssysteme, wobei die Normung auf diesem Gebiet noch nicht alle Ebenen des ISO-Schichtenmodells erfaßt hat.

- Zentrale leistungsfähige Datenbanksysteme sind erforderlich. Erst wenn sie vorhanden sind, kommen ihre Vorteile wie fehlende Redundanz, geringerer, da zentraler Änderungsaufwand und damit für alle Nutzer stets gleicher aktueller Zustand zum Tragen.

- Begleitende organisationsverändernde Maßnahmen sind erforderlich.

Allein der Zusammenschluß von CAD- und CAM-Systemen kann schon genügend Probleme aufwerfen. So ist CIM heutzutage erst in Ansätzen vorhanden, und zwar dort, wo die Möglichkeit der Modellbildung (Modellierung, Simulation) zur datenmäßigen Integration der Betriebsabläufe bereits existiert.

Wenn man so will, trifft dies teilweise zumindest für die Elektronikindustrie bereits zu. Das Ziel dieser Systemintegration ist die Reduzierung von Kosten in allen Bereichen der Elektronik-Fertigung bei gleichzeitiger Erhöhung der Produktqualität und Verkürzung der Zeit von der Idee bis zum Produkt.

Am Anfang ihrer Entwicklung mußten sich die Mikrocomputer mit Aufgaben begnügen, die für größere Systeme zu trivial waren. Mittlerweile haben sie aber an Leistung, Verarbeitungsgeschwindigkeit und Speicherfähigkeit so dazu gewonnen, daß nicht nur Zeichensoftware für CAD-Anwendungen, sondern auch sogar FEM-Analysen möglich sind, wenn auch mit Einschränkungen hinsichtlich Umfang und Rechenzeit.

Nicht aufwärtskompatibel

So lassen sich zum Beispiel FEM-Programme nur für einfache Strukturen und mit erheblich längeren Laufzeiten rechnen, wobei auch die Anzahl der Knotenpunkte (nodes) deutlich geringer ist (maximal 300 bis 800 statt 1000 bis 5000).

Diese Mikrocomputer verfügen in der Regel über 16-Bit-Mikroprozessoren, neuere Modelle sogar über 32 Bit. Das Softwareangebot ist bereits so groß, daß es Mühe macht, den Markt zu überblicken.

Ein schwerwiegender Nachteil der Kleinrechner ist, daß sie meist nicht aufwärtskompatibel mit größeren Systemen sind. Lösungsmöglichkeiten zeichnen sich ebenfalls in Form von Standardisierung ab; so will man sich hier grafische Informationen über IGES-Schnittstelle austauschen. Was Systemwartung und Programmpflege angeht, ist der Anwender in manchen Fällen auf sich allein gestellt.

Coprozessoren zur Beschleunigung

Einige dieser Systeme verwenden Coprozessoren zur Beschleunigung der Rechenleistung. So zum Beispiel das System Autocad von Autodesk. Mit Hilfe dieser Software kann man auf einem Arbeitsplatzrechner elektrische Schaltpläne erstellen, 2D-Zeichengrafik oder Raumplanung durchführen. Der Benutzer wird menügeführt und verfügt über "zoom" und "pan". Der Coprozessor verbessert die Rechenleistung um den Faktor drei bis fünf.

Die Leistung von Mikrocomputern kann durch sogenannte "graphic boards" erhöht werden. Damit lassen sich beispielsweise die Auflösung oder die Farbdarstellungsmöglichkeiten verbessern. Mit Hilfe von "print-spoolers" können Ausgabegeräte angesteuert werden, ohne das Eingabeterminal zu blockieren.

Der Einsatz von Kleincomputern für CAM-Anwendungen verlief zunächst zurückhaltend, mittlerweile gibt es bereits Anwendungen für NC- und CNC-Programmierung. Seit Mikros an die rauhen Umgebungsbedingungen von Fabrikhallen besser angepaßt sind, erobern sie auch diesen Bereich.

Einstiegsschwelle sinkt

Die Entscheidung für ein bestimmtes CAD-System hängt natürlich stark von der Anwendung ab. Für die Lösung von weniger anspruchsvollen Problemen oder von Teilaufgaben ist es auf jeden Fall ratsam, das Angebot an CAD-Paketen auf Arbeitsplatzcomputern in die Überlegungen miteinzubeziehen. Auf Grund fallender Hardwarepreise und steigender Stückzahl für Low-cost-Systeme infolge breiterer Marktdurchdringung ist mit einem weiteren Sinken der CAD-Einstiegsschwelle zu rechnen.

Entwicklungstendenzen, die man bei der Systemauswahl berücksichtigen sollte:

- Distributed Processing:

Verteilte Arbeitsstationen (workstation . . . worksystem), mehr lokale Intelligenz.

- Verbesserte Software: Qualitätssoftware,

leistungsfähigere Datenbanksysteme,

Anpassung der CAD-Programme an Netzwerkumgebung.

- Verbesserte Kommunikation: Standardisierung (Datenaustausch, Schnittstellen,

Netzwerke),

Vernetzungsfähigkeit.

- Hardware-Beschleuniger: GKS in Silicon,

Turbochips,

HW-Simulatoren.

- Erhöhte Integration: sowohl auf dem Chip (VLSI), als auch auf CAD-Systemebene.

- Weiterhin sinkende HW-Preise:

SW-Investitionen werden noch wertvoller (und genormte Schnittstellen wichtiger),

Speicherkosten sinken.

- Mehr Benutzerfreundlichkeit: Menüsteuerung, Fenstertechnik, einfachere Bedienung.

*) H. Wahl ist Senior-Berater für CAD/CAM bei der Softlab GmbH in München und Referent auf dem "Online '85". Auszug seines Vortrag aus dem Tagungsband.