Seminar zum Thema Software-Entwicklung und Recht:

Millionenverluste durch Softwarefehler

12.05.1989

*Wolfgang Müller ist Dozent am Schulungszentrum der Digital Equipment GmbH in München

Software-Entwicklung ist ein Tummelplatz für Rechtsstreitigkeiten. Die Vernachlässigung juristischer Gesichtspunkte kann nämlich auch solide konzipierte Projekte schon im Vorfeld zum Scheitern verurteilen. Technische Entscheidungen, so Wolfgang Müller*, verlangen also juristische Vorbereitung.

Gewährleistungsfragen auf Grund der zunehmenden Komplexität von Software gehören zu den zentralen Problemen des Computerrechts. So mußte die US-Fluggesellschaft American Airlines vor kurzem feststellen, daß auf Grund von Softwarefehlern ihre Discountangebote an den Buchungsterminals der Reisebüros nicht zur Verfügung standen - geschätzter Schaden: 50 Millionen.

Nicht nur neue Programme enthalten Fehler, sondern auch solche, die schon jahrelang eingesetzt werden. Und jede Verbesserung ruft in der Regel neue Fehler hervor. Nach Angaben amerikanischer Unternehmensberater entscheiden Manager häufig auf der Grundlage von Reports, die mit fehlerhaften Programmen erstellt wurden und damit sachliche Fehler enthalten.

Ähnliche Zeitbomben schlummern in den Programmen vieler Firmen. In der Informatik wird diese Situation seit langem kritisch reflektiert. Die Besinnung auf die ingenieurmäßigen Grundlagen der Informatik - verbunden mit dem Begriff des Software-Engineerings - dauert seit über 20 Jahren an. Doch nach wie vor stehen DV-Spezialisten vor der Frage, mit welchen Prinzipien, Methoden und Werkzeugen Wartungsprojekten und Neuentwicklungen zu Leibe gerückt werden kann.

Die CASE-Euphorie der letzten Jahre ist etwas abgeklungen, und den unverkennbaren Fortschritten im Bereich der 4GL-Sprachen steht die zunehmende Komplexität der Software-Anforderungen gegenüber. Man denke nur an den automatischen Lieferverbund zwischen Automobilherstellern und deren Zulieferern. Die Fehlerwahrscheinlichkeit steigt mit der Problemkomplexität. Solche Software-Fehler, die im laufenden Betrieb zu Millionenverlusten führen, können unabsehbare Gewährleistungsfragen aufwerfen.

Ein weites Feld finden Juristen auch bei den immer wieder auftretenden Projektverzögerungen, verspäteten Fertigstellungen und Übergaben der Software an den Auftraggeber. Zu diesem Komplex gehören auch die sich im Projektverlauf ergebenden Veränderungen in den Aufgabenstellungen für die Software-Entwickler - ein Aspekt, der ein rechtlich abgesichertes "Riskomanagement" verlangt.

Anders als in den schönen Phasenmodellen für DV-Projekte sind Änderungen und Erweiterungen der funktionalen Spezifikationen im Projektverlauf die Regel. Hier ist es die Aufgabe des Projektmanagements, in der Projektplanung den notwendigen Rahmen und die nötigen Abstimmungsprozesse für Erweiterungen zu definieren und gegebenenfalls diesen Prozeß mit dem Abnehmer der Software abzustimmen.

Ein weiteres Problem, mit dem sich das Seminar zu den Rechtsproblemen der Software-Entwicklung befaßt, ist die Erstellung des Pflichtenheftes. Als Vertragsgrundlage legt schon die Erstellung des Pflichtenheftes als Anforderungskatalog an die künftige Software neben technischen auch rechtliche Folgen fest.

Sprachlich unscharfe oder grobe Beschreibungen der Anforderungen erschweren die Entwicklung und liefern zugleich reichlich Material für Rechtsstreitigkeiten. Andererseits schnürt ein zu detailliertes und juristisch "wasserdichtes" Plichtenheft den Entwicklungsprozeß in ein zu enges Korsett.

Eine Lösung für dieses Problem können Software-Prototypen darstellen, da sie die Mängel der sprachlichen Beschreibung umgehen und damit Mehrdeutigkeiten vermeiden.