Gesichtserkennungssoftware am Pranger

Millionenstrafe für Clearview AI

24.05.2022
Von 


Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Wegen illegaler Speicherung von biometrischen Nutzerdaten wurde der Anbieter für Gesichtserkennungssoftware Clearview AI in Großbritannien zu 7,5 Millionen Pfund Geldstrafe verurteilt.
Clearview AI hält in seiner Datenbank mehr als 20 Milliarden Bilder von Menschen vor.
Clearview AI hält in seiner Datenbank mehr als 20 Milliarden Bilder von Menschen vor.
Foto: Ascannio - shutterstock.com

Für Clearview AI wird die Luft allmählich knapp, nachdem zunehmend mehr Länder strafrechtlich gegen die Sammelwut des US-amerikanischen Startup vorgehen. So verurteilte die britische Datenschutzbehörde das Unternehmen nun zu einer Geldstrafe von mehr als 7,5 Millionen Pfund und forderte es auf, die Daten britischer Bürger zu löschen.

"Suchmaschine für Gesichter"

Clearview AI sammelt öffentlich gepostete Bilder von Facebook, Instagram und anderen Quellen, in der Regel ohne das Wissen der Plattform oder eine Erlaubnis, und speichert sie in seiner Datenbank. Das System des Unternehmens ermöglicht es dann einem Nutzer, ein Foto eines Gesichts hochzuladen und in der Datenbank nach Übereinstimmungen zu suchen. Es liefert dann Links zu den Stellen, an denen passende Bilder online erscheinen. Zu den Nutzern der umstrittenen Gesichtserkennungssoftware gehören zahlreiche Strafermittlungsbehörden, laut einer 2020 geleakten Kundenliste früher aber auch Unternehmen wie Macys oder Best Buy. Auch die Ukraine setzt Software von Clearview AI ein, um im Krieg getötete, russische Soldaten zu identifizieren.

"Clearview AI hat auf der ganzen Welt, auch in Großbritannien, von verschiedenen Websites und Social-Media-Plattformen zahlreiche Aufnahmen von Menschen gesammelt und so eine Datenbank mit mehr als 20 Milliarden Bildern aufgebaut", erklärte der britische Datenschutzbeauftragte John Edwards in einer Stellungnahme. "Das Unternehmen ermöglicht nicht nur die Identifizierung dieser Personen, sondern überwacht auch ihr Verhalten und bietet dies als kommerzielle Dienstleistung an. Das ist inakzeptabel."

Mit der Geldstrafe von 7,5 Millionen Pfund kommt Clearview AI, zu dessen früheren Kunden die Metropolitan Police, das Ministry of Defence und die National Crime Agency zählen, dabei sogar noch vergleichsweise günstig weg. Im November 2021 hatte das Information Commissioner's Office (ICO) noch eine Geldstrafe von bis zu 17 Millionen Pfund gefordert. Außerdem kann das Startup die Entscheidung noch anfechten - und wird das auch vermutlich tun.

Falscher Zuständigkeitsbereich

So argumentiert der Anwalt von Clearview, dass sein Client nicht in den Zuständigkeitsbereich der ICO falle, und das Unternehmen derzeit nicht (mehr) in Großbritannien tätig sei. "Wir sammeln nur öffentliche Daten aus dem offenen Internet und halten uns an alle Datenschutzstandards und Gesetze", bekräftigt auch Clearview-CEO Hoan Ton-That.

Großbritannien ist nach Frankreich, Italien und Australien das vierte Land, das gerichtlich gegen Clearview vorgeht - wenn auch mit ungewissem Erfolg. So ordnete im Dezember 2021 die französische Datenschutzbehörde CNIL an, dass Clearview die Verarbeitung von Daten französischer Bürger einstellt, und gab dem Unternehmen zwei Monate Zeit, alle Daten zu löschen.

Dies scheint jedoch nicht passiert zu sein, denn vor zwei Wochen kündigte die oberste Datenschutzbeauftragte dann an, sie erwäge, einen Strafprozess gegen das US-Startup aufzunehmen. Und als Italien das Unternehmen Anfang des Jahres zu einer Geldstrafe in Höhe von 20 Millionen Euro verurteilte, wehrte sich Clearview mit der Begründung, dass das Unternehmen in keiner Weise unter die EU-Datenschutzgrundverordnung falle.

Selbst in den USA, wo es kein Bundesdatenschutzgesetz gibt, wird Clearview AI zunehmend kritisch beäugt. Erst Anfang dieses Monats erzielte die Bürgerrechtsorganisation ACLU einen wichtigen Vergleich, der es Clearview untersagt, seine Datenbank in den USA an die meisten Unternehmen zu verkaufen. Im Bundesstaat Illinois, in dem es ein Gesetz über biometrische Daten gibt, darf Clearview AI fünf Jahre lang niemandem, auch nicht der Polizei, Zugang zu seiner Datenbank verkaufen.